dafür.» Dann wandte er sich lächelnd an seine Frau: «Kannst du ihnen etwas Buntes geben, woraus sie die Markierungen verfertigen können?»
«Ich denke schon», meinte sie und überlegte. «Irgendwo liegt sicher noch buntes Bettzeug, das nicht mehr viel taugt. Das könnt ihr dann in Streifen schneiden.»
«Prima, Tante», sagte Jack. «Wenn möglich, gib uns roten Stoff; den sieht man am besten!»
Der Gutsbesitzer erhob sich und schaltete das Radio ein. Die Jungen hörten kaum zu. In Gedanken waren sie mehr beim morgigen Tag als bei den Nachrichten aus dem In- und Ausland, bis der Sprecher plötzlich verkündete: «Achtung! Achtung! An alle Hörer! Die Polizei sucht den 26jährigen Poul Ejnar Jensen, der heute nachmittag aus dem Roskilde-Gefängnis entwichen ist. Jensen ist kräftig gebaut, 1 m 84 groß, hat dunkles, gewelltes Haar und braune Augen. Bei der Flucht trug er dunkelblaue Hosen und einen grauen Rollkragenpullover. Er ist sprachgewandt und ist des öfteren als Ausländer aufgetreten. Er stammt aus Südseeland und wird daher wohl früher oder später in dieser Gegend auftauchen. Informationen erbittet die Kriminalpolizei in Roskilde, Telefon Roskilde 447, oder das nächste Polizeirevier.»
Als Erling und Jesper eine halbe Stunde später in ihrem Zimmer allein waren, fragte Erling: «Krümel, hast du Jans Gesicht gesehen, als die Nachricht der Kriminalpolizei durchgegeben wurde?»
«Nein, warum?»
«Na, er war doch ganz Ohr. Es würde mich nicht wundern, wenn wir diesem unangenehmen Herrn hier begegneten.»
«Welchem Herrn?»
«Na, dem Verbrecher aus Roskilde, du Affe!»
«Dann müßte der aber ein ganz ausgezeichneter Skiläufer sein.»
«Wieso?»
«Nun bist du der Affe. Hast du noch nicht gemerkt, wieviel Schnee wir hier haben?»
«Hm ja, stimmt schon.»
Und diesen vielen Schnee nützten sie denn auch am nächsten Tag weidlich aus. Während des Wettkampfes trieb Jan den kleinen Krümel so sehr an, daß dieser als fünfter durch das Ziel fuhr. Dafür hatte Jan gern seinen ihm so gut wie sicheren ersten Platz geopfert. Er hatte Krümel als Schrittmacher gedient, und das Resultat freute Jan mindestens genauso sehr wie Jesper.
Während des darauffolgenden zweiten Frühstücks wurde viel vom Skisport gesprochen. Im Hof aber wurde unentwegt Schnee geschaufelt, die Knechte kamen gar nicht mehr nach. So viel Schnee hatten sie seit Jahren nicht auf einmal gesehen.
Für die Jungen waren die hohen Schneewälle eine Einladung zum Schneeburgenbauen. Was schließlich in einer groß angelegten Schneeballschlacht endete, die der Gutsbesitzer von seinem Fenster aus verfolgte.
«Weißt du was, Ernst?» fragte seine Frau lächelnd. «Du hast eine unbezwingbare Lust, da unten mitzumachen.»
«Und ob», lachte Onkel Ernst.
«Dann tu’s doch!»
«Recht hast du», antwortete er und war bald darauf zum Entzücken der Jungen und seiner Knechte mitten im wildesten Kampf.
«Herr Fischer, Telefon», rief der alte Jörgensen, während nun auch ihm die Schneebälle um den Kopf flogen.
«Na, du siehst doch, Jörgensen, daß ich jetzt keine Zeit habe.»
«Aber es ist wichtig. Der Bahnhofsvorstand will Sie sprechen.»
Widerstrebend zog sich Onkel Ernst aus der Schlacht zurück und ging ins Haus. Vom Stationsvorsteher erfuhr er, daß ein Personenzug in einer Schneewehe hilflos festgefahren war und es mindestens ein bis zwei Tage dauern würde, bis man die Strecke freigeschaufelt hätte. Gasthöfe und Hotels gab es in der nächsten Umgebung keine, daher hoffte der Bahnhofsvorstand, daß der Gutsbesitzer ihm helfen könne. Zwanzig Personen mußten irgendwie untergebracht werden.
Während dieses Problem noch mit dem Bahn-personal und später mit Frau Gerda besprochen wurde, vertilgten die Jungen alles vorhandene Gebäck, denn die Schneeballschlacht hatte ihnen mächtig Appetit gemacht. Als das vielbeschäftigte Fräulein Olsen aus der Küche kam, staunte sie nur so. «Himmel», rief sie. «Und wir dachten, wir hätten für zwei Tage im voraus gebacken.»
«Nur mit der Ruhe, Fräulein Olsen», sagte Frau Fischer, die gerade dazutrat. «Sie können den Mädchen in der Küche sagen, daß wir gleich noch einmal soviel Gebäck brauchen. In Kürze erwarten wir noch zwanzig Personen.»
«Das kann doch nicht wahr sein!» stöhnte Fräulein Olsen und rollte entsetzt die Augen.
*
Die Schlitten mit den frierenden Passagieren des Personenzugs nach Lindeholm zu schaffen, war leichter, als dort für alle einen Schlafplatz aufzutreiben. Schließlich war der Gutshof bis zum letzten Eckchen gefüllt. Selbst mitten in der Jagdsaison hatten niemals so viele Gäste im Haus untergebracht werden müssen.
Jan hatte die Neuankömmlinge, seiner Gewohnheit entsprechend, genau betrachtet und fand sie alle recht langweilig, bis auf einen jungen Mann namens Harris, der nach seiner Angabe aus Durban stammte und nur Englisch sprach. Der junge Südafrikaner hatte in Dänemark Landwirtschaft studiert und war nun auf dem Heimweg.
Jan sprach, wie die meisten seiner Landsleute, recht gut Englisch, und es machte ihm Freude, sich mit Paul Harris zu unterhalten.
«Können Sie skifahren?» fragte Jan.
Harris zögerte einen Moment und sagte dann: «Ich habe es noch nie versucht. Ist es schwer?»
«Wenn man es kann, ist es nicht schwer.» Jan lachte.
Harris lachte auch, wobei sein Rock etwas zur Seite rutschte und Jan den Preiszettel am Gürtel der Hose zu sehen bekam. ‹Der typische Engländer›, dachte Jan. ‹Den kümmert so etwas nicht. Wahrscheinlich ist die Hose ganz neu...›
Jack kam herbei und hörte dem Gespräch zu, bis Harris wegging, um sich den Hof anzusehen. Als er außer Hörweite war, sagte Jack: «Ist dir etwas aufgefallen? Harris ist so wenig Engländer wie du!»
«Bist du sicher, Jack?»
«Ganz bestimmt. Ich kenne doch meine Muttersprache. Er beherrscht sie sehr gut, aber er ist kein Engländer.»
«Dann will ich dir etwas sagen. Mir scheint die Beschreibung des aus Roskilde entsprungenen Gefangenen auf ihn zu passen, bis auf die Kleidung natürlich. Aber neue Kleider konnte sich der Flüchtling ja leicht verschaffen. Vielleicht ist inzwischen ein Einbruch in ein Herrenbekleidungsgeschäft gemeldet worden. Wir sollten die Rundfunknachrichten hören. Seltsam ist jedenfalls, daß Harris bis jetzt Landwirtschaft studiert haben will und ausgerechnet mitten im Winter heimfährt. Sprachgewandt soll der Entflohene ja sein. Und schließlich ist da noch etwas. Man sagt, daß Verbrecher, die den Namen wechseln, gewöhnlich ihren Vornamen beibehalten, denn es ist ja einfacher, auf seinen eigenen Vornamen zu hören, wenn man gerufen wird. Nun, der Flüchtling heißt Poul, und Harris nennt sich Paul. Schade, daß die Post heute nicht gekommen ist. In den Zeitungen steht vielleicht schon mehr über die ganze Geschichte.» Jan überlegte einen Augenblick, dann fuhr er fort: «Wir sagen den anderen am besten noch nichts. Wenn unsere Vermutungen stimmen, könnte der Kerl mißtrauisch werden.»
*
Die Rundfunknachrichten wurden zur Enttäuschung für die Jungen. Von einem Einbruch war keine Rede, von dem Flüchtling auch nicht.
«Dann müssen wir morgen früh gleich zum Bahnhof fahren und uns Zeitungen besorgen», meinte Jack.
«Ja! Heute nacht wird er wohl kaum einen Fluchtversuch machen. Skifahren kann er nicht.»
«Woher weißt du das?» fragte Jack.
«Er hat es mir selber gesagt.»
«Und du bist auf einmal naiv genug, ihm alles zu glauben?»
«Donnerwetter, natürlich hast du recht! Er zögerte auch, bevor er mir diese Antwort gab. Dennoch wird er wohl lieber in seinem warmen Bett bleiben, als mitten in der Nacht mit Ski bewaffnet