Carlo Andersen

Jan zieht in die Welt


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      Aber jetzt wurde die Verfolgung schwieriger, denn nun hatten sie keine frische Spur mehr, der sie folgen konnten. Der Mann fuhr vorläufig in der alten Spur zurück. Und neue, schwere Wolken, die mehr Schnee versprachen, türmten sich auf. Bald würde der Mond verdeckt sein.

      «Da, Jack!» rief Jan plötzlich. «Siehst du die vielen dunklen Punkte? Da kommen die anderen schon.»

      «Bravo!» rief Jack. «Aber wo ist unser Freund geblieben?»

      «Er hat sich vermutlich zwischen den Bäumen da vorn versteckt. Wir werden es bald genau wissen.»

      Kurz darauf fragte Onkel Ernst mit munterer Stimme: «Nun, was gibt es Neues?»

      Jan berichtete in kurzen Zügen, und der Gutsbesitzer antwortete: «Es scheint ein gefährlicher Mensch zu sein. Außerdem hat er mir zweitausend Kronen aus der Schreibtischschublade gestohlen.»

      Jan schaute zum Himmel hoch und fragte: «Hat wohl jemand daran gedacht, eine Taschenlampe einzustecken?»

      «Ich», rief Jesper stolz. «Hier ist sie.»

      Jan befestigte die Lampe über dem obersten Knopf seines Anoraks und fragte dann höflich: «Herr Fischer, Sie haben doch nichts dagegen, daß ich als erster vorangehe?»

      «Nein, das ist ganz in Ordnung, Jan. Aber du hast sicher nichts dagegen, wenn ich mich in den Kampf einmische, falls es dazu kommen sollte?»

      «Gewiß nicht.» Jan lachte.

      Jan und Jack fuhren als erste, dann folgten die anderen. Ihre Fahrt verlangsamte sich jedoch unwillkürlich, als der Mond von einer großen Wolkenbank verdunkelt wurde.

      «Du, Jan, sei etwas vorsichtiger, es ist so dunkel geworden.»

      «Aber, Jack. Wir sind zwanzig gegen einen.»

      «Stimmt schon, aber davon hast du nichts, wenn er dich als ersten erwischt. Es muß unangenehm sein, seinen Skistock in die Augen zu bekommen.»

      Darin mußte Jan ihm natürlich recht geben. Er fuhr jetzt etwas langsamer und hielt in der Dunkelheit Ausschau, bis der Mond plötzlich zwischen den Wolken wieder zum Vorschein kam und er den Flüchtling entdeckte.

      «Da ist er!» rief Jan. «Beeilt euch, Jungen! Wir müssen das Licht ausnützen.»

      Jan flog geradezu auf den Mann zu, gleich hinter ihm folgte Jack, und mit etwas Abstand kamen die übrigen.

      «Ergeben Sie sich!» rief Jan.

      Aber der Verbrecher dachte nicht daran. Er drehte sich um und schlug mit dem Skistock nach Jan.

      In diesem Augenblick fuhr Jack nahe an ihn heran und gab ihm einen so kräftigen Stoß, daß der Mann stürzte.

      «Schuft!» zischte er und schlug trotz seiner hilflosen Lage noch mit einem Stock nach Jack.

      «Paß auf!» rief Jan.

      «Schon gut», rief Jack zurück und rammte mit einem seiner Stöcke den seines Widersachers. Damit war der Verbrecher erledigt.

      «Nun?» fragte Jan, «ergeben Sie sich jetzt?»

      «Ich muß wohl, aber ich werde mich rächen.»

      «Das werden Sie sich wohl noch überlegen. Hauptsache, Sie folgen uns jetzt.»

      Der Gutsbesitzer näherte sich und sagte: «Nun können wir ja zurück nach Lindeholm. Zuerst geben Sie mir aber die zweitausend Kronen, die Sie aus meinem Schreibtisch gestohlen haben, Jensen!»

      Der Mann erhob sich und antwortete trotzig: «Ich weiß nichts von zweitausend Kronen.»

      «Wir untersuchen ihn, Freunde», rief Jesper.

      Und das taten die Jungen, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan. – In einer Rocktasche des Verbrechers fand sich sehr bald das gesamte Geld.

      Während der Rückfahrt fragte Onkel Ernst: «Und wo sollen wir ihn heute nacht einschließen? Was meint ihr?»

      «Im Kellerverlies», riefen die Jungen im Chor.

      «Das kann man leider weder von innen noch von außen abschließen.»

      «Dann im obersten Turmgeschoß!»

      «Ja, das geht.»

      Dort wurde der Mann hingebracht und eingeschlossen.

      Frau Fischer, die natürlich von dem Tumult geweckt worden war, hatte sich nicht mehr schlafen gelegt, sondern die Zeit genützt und einen Tisch gedeckt, der nichts zu wünschen übrigließ. Während sie sich alle gütlich daran taten, füllte Jan einen Teller mit Gebäck und erhob sich. Er ging zu Jack und sagte: «Jack, komm bitte mit!»

      «Wohin?»

      «Komm nur.»

      Sie stiegen die Treppen zum Turm hinauf, und Jack wunderte sich.

      «Ich weiß wohl, daß Jensen ein übler Kerl ist», sagte Jan. «Aber ich möchte, daß wir es für einige Minuten vergessen.»

      «Willst du ihm das Gebäck bringen?»

      Jan nickte. «Ja.»

      «In Ordnung. Ich verstehe dich», gab Jack zur Antwort.

      Jan drehte den Schlüssel um und öffnete die Tür. Poul Jensen saß auf einem Stuhl und starrte ins Leere. Er hob nicht einmal den Kopf, als die Jungen eintraten.

      Ruhig sprach Jan ihn an: «Hören Sie, Jensen! Meine Freunde und ich halten Sie nicht gerade für einen guten Menschen. Sie hätten uns heute nacht gern umgebracht. Aber... jetzt haben Sie sicher Hunger?»

      «Nein!»

      «Auch nicht auf Süßigkeiten?»

      «Nein!»

      «Gut, ich stelle den Teller hierher. Wenn Sie doch Hunger bekommen sollten, können Sie sich bedienen. Das Gebäck ist für Sie.»

      Der Gefangene hob den Kopf ein wenig, und dabei bekamen seine Augen etwas Glanz. Undeutlich murmelte er: «Warum bringt ihr mir das alles?»

      «Einfach weil wir dachten, daß Sie vielleicht Hunger haben. Uns ging es ja auch so.»

      «Danke», sagte der Mann und beugte den Kopf wieder vornüber. «Danke, das ist nett von euch.»

      Die Jungen eilten hinaus, und Jan schloß die Tür sorgsam ab. Sie sprachen nicht miteinander, bis sie vor der Tür zum Eßzimmer standen. Dann sagte Jack: «Du, Jan... das war großartig.»

      «Hoffentlich», meinte Jan versonnen. «Jedenfalls haben wir dem armen Kerl da oben ein wenig Freundlichkeit und menschliches Verstehen gezeigt. Vielleicht ist es bedeutungslos, aber es könnte doch sein, daß es ihm etwas hilft. Ein guter Kern steckt schließlich in allen Menschen. Auch in dem ausgekochtesten Verbrecher.»

      Viertes kapitel

      Zwei Beamte von der Kriminalpolizei kamen am nächsten Tag nach Lindeholm, um den Gefangenen abzuholen. Sie lobten die Jungen wegen ihrer Aufmerksamkeit und ihres mutigen Auftretens. Dann führten sie Poul Jensen ab.

      Mit dunklem, verbissenem Gesichtsausdruck folgte er den Beamten. Nur als er an Jan vorbeiging, hellte sich sein Gesicht auf. «Danke», sagte er. «Das Gebäck war sehr gut.»

      Auch die Zugpassagiere konnten ihre Reise an diesem Tag fortsetzen. So hatten die Jungen Lindeholm wieder ganz für sich. Aber die Zeit der Freiheit war auch für sie bald vorbei.

      Einige Tage später saßen sie wieder in ihrem Klassenzimmer und arbeiteten. Die Abschlußprüfungen lagen nun in nicht allzu weiter Ferne, und die meisten hatten etwas aufzuholen. Der einzige, der von der allgemeinen Prüfungsunruhe nicht erfaßt wurde, war natürlich Erling.

      Jan war immer ein mittelguter Schüler gewesen und hatte nicht allzu große Hoffnungen, es Erling gleichzutun. Um so mehr freute er sich, als er in einer Englischprüfung besonders gut abschnitt.