Bernt Danielsson

Michelle


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steht’s denn so? Haste dir schon eine kleine Freundin zugelegt? Die dir dort oben vielleicht Gesellschaft leistet, was? Klar – kann ja gar nicht anders sein! Viel Glück, mein Junge! Aber vergiß eins nicht! Du weißt schon – erst die Gummihaube überstülpen, bevor du einfährst! Ha-ha-ho-ho!!!“

      So ist er nun mal, aber wenn man sich nicht allzu lange in seiner Nähe aufhalten muß, ist er trotzdem ganz brauchbar.

      Selbst wenn niemand mir zu glauben schien (Cammi sowieso nicht), ich hatte tatsächlich vor, die ganze Zeit hier draußen allein zu verbringen. Und das wollte ich aus zwei Gründen:

      Erstens: Noch nie in meinem Leben war ich mehr als acht Stunden am Stück allein gewesen. Nicht ein einziges Mal in meinem ganzen Leben, was natürlich nicht besonders lang ist. Aber trotzdem.

      Unfaßlich, aber wahr.

      Die wenigen Male, wo ich mehrere Stunden hintereinander allein war, bin ich von der Schule daheim geblieben, weil ich krank war (oder behauptete, es zu sein) und meine Eltern bei der Arbeit waren. Aber selbst diese Tage klappten meistens nicht, weil Cammi früher von der Schule nach Hause kam und wie immer eine ganze Blase von Kumpels mitbrachte.

      Bei uns daheim ging es meistens zu wie auf einem Bahnhof – ein ewiges Hin- und Hergerenne, Geratsche und Geplapper. Kaum ein Tag verging, ohne daß jemand zu Besuch war. Und die Gäste mußten dann prompt Kaffeeundkuchen oder Essenundwein haben, logo – sie verlangten es zwar nicht offen heraus, sagten aber nie nein. Die Leute quollen nur so bei uns ins Haus – Freunde, Bekannte, Verwandte, Nachbarn, Verwandte von Verwandten, neue Freunde und alte Freunde, Bekannte von Bekannten und sonstiges Gemüse.

      Wenn es ein seltenes Mal vorkam, daß niemand an der Tür klingelte, wurden Cammi und ich ins Auto gesteckt, und dann fuhr mein Alter los, um andere Leute zu überfallen.

      Manchmal frage ich mich, ob meine beiden Alten überhaupt je einen einzigen Abend allein verbracht haben – also, ich meine, nur die beiden miteinander.

      Ich glaube kaum. Auf jeden Fall nicht, seit ich mich daran erinnern kann. Manchmal habe ich fast das Gefühl, sie fürchten sich davor, allein zu sein.

      Das einzige, was Cammi von meiner Mutter geerbt zu haben scheint, ist diese Angst vor dem Alleinsein. Wenn sie länger als eine Stunde in wachem Zustand alleine in ihrem Zimmer sitzen muß, wird sie total hysterisch. Dann ruft sie eine Freundin an, und wenn die erste nicht daheim ist, macht sie weiter, bis irgend jemand anbeißt, und dann zischt sie los, oder die Freundin kommt zu uns nach Hause.

      Wenn wirklich Not am Mann ist (das heißt, wenn es schon sehr spät am Abend ist), ruft sie mich...

      Bei mir ist das Gegenteil der Fall – im Laufe der letzten beiden Jahre ist das Gefühl immer stärker geworden, daß ich mich nur dann nicht allein fühle, wenn ich alleine bin. Dann fühle ich mich cool und relaxed und kann mir die tollsten Tagträume ausdenken und bin echt hero-mäßig.

      Die Vorstellung, daß ich jetzt so lange allein sein sollte, war allerdings gleichzeitig auch erschreckend – vierzehn Tage. Und vierzehn Nächte... Ich wußte nicht, ob ich es schaffen würde. Wenn ich alleine war, überfielen mich nämlich die scheußlichsten alptraumhaften Phantasievorstellungen... Na ja, sehr kompliziert, das alles. Jetzt würde ich mich eben testen müssen.

      Und zweitens: Ich wollte Zeit haben, über das Leben nachzudenken.

      Ja, genau das: Über das Leben nachdenken.

      Nicht über das Leben, das ich im Moment führte, natürlich nicht, sondern über das, was kommen würde. Das, was irgendwo existierte und auf mich wartete, das Leben, das vor mir lag. Wenn ich ganz allein wäre und mich dabei wohl fühlte, würde ich vielleicht herausfinden, was ich wirklich werden wollte und was ich mit diesem Leben anfangen wollte, das noch gar nicht angefangen hatte.

      Die große Frage war, ob ich ein weltberühmter und erfolgreicher Künstler oder Schriftsteller, oder ob ich ganz einfach ein sehr radikaler Multimilliardär werden sollte, der enorme Summen investierte, um diese verdorbene Welt zu verbessern, während er gleichzeitig auf seinen Luxusjachten ein Luxusleben führte. Mir schien das eine gut Kombination zu sein. Denn die Welt war sowohl verdorben als auch schlecht, das hatte ich bereits im Alter von sieben Jahren eingesehen, als ich anfing, etwas von dem zu begreifen, was in den Nachrichtensendungen gesagt wurde.

      Aber gleichzeitig erschien es mir doch ziemlich sinnlos – die Welt würde ja doch nicht besser werden, egal wie reich man war und wieviel Geld man investierte. Vielleicht wäre es doch besser, wirklich etwas selbst zu machen, malen oder schreiben und selbst irgendwie ein Vermögen zu verdienen, einfach das Gefühl zu haben, daß man selbst etwas schaffte – so ein bißchen lieber Gott sein, im Taschenformat sozusagen.

      Wie auch immer: ich kam wohl nicht darum herum, mich ziemlich bald zu entscheiden – irgendwie mußte man das, was man tun wollte – malen oder schreiben oder reich werden – doch rechtzeitig trainieren.

      Ja, ich sah sogar ein, daß es vielleicht notwendig werden würde, anfänglich einen stinknormalen Beruf auszuüben, um mich ‚versorgen‘ zu können. Man muß sich ja ‚versorgen‘ können, wie mein Vater immer sagt.

      Sich ‚versorgen‘. Wenn das nicht sorgenvoll klingt!

      Nun ja, ich wollte wie gesagt Zeit und Ruhe haben, um über das Leben nachzudenken, weil ich darauf vorbereitet sein wollte, wenn es anfing. Irgendwann müßte es ja so weit sein, denn noch hatte es nicht angefangen, davon war ich überzeugt. Aber bald, dachte ich, bald wird es dunkel im Salon und der Vorhang vorne gleitet lautlos auseinander und der Film ‚Das Leben‘ kann anfangen.

      Das, worin ich jetzt gerade steckte, war ja offensichtlich nur ein stinkfader, trüber, schwarzweißer Kurzfilm, der als Vorfilm gezeigt wurde.

      Das hier kann ja nicht mal die Werbung sein, dachte ich, denn wo bleiben dann die hüftwackelnden Bikinibräute mit den Haarmähnen, die nach Wiesenkräutern duften, mit den erfrischenden Kaugummis und den Surfbrettern unterm Arm?

      Ich halte mich nur an die Wahrheit

      Es war kurz nach eins, als die ersten Wolken auftauchten.

      Anfangs war es nur eine sehr dünne Kette aus kleinen Wölkchen, die eher an Sahnetupfer auf hellblauem Marzipan erinnerten. Aber sie vermehrten sich rasch, wuchsen, wurden höher und breiter und marschierten zielstrebig in unsere Richtung.

      „Das gibt bestimmt Regen“, sagte Cammi und nahm die Sonnenbrille ab.

      Sie erhob sich aus dem Liegestuhl auf der Terrasse, den sie sofort beschlagnahmt hatte, streckte den Arm nach ihrem gelben T-Shirt aus und schlängelte sich hinein. Als der blonde Haarbusch durch die Halsöffnung gekommen war, schaute sie mit zusammengekniffenen Augen zu der dicken Wolke hoch, die ihre strebsamen Bemühungen, braun und möglichst noch brauner zu werden, soeben unterbunden hatte.

      „Wer wird denn so pessimistisch sein!“ sagte mein Vater und stellte mit einem dumpfen Plumps einen Sack Grillkohle ab.

      „Mal sehen, ob Mama in der Küche Hilfe braucht“, sagte Cammi und verschwand durch die Terrassentür.

      Mein Vater werkelte wie wild an dem Grill herum. Da der Tobbe und Chatti gehörte, war er natürlich ein sehr fortschrittliches High-Tech-Modell mit zahllosen Schläuchen, Meßinstrumenten und Steuerungen. In meinen Augen sah er eher wie eine rollende Intensivstation aus.

      Natürlich mußte gegrillt werden. Schließlich war ja Mittsommer, und wenn die Familie Pihlsten ein Gesetz hatte, dann dieses – am Mittsommerabend mußte man grillen.

      Unten in Schonen hatten wir eine billigere Version, einen dieser runden Grills auf drei Beinen, die wie ausrangierte alte Roboter aus dem ‚Krieg der Sterne‘ aussehen. Manchmal glaube ich fast, daß sie das tatsächlich auch sind, als Grill scheinen sie nämlich nie zu funktionieren. Alles schmeckt nur nach Ruß und nach Zündflüssigkeit.

      Aber vielleicht liegt das auch an meinem Alten.

      Es würde sehr interessant werden festzustellen, wie Tobbes und Chattis High-Tech-Grillstation mit den Steaks für die ganze Gesellschaft