Bernt Danielsson

Michelle


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nur wissen, warum sie sie dann überhaupt angucken), die Frühkartoffeln kochen mit Dillzweigen im Wasser, Plupper, Plupper, Kläff, Lach, Klirr und dann plötzlich:

      Zzzwisch!!!

      (Hier kann der Fast Forward-Knopf losgelassen werden.)

      Ein Blitz fährt aus den Wolken herab und verschwindet im dunklen Wasser der Bucht zwischen zwei Inseln hinten am Horizont. Gleich darauf kracht der Donner los und erschreckt die Hunde, die Zwillinge, die kleine Louise und meine Mutter zu Tode (aber meine Mutter hat ja sowieso immer vor allem Angst, das ist also nicht weiter verwunderlich).

      Noch ein paar Donnerattacken, weniger deutliche Blitze, aber anhaltendes Poltern und Grollen. Dann setzt plötzlich ein heftiger Hagelschauer ein, der ohrenbetäubend aufs Verandadach prasselt.

      Kabuuum!!!

      Blitz und Donner gleichzeitig.

      Der Hagel hört auf und wird von einer Regenflut abgelöst, die aber kurz darauf ebenfalls abebbt.

      (Den FF-Knopf wieder reindrücken.)

      Cammi kommt die Treppe runter, kriegt alberne Komplimente für ihre Kleider, die Fettmöpse Anne und Anders hüpfen kichernd durch die Gegend, alle hocken sich an den Tisch, unruhige Blicke zu den Wolken rüber, die Hitze immer noch genauso drückend, trotz Gewitter, die Kartoffeln werden reingetragen, Bierflaschen und Aquavit, Hering in verschiedenen Marinaden kommt auf den Tisch.

      Cammi sitzt mir gegenüber, seufzt und verdreht die Augen, will keinen Hering, macht sich ein Käsebrot, die Kinder schlabbern ihr Spezialmenü in sich rein – Leberwurstbrote und Pepsi.

      Mein Alter kippt sich eine halbe Flasche Bier hinter die Binde. Hering und Kartoffeln verschwinden in den Mündern, die Zwillinge verschmieren sich mit Leberwurst. Cammi seufzt erneut und macht eine Leidensmiene.

      Ich kann sie verstehen.

      Aber sie leidet wenigstens mit Stil, das steht fest.

      (Rein mit dem Pause-Knopf. Das Bild hält an:) Eine Petroleumlampe wirft ihr flackerndes, schmeichelndes Licht von rechts auf Cammi. Das Licht zeichnet Schatten auf Cammis linke Gesichtshälfte, läßt aber beide Augen funkeln.

      Jetzt sieht meine Schwester ganz anders aus als vorhin. Es ist, als wäre sie eine ganz andere Person – und vielleicht ist sie das auch. Ich beneide die Mädchen, weil sie sich schminken und sich selbst viel mehr verändern können als wir Jungs.

      Am Vormittag hatte sie erklärt, sie sei auf dem ‚ordinären Trip‘. Jetzt sieht sie viel eleganter und erwachsener aus. Sie hat die Haare nach hinten gekämmt und alle wilden Lokken rausgebürstet und sie zu einem Knoten im Nacken hochgesteckt.

      Sie trägt ein enganliegendes Jackett, aber keine Bluse darunter, nur einen lila Spitzen-BH, und das sieht ganz schön raffiniert aus. Natürlich regen meine beiden Alten sich darüber auf, aber sie versuchen vor Ulf und Eva gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Ich seh es meiner Mutter an, daß sie sich sogar sehr aufregt – was Cammi bestimmt beabsichtigt hat.

      Wenn ich ehrlich sein soll, ist Cammi sehr schön. Und das hat nichts damit zu tun, daß sie hübsch ist und sich schminken kann – nein, sie ist von innen her schön. Ja, so ist es. Es gibt ja jede Menge hübscher Weiber, aber dieses ganz Eigene, dieses Besondere, das Innere, das haben nicht viele. Ich weiß nicht, was es ist – eine gewisse Sicherheit vielleicht?

      Mannomann, wenn ich nicht ihr Bruder wär, würde ich mich wahrscheinlich vom Fleck weg in sie verknallen. Und geil würde ich auch werden, dachte ich und spürte, daß ich ganz heiß im Gesicht wurde und wahrscheinlich errötete, aber das sah ja niemand. Eigentlich echt idiotisch, warum darf ich nicht erwähnen, daß ich geil auf sie werde, bloß weil sie meine Schwester ist?

      So viel vergeudete Energie, dachte ich dann, aber das findet sie selbst natürlich nicht, weil es ihr ja Spaß macht, sich zu schminken und zu kostümieren.

      Nach jahrelangem Gemecker und Gezeter (meine Mutter erlaubte es Cammi unter keinen Umständen, sich zu schminken, wahrscheinlich glaubte sie, Cammi würde vergewaltigt werden, wenn sie einen Lippenstift nur anschaute), wurde es der jungen Dame letztes Jahr gestattet, sich anzumalen. Sie legte mit unglaublicher Energie los, wahrscheinlich vor allem, um meine Mutter zu ärgern – und das gelang ihr ganz ausgezeichnet.

      (Jetzt lassen wir den Film wieder schneller durchlaufen:)

      Noch mehr Schnäpse und Hering und Kartoffeln und Knäckebrot, die Erwachsenen verzapfen immer größeren Blödsinn, je mehr Schnäpse sie kippen, der Tisch wird abgedeckt (von meiner Mutter, Cammi und mir), während die Herren sich mit dem Grill abmühen, meine Mutter trägt große Schüsseln mit Kartoffelsalat heraus, Weinflaschen werden geöffnet, die Steaks kommen auf den Grill, die Bill- und Bullköter rasen herum und betteln Frissifrassi.

      Der High-Tech-Grill hilft auch nichts, mein Steak schmeckt nach Brennspiritus – also muß es an meinem Vater liegen.

      Die Zwillinge stochern im Kartoffelsalat und möchten wissen, warum sie keine pommes frites zu ihren extra aufgewärmten Fleischklößchen kriegen.

      Ich esse und ich rede und ich höre mich selbst, als ob jemand neben mir stünde, der an meiner Stelle redet, und alles, was ich von mir gebe, klingt hohl und ganz schön öde. Ich habe nur einen einzigen Gedanken – hoffentlich fahren sie morgen früh rechtzeitig ab.

      Dann wird angestoßen, die Wolken sind immer noch tiefschwarz, aber es regnet nicht, die Hunde dösen, Cammi schaut mich lange an, ohne etwas zu sagen, und als ich ihrem Blick begegne, fällt es mir schwer, mich daran zu erinnern, daß dies Cammi ist, meine kleine Schwester, die da sitzt und fast unmerklich mit dem Kopf nach hinten nickt. Ich verstehe sofort, was sie meint, sie steht auf, bedankt sich fürs Essen und sagt, daß sie gleich wiederkommt.

      Kurz darauf bedanke ich mich ebenfalls fürs Essen, laufe ins Haus, hole Glimmstengel und Streichhölzer und schleiche wieder raus, geh die Treppe zur Garage runter, wo Cammi hinter der Ecke steht und wartet.

      „Heiliger Strohsack!“ seufzt sie. „Her mit ’ner Fluppe, sonst geb ich den Geist auf!“

      Cool, calm and collected

      Sie brauchten bis um vier am nächsten Nachmittag, bis sie endlich abdampften. Ich war natürlich unglaublich gereizt und ungeduldig, wartete seit den frühen Morgenstunden auf ihre Abreise, und ein paarmal wäre ich fast explodiert. Aber ich beherrschte mich und lächelte brav, während meine beiden Alten wie angesengte Rikscha-Chinesen durch die Gegend hoppelten. Ich begriff nicht, was sie eigentlich trieben, und wahrscheinlich wußten sie es selbst auch nicht so genau. Cammi blieb natürlich cool, nach dem Frühstück setzte sie sich in den Liegestuhl auf der Terrasse und dort blieb sie, bis der Aufbruch endlich kurz bevorstand.

      „Okay, dann fahren wir jetzt“, ächzte mein Vater zu guter Letzt. „Ruf an, wenn was sein sollte.“

      Dann quetschte er sich selbst und seinen Bauch hinters Lenkrad.

      „Und vergiß nicht, den Herd abends auszumachen“, rief meine Mutter aus dem Auto. „Und denk daran, daß –“

      Ihre Stimme wurde vom Automotor übertönt.

      Und dann fuhren sie ab.

      Der weiße Audi schaukelte die steile Auffahrt hinunter.

      Ich sah, daß Cammi sich umdrehte und leicht die Hand hob. Das bedeutete bei ihr winken.

      Unten an der Grundstücksgrenze hielt der Audi, und einen Augenblick lang befürchtete ich, sie hätten was vergessen, doch dann bog er auf die Straße hinaus und brummte davon.

      Das Motorengeräusch erstarb, und bald hörte ich nichts als den Wind, das Vogelgezwitscher und kreischende Seevögel in der Ferne.

      „I think I’m alone now“, dachte ich.

      Und genau das war ich auch.

      Ich war allein.

      Und sofort wurde ich ganz ruhig. Die Ruhe breitete sich in mir aus wie Tinte im Wasser, sie durchströmte meinen ganzen