Christian Handel

Palast aus Gold und Tränen


Скачать книгу

geholfen hatte. Aber viel genutzt hätte das nicht. Rose mochte es nicht, jemandem etwas schuldig zu sein – schon gar nicht einer Magiewirkerin.

      »Ich weiß, mein Vorschlag gefällt dir nicht. Lass uns bitte heute nicht darüber streiten. Vielleicht fällt uns bis morgen ja noch etwas anderes ein. Jetzt lass uns erst mal hier aufräumen.«

      Mit einem tiefen Seufzen stand Rose auf, fuhr mir im Vorbeigehen mit der Hand über die schwarzen Haare und ging hinüber zur Tür, um Besen und Kehrschaufel zu holen. Ich begann derweil damit, die Kräutersäckchen wieder in die Truhe zu räumen. Für heute hatte ich genug Chaos verursacht.

      Zu Hause

      Später lagen wir Seite an Seite in dem breiten Holzbett und beobachteten die blauen Linien, die an meinen Unterarmen wie Insekten herumkrabbelten. Ich hatte gehofft, mit der Zeit würden sie erstarren. Doch die Einzigen, die von Augenblick zu Augenblick träger wurden, waren Rose und ich. Seufzend zog ich schließlich die weißen Ärmel meines Nachtgewandes bis zu den Handgelenken hinunter, damit ich den Anblick der wandernden Symbole nicht länger ertragen musste.

      Ich schwitzte, und ich war mir nicht sicher, ob das an den Symbolen lag, die vom Hexenbuch zu mir übergesprungen waren, oder nur an den Sorgen, die ich mir deshalb machte. Trotzdem kuschelte ich mich eng an Rose. Ihre Nähe beruhigte mich.

      Es hätte wunderbar sein sollen, nach unzähligen Übernachtungen im Wald, auf der Straße oder auf Strohsäcken in irgendwelchen Herbergen endlich wieder ein paar Nächte in einem richtigen Zuhause zu verbringen. Dass ich das jetzt wegen des schiefgegangenen Rituals nicht genießen konnte, ärgerte mich. Ich liebte das alte, knarzende Holzbett, in dem Rose und ich schliefen, wenn wir ihre Familie besuchten. Früher hatten sie und ihre Schwester sich die kleine Dachkammer geteilt. Inzwischen war Leni ausgezogen, und auch wenn Rose viel unterwegs war, so gehörte das Zimmer doch inzwischen ganz ihr. Obwohl nicht allen in ihrer Familie die körperliche Seite unserer Beziehung ganz geheuer war, so hatten sie mich doch mit offenen Armen aufgenommen und ich fühlte mich nicht länger wie eine Fremde. Ich besaß nur wenige Habseligkeiten, an denen mir wirklich etwas lag. Jene, die ich bei der Dämonenjagd nicht bei mir trug, bewahrte ich inzwischen in der reich mit Schnitzereien verzierten Truhe am Fuß unseres Bettes auf.

      Wir kamen zwischen unseren Aufträgen sehr unregelmäßig hierher, aber wann immer wir ankamen – ob angekündigt oder nicht –, hatte Rose’ Mutter Helene die Betten gelüftet und kleine Beutelchen mit Lavendel unter die Kopfkissen gelegt. Wenn ich mich in die weichen Federn sinken ließ und den beruhigenden Duft einatmete, fühlte ich mich geliebt und geborgen.

      Jedenfalls für gewöhnlich.

      Jetzt konnte ich nur an meinen missglückten Zauber denken.

      »Es tut mir leid, dass ich darauf bestanden habe, es mit dem Grimoire zu versuchen.«

      Rose griff unter der Bettdecke meine Hand und drückte sie fest. »Das muss es nicht. Ich verstehe, warum du es wolltest.«

      »Trotzdem macht es dir weniger Angst, ins Zarenreich zu gehen.«

      Das war nämlich Rose’ Vorschlag, die Kindsmörderin zur Strecke zu bringen. Die Hexe befand sich im Körper des Mädchens, dem ich versprochen hatte, es zu rächen. Die Hexe hatte Margarete den Körper gestohlen, ehe sie sie getötet hatte. Gemeinsam mit Rose suchte ich seit dem Frühling nach ihr. Gerüchten zufolge hatte sie inzwischen einen Prinzen verführt. Wir wussten nicht, ob das stimmte. Da es uns sonst an Anhaltspunkten fehlte, hatten wir entgegen unserer sonstigen Gepflogenheiten die Dörfer und Wälder hinter uns gelassen und zogen durch die Städte. Doch die Kindsmörderin verwischte ihre Spuren gut. Jetzt hatten wir erfahren, dass im Zarenreich bald eine königliche Hochzeit stattfinden sollte, zu der Vertreter aus sämtlichen umliegenden Ländern eingeladen waren. Seit Tagen versuchte Rose, mich davon zu überzeugen, mit ihr die Grenze nach Osten zu überqueren und an den Feierlichkeiten teilzunehmen.

      »Zahlreiche Adelige werden dort versammelt sein«, pflegte sie täglich mindestens einmal zu sagen. »Wenn sie sich wirklich einen Prinzen unter den Nagel gerissen hat, werden wir sie mit hoher Wahrscheinlichkeit dort antreffen. Oder zumindest erfahren, wo sie sich aufhält.«

      Anders als Rose beunruhigte mich die Vorstellung, mich mit ihr auf einer königlichen Hochzeit einzuschleichen, zu der wir nicht eingeladen waren. In einem Reich, in dem wir auf dem Scheiterhaufen brennen würden, wenn jemand herausfand, dass wir uns liebten. Hierzulande mochten gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht gern gesehen sein, doch sie wurden immerhin nicht mit dem Tode bestraft.

      »Wir werden vorsichtig sein«, wischte Rose auch jetzt meine Gedanken beiseite.

      Zärtlich drückte ich ihr einen Kuss in die Halsbeuge. »Das könnten wir dort nicht machen.«

      »Es wäre nur für eine Weile. Und du weißt, was du mir bedeutest, auch ohne dass ich dir das ständig zeigen muss.«

      »Soll das heißen, das hier würde dir gar nicht fehlen?«, fragte ich unschuldig und begann, an ihrem Ohrläppchen zu knabbern.

      Rose drehte ihren Kopf und blickte mich mit funkelnden Augen an.

      »Du Biest!«

      Langsam beugte sie sich mit ihrem Gesicht näher und näher, öffnete die Lippen – und verzog sie zu einem spöttischen Lächeln. »Du weißt genau, wie sehr ich dich liebe.« Sie wich zurück. »Aber ich kann mich beherrschen.«

      Ich musste lachen und spürte, wie sich der Druck auf meiner Brust langsam verflüchtigte. Gemeinsam würde uns schon etwas einfallen, wie ich diese verfluchten Symbole wieder loswurde. Irina würde wissen, was zu tun war.

      »Vielleicht sollten wir das Grimoire bei Irina lassen.«

      »Vielleicht …« Rose klang nicht überzeugt. »Hältst du es wirklich für eine gute Idee, das Buch bei einer wie ihr zu lassen?«

      »Irina wirkt weiße Magie.«

      »Letztes Jahr um diese Zeit hätte ich gesagt, so etwas wie weiße und schwarze Magie gibt es nicht. Sondern nur Magie. Dass es keinen Unterschied macht, ob sich jemand als Hexe, Zauberin, Fluchbringer oder Magier bezeichnet.«

      »Bevor du erfahren hast, dass meine Mutter eine Selkie war.« Meine Stimme klang traurig.

      Rose lehnte ihren Kopf an meinen.

      »Ich liebe dich deshalb nicht weniger, das musst du mir glauben.« Sie seufzte tief. »Damals war die Welt … einfacher.«

      »Sie war nicht einfacher, Rose. Es kam dir nur so vor.«

      »Ich weiß«, sagte sie, und dann schwiegen wir eine Weile.

      »Es ist nur …« Sie schlug die Decke zurück und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen aufs Bett, mir gegenüber, damit sie mir direkt in die Augen sehen konnte. »Seit wir im Haus der Hexe waren. Seit deinen Visionen. Du … es gefällt dir, mit der Magie zu experimentieren, habe ich recht?«

      Rose’ rote Locken reflektierten das Licht der Kerze auf dem Nachttisch. Ihr Gesicht schien selbst wie in Flammen getaucht und die Sommersprossen auf ihrer Nase und ihren Wangen hoben sich deutlich von der sonnengebräunten Haut ab.

      Unschlüssig zupfte ich mit den Fingern an einem der Bänder um mein Handgelenk, ließ das aber gleich wieder bleiben, als es sich zu lösen drohte.

      »Als ich Orkney verlassen habe, dachte ich, ich könnte alles hinter mir zurücklassen. All die traurigen Erinnerungen. An meine Mutter, die gegangen ist. An meinen Vater, der ihr auf seine Art folgte. An Tante Raelyn, für die ich einfach nicht die Tochter sein konnte, die sie sich wünschte.« Ich griff nach ihrer Hand. »Eine Zeit lang ist mir das gelungen. Ich habe ein neues Leben begonnen. Mit dir habe ich endlich die Familie gefunden, von der ich immer geträumt habe.«

      Rose lächelte und ich drückte ihre Hand fester.

      »An jenem Morgen auf dem Grundstück der Hexe, als ich meinen ersten Zauber seit Jahren gewebt habe … Ich habe es nicht sofort bemerkt, aber inzwischen weiß ich, dass ich nicht nur die schlechten