Christian Handel

Palast aus Gold und Tränen


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      »Passt auf bei der Treppe«, rief Irina uns zu, während sie vom Flur in eines der hinteren Zimmer abbog. »Den schwarzen Fleck dort habe ich immer noch nicht wegbekommen. Normalerweise ist er nur gefährlich, wenn man in den ersten Stock hinaufwill. Aber wenn Gäste im Haus sind, ist er unberechenbar.«

      Unbehaglich warf ich einen Blick nach rechts. Das Zwielicht am Fuß der Treppe schien noch eine Spur düsterer zu sein als im restlichen Flur und irgendwie … kälter. Die Stelle löste widerstreitende Gefühle in mir aus: Beunruhigung, aber auch eine seltsame Faszination. Wie ein grauenhaftes Gemälde, von dem man einfach nicht den Blick abwenden konnte. Mein Herz begann zu klopfen und ich hatte das Gefühl, die Tintenflecken auf meinen Unterarmen herum­krabbeln zu spüren.

      Rose schloss zu mir auf und legte mir die Hand auf die Schulter. Ob sie mich damit beruhigen wollte oder eher sich selbst, wusste ich nicht. Ihr ganzer Körper war angespannt.

      »Komm«, stieß sie gepresst hervor und schob mich weiter.

      Erleichtert atmete ich auf. Ich wusste selbst nicht weshalb, und schritt durch einen Türbogen in einen großen, lichten Raum, dessen hintere Fensterfront vom Fußboden bis zur Decke aus trübem Glas bestand. So dunkel es im Flur gewesen war, so hell war es hier.

      Irina ging zu einem mächtigen Eichenholztisch in der Mitte des Raums. Darauf standen nicht nur allerlei Pflanzen, sondern auch Korbschalen, Tongefäße und Glasfläschchen. Vor Irina lagen ein hölzernes Schneidebrett und ein kleines Messer. Sie ergriff Mörser und Stößel. Hexenküche, schoss es mir durch den Kopf. Doch der Raum war so ganz anders als die unterirdische Gift- und Folterkammer der letzten Hexe, deren Haus wir betreten hatten. Wo uns das Grimoire in die Hände gefallen war. Das Kellerverlies jener Hexe hatte nach Blut, Angst und Tränen gestunken. Dieser Raum roch nach Frühling, Freundlichkeit und Leben.

      »Wenn ihr Durst habt: Auf der Anrichte dort hinten steht ein Krug mit verdünntem Apfelsaft. Entschuldigt bitte, dass ich euch nicht selbst einschenke. Morgen ist Markttag und es gibt noch viel zu tun.«

      Rose griff demonstrativ nach ihrer Wasserflasche am Gürtel und trank einen tiefen Schluck. Innerlich verdrehte ich die Augen, beschloss allerdings, keinesfalls auf das Thema einzugehen.

      »Die Mühle ist unglaublich!«, platzte es stattdessen aus mir heraus.

      Irina blickte auf und lächelte mich herzlich an. »Danke.« Sie deutete mit dem Kinn auf die Bank, die auf der anderen Seite des Tisches stand. »Setzt euch.«

      Rose setzte zu einer Erwiderung an, aber ehe sie ablehnen konnte, zog ich sie mit mir zur Bank und ließ mich darauf nieder. Unsere Gastgeberin nahm auf einem Holzstuhl Platz, legte jedoch Mörser und Stößel nicht aus der Hand.

      »Wie hast du das so schnell geschafft?«, fragte ich neugierig.

      Irina grinste mich spitzbübisch an. »Magie.«

      Mir wurde gleichzeitig heiß und kalt.

      »Was führt euch zu mir?« Irina zupfte ein paar Blätter von einer Pflanze ab, um sie in den Mörser zu geben.

      »Ich dachte, das wüsstest du. Hast du uns nicht erwartet?« Rose’ forscher Ton trieb mir die Röte ins Gesicht. Möglichst unauffällig trat ich ihr unter dem Tisch auf den Fuß.

      Irina lachte nur. Der Bachstelze, die bis dahin auf ihrer Schulter gesessen hatte, wurde es offenbar zu unruhig auf ihrem Platz. Sie flog nach oben ins Gebälk, um sich dort niederzulassen. »Ich sehe, du hast immer noch deine Dornen. Warum kommst du zu mir, wenn du mir nicht traust?«

      Ehe Rose antworten konnte, trat ich mit dem Fuß noch einmal zu. Fester diesmal.

      »Sei uns nicht böse«, sagte ich schnell.

      »Das bin ich nicht.«

      Einen Augenblick lang schwiegen wir. Dann stellte Irina klappernd den Mörser beiseite und stand auf, um uns Apfelsaft einzuschenken.

      Als sie uns die Getränke demonstrativ vor die Nase stellte, blitzten ihre Augen. »Ich weiß, dass du nicht aus reiner Höflichkeit auf einen Nachbarschaftsbesuch gekommen bist, Rosalie Lennards­tochter. Also: Was willst du?«

      »Sie ist mit mir gekommen, weil ich sie darum gebeten habe. Ich bin es, die deine Hilfe braucht.« Ehe sie etwas erwidern konnte, nestelte ich an dem Hornknopf an meinem Ärmelbund herum und schob dann den Stoff nach oben, um den Unterarm freizulegen.

      Als sie die Zeichen erblickte, finsterblau auf meiner schneeweißen Haut, sog Irina scharf die Luft ein. »Was ist das?!«

      »Wir hatten gehofft, dass du uns das sagen könntest.« Rose’ Stimme klang nun nicht mehr angriffslustig.

      »Sie sind von einem Zauberbuch«, sagte ich niedergeschlagen. »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.«

      Irina kam um den Tisch herum und setzte sich neben mich auf die Bank.

      »Was für ein Zauberbuch?«

      »Ein Grimoire.«

      »Ich hab es dabei.« Rose ließ ihren Lederbeutel von der Schulter gleiten. Irina nahm meine Hand in ihre und beugte sich nah zu meinem Unterarm herunter. Die Symbole und Schlangenlinien führten wilde Tänze auf.

      »Sind sie nur dort?«

      Ich schüttelte den Kopf. »Auch auf dem anderen Unterarm.«

      »Darf ich?«

      Irina wartete meine Antwort nicht ab und schob auch den anderen Ärmel nach oben. In ihrer Miene spiegelte sich eine Mischung aus Faszination und Entsetzen, als sie eine Tintenspinne dabei beobachtete, wie sie sich zwischen zwei zackigen Runen hindurchquetschte und dann auf der Rückseite meines Arms verschwand.

      »Hast du das gemacht?« Irina deutete auf die Bänder, die ich immer noch um meine Oberarme und Handgelenke gebunden trug.

      »Rose hat mir geholfen.«

      »Salbei und Rosenwasser?«

      Ich nickte. »Und Minze.«

      »Kluges Mädchen.« Sie umschloss meine Hände fest mit den ihren. »Ich will dich nicht anlügen, Muireann. Das, was ich sehe … das sind keine harmlosen Symbole auf deinen Armen. Das ist Hexenwerk.«

      Ich schluckte.

      »Hier ist das Buch.« Rose klang ungewohnt leise, als sie das Grimoire vorsichtig auf den Tisch legte. Irina streckte den Arm aus, um es zu sich zu ziehen, aber sobald sie das bronzebeschlagene Leder berührte, zuckten ihre Finger zurück, als hätte sie sich verbrannt. Ihre Hände ballte sie zu Fäusten.

      »Wo habt ihr das her?«, fragte sie scharf und ich konnte sehen, wie sich ihr Brustkorb schneller hob und senkte als gewöhnlich.

      »Aus dem Keller einer Hexe«, sagte ich. »Es ist eine längere Geschichte.«

      Irina verschränkte die Arme. »Wenn ich euch helfen soll, muss ich alles wissen.«

      Also erzählten Rose und ich ihr abwechselnd die ganze schreckliche Geschichte.

      Pflanzenmagie

      Vor ein paar Monden haben wir den Auftrag angenommen, eine Hexe aufzuspüren und zur Strecke zu bringen. Genauer gesagt, ihren Geist«, begann Rose.

      Irina runzelte die Stirn. »Ihren Geist

      Ich schob den Stoff meines Hemdes wieder über meine Unterarme. »Zumindest dachten wir das. Wie sich herausstellte, war die Hexe gar nicht tot.«

      »Die Dorfbewohner, die uns um Hilfe baten, nahmen das an, weil eines ihrer Opfer, ein Mädchen, ihr entkommen war und behauptet hatte, die Hexe in ihrem eigenen Backofen verbrannt zu haben.«

      »Eine Lüge. Margarete konnte die Hexe zwar in deren eigenen Ofen stoßen. Der Hexe gelang es jedoch im letzten Moment, mit Margarete den Körper zu tauschen.« Plötzlich glaubte ich das Fauchen von Flammen zu hören. Einen Moment lang war ich wieder im Backofen der Hexe, zurückversetzt in eine meiner