Christian Handel

Palast aus Gold und Tränen


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Mutter bin. Weil ihr das Meer wichtiger war als ihr kleines Mädchen. Doch damals am Strand, Rose … Wenn sie sicher war, dass uns niemand beobachten konnte, brachte sie Muschelschalen dazu, vor uns im Kreis zu tanzen, und färbte durch einen Handstreich und einen gemurmelten Zauber die Federn einer Möwe von weiß zu rosa. Um mich zum Lachen zu bringen. Es lag nichts Arglistiges in ihrer Magie.«

      »Und du meinst, der Möwe hat es gefallen, rosafarbene Federn zu besitzen?«

      »Es war doch nur für ein paar Augenblicke«, sagte ich und zog mich von ihr zurück. »Vielleicht habe ich es auch schlecht erklärt.«

      »Tut mir leid, wenn ich den Finger in die Wunde lege, Mui­reann. Aber es ist längst an der Zeit, dass wir darüber sprechen. Früher sind wir nur mit Messern und Bögen auf Jagd gegangen. Den letzten Mühlenkobold hast du mit einem deiner Sprüche aus seinem Versteck getrieben.«

      »Und es hat uns eine Menge Zeit gespart.«

      Rose nickte. »Das hat es. Aber es fühlt sich falsch an, die Dinge so zu erledigen, wenn wir eigentlich diejenigen sind, die Monster, Hexen und Dämonen jagen. Wenn wir uns ihre Methoden zu eigen machen …«

      »Gegen einen Schutzkreis hast du allerdings ganz und gar nichts«, unterbrach ich sie beleidigt.

      Sie ließ den Kopf hängen. »Da hast du wohl recht. Vielleicht sollten wir auf ihn künftig ebenfalls verzichten.« Sie fuhr sich unschlüssig durchs Haar. »Er erschien mir so harmlos.«

      »Er ist nicht nur eine Linie aus Salz, wenn es das ist, was du glaubst.« Meine Stimme klang angriffslustiger, als ich es beabsichtigt hatte. »Ohne den richtigen Spruch und den entsprechenden Einsatz von Magie wäre er vollkommen nutzlos.«

      »Vielleicht hast du recht. Vielleicht gibt es wirklich Zauberei, die nicht schadet. Aber ich mag es nicht, wenn du einfach so mit der Magie herumexperimentierst.«

      »Ich weiß genau, was ich tue.«

      »Tust du das?« Mit hochgezogenen Augenbrauen richtete sie ihren Blick auf meine Unterarme.

      »Das ist gemein«, sagte ich und zupfte verlegen an den Ärmel­säumen meines Schlafgewands. »Du warst damit einverstanden, dass wir es versuchen.«

      »Das war ich. Und es war ein Fehler.«

      In diesem Moment war ich so wütend und enttäuscht von ihr, dass ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte. Dabei hätte mich ihre Reaktion eigentlich nicht überraschen dürfen.

      Einen Moment später lenkte sie ein. »Vielleicht war es auch kein Fehler, Muir. Ich will mich nicht mit dir streiten. Ich gebe zu, dass uns deine kleinen Zaubertricks in den letzten Wochen oft geholfen haben. Das ändert nichts daran, dass sie mir Angst machen.«

      »Angst? Vor mir?«

      »Nicht vor dir! Um dich.«

      Sie griff wieder nach vorn und zog meine Hände in ihren Schoß. »Denk daran, was Irina gesagt hat, als wir sie das erste Mal um Hilfe gebeten haben: Magie hat immer ihren Preis.«

      »Meine Mutter hat jahrelang …«

      »Du bist aber keine Selkie.«

      Ich wollte meine Hände zurückziehen, Rose ließ jedoch nicht los. Stattdessen sah sie mir tief in die Augen. »Ihr Blut mag in deinen Adern fließen. Trotzdem bist du keine von ihnen. Du bist ein Mensch. Und jeden Zauber, den du sprichst, bezahlst du mit einem Stück deiner selbst.«

      Dem konnte ich nichts entgegensetzen. Nicht viele Menschen konnten Magie wirken. Die, die es taten, wurden vor ihrer Zeit alt und welk, bekamen schmerzende Buckel, triefende Nasen und wässrige Augen. Die Magie war das Feuer, das sie nach und nach auffraß. Es war die eigene Lebensenergie, mit der ein Magiewirker für jeden Spruch bezahlte. Oder die Lebensenergie eines anderen. Das taten die verabscheuungswürdigen Kreaturen, die wir jagten. Sie bezahlten ihre faulen Zauber mit fremder Währung. Sie stahlen die Energie anderer. Sie bluteten Kinder aus, um durch fremdes Leben selbst jung und schön zu bleiben. Wie es die Hexe getan hatte, deren Grimoire bei uns in der Dachkammer lag. Wie ich es aber nie, nie, niemals tun würde. Was bedeutete: Wenn ich Magie einsetzte, alterte ich ein winziges Stückchen schneller, als es die Natur vorsah.

      »Ich will dich nicht verlieren«, flüsterte Rose kläglich. »Nicht deshalb.«

      Und mit diesen Worten verlosch meine Wut.

      »Ich wollte dir keine Angst machen.«

      Sie zog mich in ihre Arme und ich vergrub meinen Kopf in ihren Haaren. Normalerweise rochen sie nach Kamille und Frühling. Jetzt hing noch der Rauch der verbrannten Mondraute darin.

      »Ich will dir doch gar nicht verbieten, dich mit deinem Erbe auseinanderzusetzen.« Sie streichelte mir sanft über den Rücken. »Ich wünschte mir nur, du würdest dich bei der Jagd wieder etwas mehr auf deinen Silberdolch verlassen und etwas weniger auf deine Magie.«

      Ich wagte nicht zu antworten, weil ich nicht genau wusste, was ich sagen sollte. Ich wollte Rose nicht anlügen. Einen Moment lang verharrten wir in unserer Umarmung, dann lösten wir uns langsam voneinander.

      »Es ist spät, wir sollten versuchen zu schlafen.«

      Ich nickte und ließ mich zurück in mein Kissen fallen.

      Rose stand noch einmal auf, um das Fenster einen Spalt zu öffnen, damit frische Luft und die Kühle der Nacht in die Dachkammer strömen konnten.

      »Was hältst du davon, wenn ich dich wieder im Stabkampf unterrichte?«, fragte sie, während sie unter die Decke schlüpfte.

      Ich zog eine Grimasse. »Das lassen wir lieber. Darin war ich nie sonderlich gut.«

      Rose kicherte. »Das kann man so nicht sagen. Da musst du dir nur die Narbe ansehen, die ich von unserer letzten Kampfstunde zurückbehalten habe.«

      Die sichelförmige Narbe an ihrer linken Schulter verdankte Rose nicht meinem Kampfgeschick. Als ich sie während einer unserer Übungsrunden einen Waldhügel hinunterjagte, war ich auf nassem Laub ausgerutscht und der Länge nach hingefallen. Den Kampfstab hatte ich dabei dummerweise nicht losgelassen und Rose mit der harten Kante seines oberen Endes die Haut auf dem Rücken aufgerissen. Sie musste mit vier Stichen genäht werden. Und es war die einzige ernsthafte Wunde, die ich ihr beim Stockkampf jemals zugefügt hatte.

      »Wir können gern morgen gegeneinander antreten, wenn du Lust auf weitere Narben hast.« Spielerisch boxte ich ihr gegen die Schulter. Dabei rutschte mein Hemdsärmel nach hinten. Die blauen Tinten­linien auf meinem Unterarm bewegten sich nun nicht mehr so schnell, schienen jedoch dunkler geworden zu sein. Täuschte ich mich, oder ging ein sanftes Glühen von ihnen aus? Als ich Rose anblickte, erkannte ich, dass sie es auch bemerkte. Ich schluckte. Rose sammelte sich als Erste und zog mir energisch wieder den Stoff über den Arm.

      »Morgen gehen wir als Erstes zu Irina«, sagte sie. »Schlaf jetzt, und mach dir keine Sorgen mehr.«

      Das war freilich unmöglich.

      Trotzdem ließ ich es dabei bewenden und erwiderte nicht mehr als »Gute Nacht«, als sie mir einen Kuss auf die Wange hauchte. Danach beugte sich Rose über mich, um die Kerze auf dem Nachtschränkchen auszublasen, und zog mich fest in ihre Arme. Mein Kopf lag an ihrer Brust und ich konnte ihren schnellen Herzschlag hören.

      In dieser Nacht träumte ich das erste Mal von Schnee.

      Das Frühstück mit der Ziege

      Am nächsten Morgen waren die Tintensymbole immer noch da. Mit einem Seufzen schlüpfte ich in ein violett eingefärbtes Leinenhemd, dessen Ärmel eng anlagen und so meine Unterarme bedeckten. Die roten Bänder versteckte ich so gut wie möglich unter den Bünden. Beim Waschen hatte ich sorgfältig darauf geachtet, sie nicht mit Wasser zu benetzen, auch wenn ich keine Ahnung hatte, ob das wirklich nötig war. Dann gingen Rose und ich nach unten, um ihrer Familie bei der Hofarbeit zu helfen. Normalerweise liefen wir jeden Morgen einige Meilen, um in Form zu bleiben. Bei der Dämonenjagd kam es oft darauf an, schnell zu sein,