Örjan Persson

Pferdeferien oder die Reise nach Kopenhagen


Скачать книгу

das war sicher wieder eine Abschweifung von Petrus’ Gedicht. Es ist verrückt, wie leicht man abschweift, wenn man über Pferde redet.

      Wenn Dein Herz mal wieder bricht, wie bei Christer, diesem Wicht.

      Diese zwei Zeilen hätte er lieber nicht schreiben sollen. Obwohl sie zutrafen, das kann ich nicht abstreiten. Es tut immer noch weh in der Herzgegend, wenn ich an Christer denke. Und es ist auch noch gar nicht so furchtbar lange her, daß wir auseinandergegangen sind. Unsere Trennung war eher brutal, und ich hoffe, daß ich nie mehr in meinem Leben so etwas durchmachen muß.

      2

      Es war in den Sommerferien.

      Mia wollte mit einer Freundin zu einem Sprachkurs nach Frankreich fahren. Petrus wollte für zwei Wochen nach Finnland, um ein Mädchen zu treffen, das er im vorigen Sommer im Schärengarten von Stockholm kennengelernt hatte. Sie heißt Anja, und sie ist hörgeschädigt. Aber Petrus hat sich über beide Ohren in sie verliebt, und den ganzen Winter über hat er einen Kurs besucht, um die Zeichensprache zu lernen, damit er sich beim nächsten Mal mit Anja unterhalten kann. Und offenbar hat er einiges gelernt, denn als er aus Finnland zurückkam, sprach er nur von Anja und erzählte mir, was sie dachte und meinte.

      Papa und Cilla wollten gemeinsam mit den Kindern von Cilla, Kerstin und Oskar, nach Schonen fahren. Kerstin ist elf und Oskar acht.

      Und ich? Ich hatte die Wahl, allein mit meinem Pferd Mister daheim zu bleiben oder mit nach Schonen zu fahren.

      Meine Mutter, also die Frau, mit der Papa in erster Ehe verheiratet war, mußte den ganzen Sommer arbeiten, mit ihr konnte ich also auch nichts unternehmen. Sonst sind Mia, Petrus und ich immer einen Teil der Ferien bei ihr. Vor allem Petrus, denn ich habe ja meinen Mister, und Mia hat auch ein Pferd gehabt, das vor ihrer Reise nach Frankreich verkauft wurde. Sie hatte keine Zeit mehr für das Pferd, sagte sie, aber es war nicht schwer zu erraten, welches Interesse die Oberhand gewonnen und wofür Mia jetzt mehr Zeit hatte: für Jungen.

      Nach langen Überlegungen beschloß ich, mit nach Schonen zu fahren. Ich wollte nicht allein zu Hause sitzen und zwei endlose Wochen vor mich hinstarren. Und ich merkte, daß sich Papa und Cilla sehr über meinen Entschluß freuten. Die zwei Kleinen übrigens auch.

      Ich dagegen freute mich gar nicht, entsprechend verdrossen war ich bei der Hinreise. Ich lag auf dem hintersten Sitz im VW-Bus und las ununterbrochen, redete kein Wort. Sogar wenn Oskar rief: „Schau Eva, Pferde!“ stützte ich mich nur unwillig auf und starrte zu den Pferden hinüber, an denen wir vorbeifuhren. Je weiter wir nach Süden kamen, um so mehr Pferde sahen wir, und schließlich fauchte ich Oskar an, er solle den Mund halten. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich Mister allein gelassen hatte. Dabei wußte ich, daß er bestens versorgt war. Und ich war ja nur zwei Wochen fort.

      Der arme Oskar wurde ganz still, mein Verhalten war ziemlich gemein. Ich wußte ja, daß er mich nur ein bißchen aufheitern wollte.

      Papa hat einen entfernten Verwandten in Schonen, Graf Olsson. Dieser Graf Olsson besitzt ein Schloß, ein richtiges Schloß mit vielen Zimmern und einem hohen Turm.

      Keiner von uns war jemals dort gewesen, und nicht einmal Papa wußte besonders viel von Graf Olsson. Bis unser Vater eines Tages einen Brief erhielt, in dem Graf Olsson uns einlud, in den Sommerferien auf sein Gut zu kommen.

      Papa und Cilla waren anfangs unsicher, ob sie zusagen sollten, aber weil sie nichts anderes vorhatten, fuhren wir hin. Es würden billige Ferien werden, und ich nehme an, daß das den Ausschlag gab. Papas Truthahnfarm war einige Jahre sehr schlecht gegangen, und schließlich hatte er den Betrieb verkaufen müssen. Nicht den Hof natürlich, aber die Truthähne und das, was man zur Aufzucht dieser Tiere benötigt. Er versuchte es dann mit Schafen, fing mit zwanzig jungen Mutterschafen an, die im Frühjahr achtundzwanzig Lämmer bekamen. Aber große Einkünfte waren vorerst nicht zu erwarten, und wir lebten von Cillas Gehalt und einigen Nebenjobs, die Papa hatte.

      „Hat er keinen Vornamen, dieser Graf?“ fragte ich, als wir daheim am Küchentisch saßen und über den kommenden Sommer redeten.

      „Doch“, sagte Papa, „muß er ja wohl. Aber ich habe ihn nie gehört.“

      „Er heißt natürlich mit Vornamen Graf“, sagte Kerstin, die alles weiß.

      „Er wird nicht Graf heißen“, sagte ich. „Er ist Graf, kapierst du das nicht? Und er hat irgendeinen Vornamen, ist doch klar!“

      „Olsson!“ sagte Kerstin. „Wer Olsson heißt, ist kein Graf!“

      „Ja, Kerstin, ich glaube, daß er weder Graf ist noch so heißt“, sagte Papa lachend. „Er nennt sich vermutlich nur so. Wenn ich mich nicht irre, ist er zwar aus adliger Familie, aber seine Großmutter oder sein Großvater ..., einer von beiden verlor jedenfalls aus irgendeinem Grund den Titel. Besonders schlau scheint er nicht zu sein, dieser Olsson. Irgendwann in den vierziger Jahren kam er, ich weiß nicht wie, in den Besitz des alten Familiengutes. Er bewirtschaftet das Land nicht selbst, er hat alles verpachtet. Und das Schloß selbst ist, soviel ich weiß, ziemlich verfallen.“

      „Das wird ja unheimlich spannend“, rief Oskar. „Ein Spukschloß! Weißt du, ob es dort auch Gespenster gibt? Die mit Ketten rasseln und stöhnen und röcheln? Und eine weiße Frau, die um Mitternacht erscheint?“

      „Sicher“, sagte Papa. „Das nehme ich an. Das ist ja in allen alten Schlössern so.“

      „Könnten wir nicht lieber nach Gotland fahren?“ fragte Kerstin. „Wo es richtig schön ist?“

      „Entfällt“, sagte Papa. „Ich liebe Gotland zwar, aber jetzt haben wir die Gelegenheit, in einem Spukschloß zu wohnen! Und das dürfen wir uns nicht entgehen lassen.“

      Oskar nickte eifrig, aber Kerstin konnte sich nicht recht begeistern.

      „Das mit den Gespenstern wird schon nicht so schlimm werden, Kerstin“, sagte Cilla. „Die verschwinden vermutlich fluchtartig, wenn wir da einziehen.“

      „Jedenfalls heißt er Graf“, sagte Kerstin. „Und ich weiß nicht, was daran komisch ist.“

      Petrus wollte also zu seiner geliebten Anja, aber von dort aus wollte er auch nach Schonen kommen und die letzten Ferientage mit uns verbringen.

      Gegen Abend kamen wir nach Schonen. Es war schon ziemlich spät und bereits dunkel. Es war nicht einfach, Sellerup, so hieß das Gut, zu finden, aber schließlich fuhren wir durch eine lange Allee und kamen auf einen großen Hofplatz, der von großen, dunklen Gebäuden begrenzt war.

      Direkt vor uns lag das Schloß, und in der Dunkelheit sah es richtig gespenstisch aus. Im Erdgeschoß waren einige Fenster beleuchtet, und Papa ging an zwei grinsenden Steinlöwen vorbei zu dem Eichenportal und klopfte mit dem Türklopfer. Über den Löwen brannten zwei trübe Lampen, und in dem spärlichen Lichtschein war nicht viel Phantasie nötig, damit die Raubtiere sich bewegten und sich das Maul leckten.

      Ich stieg aus dem Bus und streckte Arme und Beine. Nachdem das Echo des Türklopfers verklungen war, hörte man keinen Laut mehr. Unsere Ankunft schien niemand bemerkt zu haben.

      „Wir fahren nach Gotland“, sagte Kerstin im Bus.

      „Seltsam“, sagte Papa. „Warum macht niemand auf? Haben sie uns nicht gehört? Sie wissen doch, daß wir kommen!“

      Er packte noch einmal den Türklopfer und knallte mehrere Male gegen die Tür.

      Nach einer Weile erschien in einem der Fenster ein Gesicht, und kurz darauf erschien ein alter Herr in Anzug und Krawatte und öffnete.

      „Na so was. Da seid ihr ja!“ sagte er. „Denn ihr seid es doch?“

      „Ja, wir sind es“, erwiderte Papa gereizt. „Wir stehen hier schon einige Zeit und klopfen.“

      „Klopfen?“ fragte der Alte erstaunt. „Warum benützt ihr nicht die elektrische Klingel?“ Er deutete auf einen gut sichtbaren Knopf neben der Tür. „Gibt es so moderne Einrichtungen bei euch noch nicht? Wißt ihr“,