Örjan Persson

Pferdeferien oder die Reise nach Kopenhagen


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rief der Graf. Er saß hinter einem großen, metallenen Steuerrad.

      „Ist es nicht besser, wir nehmen den Bus?“ schrie Papa zurück.

      „Geht nicht“, erwiderte der Graf. „Der würde im erstbesten Graben steckenbleiben. Kommt schon, ich kann nicht mehr lange stehen bleiben!“

      Wir sahen, wie das Gefährt ungeduldig ruckte und zitterte.

      „Mit dem Ding fahre ich nicht mit!“ sagte Cilla entschlossen. „Und ihr auch nicht!“

      „Na“, sagte Papa, dem die Abenteuerlust in den Augen blitzte, „es wird schon nicht so schlimm werden. Komm, Cilla!“

      „Ich bin jedenfalls dabei“, sagte ich und schielte zu Cilla hinüber. Wenn sie nicht mitwollte, sollte sie doch hierbleiben.

      Aber Cilla änderte ihre Meinung noch. Sie beschloß, zusammen mit Kerstin mitzufahren. Wir kletterten über eine Art Leiter auf eine Ladefläche mit Bänken, zuerst ich, dann Cilla und Kerstin etwas unsicher, und als letzter Papa, der bester Laune zu sein schien.

      Oskar saß neben dem Graf auf dem Vordersitz und war selig, als das Gefährt krachend und prustend die Allee entlangrollte. Mir war nicht klar, ob das Gefährt überhaupt noch zugelassen war. Der Wagen war offen, hatte sechs oder acht Räder, und die hohe Ladefläche, auf der wir saßen, faßte etwa zehn Personen. Der Graf erzählte dann, daß der Wagen fast ganz selbstgebaut war. In den Jahren zwischen 1920 und 1930 war ein Schmied auf dem Gut beschäftigt gewesen, und der hatte das Fahrzeug konstruiert und gebaut, ganz nach seiner Vorstellung. Und es hat seit über fünfzig Jahren tadellos funktioniert.

      Als wir zur Landstraße kamen, bog der Graf nicht ein, sondern überquerte sie geradeaus und fuhr direkt auf ein Roggenfeld.

      „Machst du nicht die Ernte kaputt?“ schrie Papa, der an seine kleinen Ackerstreifen zu Hause dachte, wo jeder Halm so wertvoll war, daß man kaum mit einem Pferd oder ähnlichem in die Nähe kommen durfte.

      „Bagatelle“, antwortete der Graf. „Der Acker ist hundert Hektar groß. Da merkt man das nicht.“

      Wir setzten die Fahrt fort, über Waldwege neben hohen Bäumen, an endlosen Kartoffeläckern und Weizenfeldern vorbei, nichts schien den Graf und seine Maschine aufhalten zu können. Nicht einmal tiefe Schlammlöcher.

      Nach einer halben Stunde heftigen Durchschüttelns über die Besitztümer des Gutes hielt der Graf vor einem kleinen Hof an. Das Wohnhaus war aus gelben Backsteinen gebaut, die anderen Häuser waren rot gestrichen und sahen hübsch aus.

      Und hinter den Häusern sah ich am Waldrand mehrere braune Pferde mit drei Fohlen.

      Der Graf bat Oskar, abzusteigen und erklärte ihm, daß er an einem Splint ziehen und einen Hahn zudrehen solle. Der Motor erstarb mit einem Seufzer, das Gefährt ruckte noch ein paarmal, und dann wurde es „ohrenbetäubend“ still. Ich atmete auf und ließ die Rückenlehne meines Sitzes los, die ich während der Fahrt krampfhaft umklammert hatte.

      „Hier wohnt Ingmar Bergman“, sagte der Graf.

      „Wer?“ fragten Papa und Cilla wie aus einem Mund.

      „Ich sagte, daß hier Ingmar Bergman wohnt“, wiederholte der Graf und blickte Papa und Cilla streng an. „Dieser Hof gehört zu Sellerup. Ingmar hat ihn gepachtet.“

      „Aber ... er wohnt doch auf Fårö, wo all die Berühmtheiten wohnen, wenigstens im Sommer“, protestierte Papa.

      „Er wohnt jedenfalls hier“, sagte der Graf. „Wir gehen rein und sagen guten Tag.“ Er kletterte vom Fahrersitz.

      In diesem Augenblick kam ein kleines rundliches Männchen in blauer Latzhose aus einem der Häuser.

      „Da bist du ja“, sagte der Graf. „Das sind Verwandte von mir, denen ich den Hof zeigen möchte. Sie glauben nicht, daß du wirklich hier lebst!“

      „Ich dachte natürlich an einen anderen Ingmar Bergman“, sagte Papa verlegen. Dann fragte er, was für Pferde drüben am Waldrand weideten. Das hätte ich ihm nun auch sagen können. Vollblutaraber sind nicht zu verwechseln. Ingmar erzählte, daß er Araber züchte und daß der Hof, der Lilla Kulltorp heiße, dazu ausgezeichnet geeignet sei.

      Auf der Weide waren sechs braune Araberstuten, ihre Fohlen waren ebenfalls braun. Ich fragte, ob ich zu ihnen gehen dürfe, und erhielt die Erlaubnis.

      Die Fohlen waren neugierig und wären gern zu mir gekommen, aber ihre Mütter zogen sich, als ich mich näherte, zurück, so daß die Fohlen ihnen folgten. Nachdenklich sah ich ihnen nach.

      Und da rief auch schon Papa, daß wir weiterfahren wollten. Der Graf und Oskar warfen bereits den Motor an, und die Pferde galoppierten sofort davon. Eine junge Stute geriet in Panik und ging auf der Koppel durch. Das war ein herrlicher Anblick – ein junges Rassepferd in voller Geschwindigkeit und fast in freier Natur.

      Ich riß mich von den Pferden los und ging zurück zum Hof. Aber ehe ich hinkam, hörte ich vom Stall her lautes Wiehern. Da fühlte sich jemand einsam und verlassen und wieherte nach Gesellschaft. Ich mußte ganz einfach wissen, wer das war! Ich fragte Ingmar, der neben der abscheulichen Maschine des Grafen stand.

      „Das ist Amadeus“, sagte er. „Mein Hengst. Möchtest du ihn anschauen?“

      „Ich werde zu Fuß nach Hause gehen!“ rief ich den anderen zu, die bereits auf der schwankenden Ladefläche saßen.

      „Findest du den Weg?“ fragte Cilla besorgt.

      „Natürlich. Ich finde schon heim!“

      „Von hier bis zum Schloß ist es nicht sehr weit“, sagte Ingmar beruhigend. „Ich kann ihr eine Abkürzung durch den Wald zeigen. Dann dauert es nur zehn Minuten.“

      Nicht einmal Papa sah vergnügt aus, als das Gefährt sich nun knatternd und schnaubend seinen Weg durch ein schönes Maisfeld bahnte.

      Ingmar schüttelte den Kopf. „Eines Tages wird ihm sein Pächter diese Maschine in die Luft sprengen. Er walzt wie ein Panzer über die Ernte. Unverantwortlich!“

      „Oh, so ein schöner Kerl!“ sagte ich bewundernd, als wir vor der großen Box des Araberhengstes standen.

      „Ja. Schließlich ist sein Vater Nureddin!“

      „Nicht möglich!“ sagte ich beeindruckt. „Nureddin, der berühmte?“

      „Ein Halbbruder von Aladdin. Nicht einmal in Ringsjön haben sie so ein gutes Pferd wie Amadeus. Du scheinst dich für Pferde zu interessieren, da du weißt, daß Amadeus’ und Aladdins Vater ein bekannter Vererber ist!“

      „Ich interessiere mich nur für Pferde“, sagte ich atemlos.

      Ich konnte den Blick nicht abwenden von dem schönen Tier da drinnen. Ich sah zwar durch die Eisenstäbe der Box nur den edlen Kopf, den Hals und einen Teil der Mähne, bekam aber vom Anblick allein eine Gänsehaut an den Armen.

      Ein so wunderbar geformter Kopf! Und der leicht gebogene, glänzende Hals mit der schwarzen Mähne, die dicht und seidig war. Er schaute mich freundlich an mit seinen großen, intelligenten Augen. Wenn jemand auf Gut Sellerup die Bezeichnung „adlig“ verdiente, mußte es Amadeus sein, der schöne, braune Hengst.

      „Hast du ein eigenes Pferd?“ fragte Ingmar.

      Ich erzählte ihm von Mister, den man zwar mit Amadeus nicht vergleichen konnte, den ich jedoch über alles liebte. Ich versuchte ihn natürlich als hervorragendes Springpferd zu schildern, klug und trittsicher und begabt und vertrauensvoll.

      „Wenn du Lust hast, kannst du mir ab und zu helfen, ihn zu versorgen“, sagte Ingmar. „Das Mädchen, das mir sonst hilft, ist mit seinen Eltern in die Ferien gefahren.“

      „Darf ich das wirklich?“ sagte ich glücklich. „Wann soll ich kommen?“

      „Morgen, wenn du willst. Komm gegen neun, wenn du da schon wach bist.“

      Nun zeigte mir Ingmar, wie ich gehen mußte,