Ida Bindschedler

Die Leuenhofer


Скачать книгу

Gott, wenn die Grossmutter es wüsste; – wo soll ich es doch noch suchen? Die Nachbarsleute meinen, es sei vielleicht in den Schättenwald hinausgelaufen, wo wir am Sonntag mit ihm waren oder zu meiner alten Base an der unteren Mauer; aber wie soll ich an alle Orte zugleich hinlaufen! O du lieber Gott“, weinte sie von neuem auf.

      Die Buben und Mädchen in den Bänken hörten mit grösstem Interesse zu und fingen, da Herr Schwarzbeck nicht wehrte, laut an, über die Sache zu reden.

      ,,Ein Büblein verloren gegangen“, ging es durch die Mädchenbänke. „Unser Klärli ist letzthin auch fortgelaufen!“ „Ja und mich hat man einmal lang suchen müssen, als ich klein war. Man hat schon gemeint, ich sei zur Illig hinuntergelaufen und ertrunken.“ – Die Mädchen hielten inne und sahen nach der Frau.

      „Ein Büblein verloren gegangen“, ging es auch bei den Buben hin und her. Im Schättenwald sei es vielleicht – der ist furchtbar gross. „In Grumikon haben sie einmal anderthalb Tage lang ein Kind gesucht in der Gemeinde herum. Da ist die ganze Sekundarschule ausgezogen; mein Vetter war dabei. Sie hatten ein Horn und mussten sich immer wieder sammeln.“ In alle Buben kam plötzlich ein Gedanke.

      „Herr Schwarzbeck, Herr Schwarzbeck“, riefen sie und legten sich über die Bänke mit hochgestreckten Zeigefingern.

      Herr Schwarzbeck hatte versucht, die Frau zu trösten und sich sagen lassen, wo sie überall gesucht habe.

      ,,Herr Schwarzbeck – dürfen wir in den Schättenwald; wir finden es gewiss. Felix Kleinhans hätte eine Trompete.“ –

      Herr Schwarzbeck winkte ab. Nicht so ungestüm. Die Frau Müggler aber sah Herrn Schwarzbeck flehentlich an.

      ,,Ja, wenn die Buben alle im Schättenwald suchen würden. Ich stehe solch eine Angst aus“, schluchzte sie in ihr Taschentuch. Es hat eine grüneingefasste Wachstuchschürze und graue Höslein und also braune Härlein und Augen und rote Bäcklein hats.“

      Herr Schwarzbeck zog die Uhr heraus; es war in zehn Minuten vier Uhr; einen Augenblick überlegte er.

      „Wollt ihr versprechen, vernünftig zu sein und genau zu tun, was ich euch sage?“ –

      „Ja, ja“, riefen die Buben.

      ,,Wir auch, Herr Schwarzbeck“, riefen nun von der andern Seite die Mädchen; „wir möchten auch mit in den Schättenwald.“ –

      Unter den Buben entstand ein Gebrumm.

      „Wir können so gut suchen wie ihr“, riefen die Mädchen hinüber, „und mit einem kleinen Büblein können wir doch besser umgehen, nicht wahr, Herr Schwarzbeck. Vor so lauter Buben fürchtet er sich vielleicht.“ –

      „Ssst“, mahnte Herr Schwarzbeck.

      „In keinem Falle stürmen mir alle 37 miteinander zum Schättenwald hinaus. Die sechste Klasse, Buben und Mädchen, übernehmen das“ –

      „Seht ihr!“ riefen triumphierend die Mädchen der drei hinteren Bänke.

      ,,Die Buben der fünften Klasse suchen mit mir in der Riedau.“ –

      „Sie sind ein Guter, Herr Schwarzbeck“, schluchzte die Frau. –

      „Und die Mädchen der fünften Klasse gehen heim und sagen im Städtchen, warum die andern noch nicht heimkommen. Verteilt die Botengänge selber unter euch.“

      Die Fünftklässlerinnen waren nun zuerst etwas enttäuscht; aber überall, wo man es noch nicht wusste, von dem verlorenen Büblein erzählen, dass man es im Schättenwald und in der Riedau suche, war auch etwas. –

      Herr Schwarzbeck sagte der sechsten Klasse, wie sie vorgehen solle im Schättenwald. „Ihr braucht einen Anführer – Ernst Hutter kennt den Schättenwald, glaub ich, am besten und übernimmt die Oberaufsicht.

      Teilt euch in drei oder vier Gruppen, sucht immer wieder einen Platz ab und sammelt euch wieder, wenn Ernst euch das Zeichen gibt; weit kann das Büblein ja nicht gekommen sein. – Walter Kienast, du hast eine Uhr; nun ja, Felix, hol deine Trompete im Vorbeiweg. Nach längstens anderthalb Stunden kommt ihr zurück in die Mahlergasse, hörst du, Ernst, auch wenn ihr das Kind nicht findet. Ich hoffe immer noch, dass es irgendwo in der Nähe steckt. Wer weiss, es ist vielleicht schon jetzt wieder zu Hause. Geht durch die Sonnengasse zur Sicherheit.“

      Die Frau Müggler war schon vorangeeilt in ihrer Unruhe und auch in der leisen Hoffnung, ihr Hermännli vielleicht vor ihrer Türe zu finden.

      Aber als sie gegen ihre Wohnung in die Sonnengasse kam, standen da bloss ein paar Frauen.

      „Ach herrjeh, sie bringt es nicht! Sie hat es nicht gefunden“, jammerten sie. „Wo kann es nur auch sein? Jetzt muss man denn bald an etwas Schlimmes denken.“

      ,,Also vorwärts!“ sagte Ernst Hutter, der mit seiner Schar hinter der Frau hergekommen war.

      Vom Ende der Sonnengasse führte eine gerade lange Strasse zum Schättenwald.

      „Eigentlich wäre es fast schade gewesen, wenn man das Büblein schon gefunden hätte. Dann könnten wir nicht in den Schättenwald“, sagte Netti Tobel, die eifrig neben den andern Mädchen herschritt.

      „Aber Netti, Netti, du bist doch grässlich“, riefen die Freundinnen empört. „Wo die Frau so eine Angst hat.“ –

      Netti schämte sich ein wenig. „Ich meine nur, es ist dann so nett, wenn wir das Büblein finden und in die Sonnengasse bringen können.“

      „Ja“, rief Ernst Hutter von hinten hervor. „Dann muss man sich aber auch Mühe geben und suchen – nicht nur so gradauslaufen.“ Er hielt suchend still an einem Seitenweg, an dem links und rechts ein paar Häuser standen.

      „Natürlich“, sagte Eva Imbach, die von den Mädchen als ihr Oberhaupt angesehen wurde, weil sie klug und entschlossen war und meistens das beste Zeugnis hatte, „natürlich, wir müssen da nachsehen. Das Büblein könnte wohl in so ein Haus gelaufen sein.“

      Die Buben gingen ins Haus rechts, die Mädchen in das links. Sie kamen in einen kleinen Hof. Schon schrien alle acht Mädchen auf, als sie in einer Ecke ein kleines Kind mit einer Wachstuchschürze entdeckten, das sie aus einem verschmierten Gesichtchen erstaunt ansah.

      Aber da erhob sich eine alte Frau; sie hatte vor sich einen Wagen stehen, in dem zwei ganz kleine Kinder lagen.

      „Wir suchen ein Büblein“ sagten die Mädchen, ,,ein Büblein, das sich verlaufen hat.“

      „So so, ein Büblein“, sagte die Frau. „Könnt ihr kein Maitelein brauchen? Wart, Mareili, wenn du nicht brav bist und die Grossmutter den ganzen Tag plagst, so nehmen dich die Kinder da mit und tun dich in den Wald hinauf, in den dunkeln.“

      Das Mareili machte grosse Augen und schien fast Lust zu haben, die Strafe anzutreten. Aber die Mädchen lachten; sie wollten im Walde ein Kind holen, keines hinaufbringen. Sie liefen hinaus zu den Buben, die auch zurückkamen.

      Es ging weiter. Die meisten eilten in den Wald zu kommen. Aber Ernst Hutter und Eva Imbach bestanden darauf, dass man hinter allen Büschen nachsehe. Im Felde bewegte sich etwas; als die Buben drauf los wollten, war es eine weiss und schwarze Katze, die den Mäusen nachging.

      Von einem Büblein war nichts zu entdecken. Auch im Walde nicht, wo Ernst Hutter nun anordnete, wie gesucht werden müsse und unter welchem Baume Felix Kleinhans mit seiner Trompete von Zeit zu Zeit das Signal zum Sammeln zu geben habe. Es war etwas schwierig, Ordnung zu halten.

      Die Mannschaft wurde übermütig. Hans Kündig war auf einmal oben auf einer jungen Eiche und behauptete, als Ernst Hutter ihn herunterrief, er könne weit herumsehen; es sei sehr nützlich, wenn er da oben bleibe.

      Den Mädchen musste Ernst Hutter verbieten, Blumen zu pflücken. Er schickte sie den Waldrand entlang, während er selbst mit seinen drei oder vier andern Genossen einen Tannbestand absuchen wollte.

      Plötzlich sah man die Mädchen, Eva Imbach voran, einen Rain hinunterrennen.

      ,,Was