und ich habe nach einer Narbe Ausschau gehalten.«
Er guckt schwule Pornos. Vielleicht ist er doch nicht so hetero. Vielleicht bi, wie Cris?
»Ich wusste nicht, dass du ein Fan unserer Website bist.«
»Als Cris' bester Freund fand ich, es wäre meine Pflicht, ihn darin zu unterstützen, ein geselliges Leben zu führen und sich nicht die ganze Zeit in seiner Wohnung zu verkriechen. Und ihr macht wirklich gute Videos. Ein paar der besten.«
Das Kompliment ließ Dell den Kopf einziehen. Seine Wangen wurden dunkelrot. »Danke.«
»Es muss ganz schön spannend sein, mit so vielen heißen Männern zusammenzuarbeiten.«
Glaubst du.
»Es hat seine Höhen und Tiefen«, erwiderte Dell. »Du würdest ein tolles Model abgeben.« Seine Wangen wurden sogar noch heißer. »Entschuldige, das war unpassend.«
»Ich neige nicht besonders zum Exhibitionismus.« Taro klopfte ihm auf die Schulter. Dell sah in ein Paar dunkle, freundliche Augen. »Aber danke für das Kompliment.«
»Gern geschehen.« Ein Teil der Verlegenheit ließ nach. »Du weißt also offensichtlich, womit ich mein Geld verdiene. Was ist mit dir?«
Taro setzte zum Sprechen an.
Da stieß Jon einen Pfiff aus. »Komm schon, Gabe, du wirst doch wohl nicht zulassen, dass sich ein anderer so an deinen Kerl rantanzt? Du hast es doch selbst drauf, Kumpel!«
Dell sah rüber in die Diele, wo Tristan und Benny Hüfte an Hüfte tanzten. Tristans Freund Gabe sah mit lüsternem Lächeln aus der Nähe zu. Es war ein sinnlicher Anblick, dem sich Shiloh kurz darauf anschloss, doch er fesselte Dells Aufmerksamkeit nicht so sehr wie sein Gespräch mit Taro.
Taro lachte leise. »Wie dem auch sei: Ich bin genau wie Cris Programmierer, was mir erlaubt, von zu Hause zu arbeiten und selbst zu entscheiden, wann. Das ist für jemanden wie mich ein Traumjob.«
»Das kann ich mir vorstellen. Du kannst dir Routinen aufbauen, mit denen du zurechtkommst, und sie aufrechthalten.«
»Genau.« Taros Lächeln wurde breiter. »Verdammt, Mann, Cris hat Monate gebraucht, um das zu verstehen. Ich meine, Cris liegt auch viel an seiner Privatsphäre, aber er ist nicht ansatzweise so pingelig wie ich.«
»Vom Pingeligsein versteh ich was, glaub mir.«
Taro hob eine schmale Augenbraue und Dell begriff, wie das geklungen hatte.
»Ich meine, was Organisatorisches angeht«, erklärte er. »Routinen. Ich erhole mich von einer Sucht, falls du die Geschichte noch nicht von Cris gehört hat.«
»Einen Teil, aber danke, dass du es mir erzählt hast.«
»Es ist nicht wirklich ein Geheimnis für die, die in der Firma arbeiten. Ich meine, wir haben letzten Herbst zwei Monate nicht gedreht und dann wieder für ein paar Wochen diesen Frühling, nachdem ich mein Transplantat bekommen habe. Alle waren wirklich nett.«
»Gut. Wir haben alle unsere Leichen im Keller und wenn dich jemand für sie verurteilt, ist er deine Zeit nicht wert.«
Die Schärfe in Taros Tonfall wärmte etwas tief in Dell, das sich nach einer Verbindung sehnte. Nach einem guten Freund, der ihn trotz seiner vielen Macken und Fehler verstand und unterstützte. »Danke«, sagte er leise.
»Gern geschehen.« Taro zuckte die Schultern. »Ich weiß, wir haben uns gerade erst kennengelernt, aber du scheinst ein anständiger, aufrichtiger Mensch zu sein, der in ziemlich üble Scheiße reingeraten ist. Das passiert viel öfter, als es sollte, und du hast für deine Fehler bezahlt.«
»Glaub mir, das weiß ich.« Dell berührte seine Seite über der OP-Narbe. »Ich werde nie die Gelegenheit haben, der Person zu danken, die mir eine zweite Chance ermöglicht hat, aber ich möchte denjenigen stolz machen. Ein erfülltes, glückliches Leben führen. Ich wünschte nur, ich wüsste, wie.«
Die Musik in der Diele wurde lauter. In schweigender Übereinkunft gingen sie mit ihren Getränken zum Küchentisch und damit zu dem Ort, der am weitesten vom Trubel entfernt lag, ohne sich ganz von der Party zu verabschieden. Wogegen Dell nicht das Geringste einzuwenden gehabt hätte. Er genoss die Unterhaltung mit Taro sehr und wollte, dass sie andauerte.
»Erzähl mir mehr«, sagte Taro. Sie setzten sich einander gegenüber und neigten sich nach vorn, sodass sie das Gespräch privat halten und sich trotz des Lärms gut verstehen konnten.
Dell musterte Taros dunkle Augen und fand nur offene Neugier, nicht die morbide Faszination, die darin fußte zu erfahren, dass Dell die Niere eines anderen in seinem Körper trug. Es war immer noch etwas, das Dell nur schwer begreifen konnte. »Ich weiß, dass Pornos ihren Platz in der Gesellschaft haben und ein Bedürfnis erfüllen. Nicht nur für den Zuschauer, sondern auch für die Darsteller, aber irgendwie fühlt es sich nicht groß genug an«, sagte er. »Ein Fremder hat bewusst eine Niere hergegeben, damit ich ein normales Leben führen kann, ohne Dialyse. Daher habe ich das Gefühl, ich sollte mehr tun.«
»Zum Beispiel?«
»Ich weiß es nicht. Krebs heilen?«
Taro lachte. »Würden wir das nicht alle gern erleben? Dell, du bist zwanzig Jahre alt. Du musst der Welt noch nicht deinen Stempel aufdrücken. Stan Lee hat seinen ersten Comic mit achtunddreißig geschrieben und schau ihn dir jetzt an.«
»Guter Punkt. Ich bin ungeduldig.«
»Halt dich an das, in dem du gut bist, was im Augenblick Pornos drehen ist. Mit der Zeit entdeckst du vielleicht eine neue Leidenschaft. Vielleicht schaffst du es erst mit sechsunddreißig, die Welt zu verändern.«
»Das ist eine willkürliche Zahl.«
»Das Leben ist willkürlich. Niemand weiß, warum der eine Mensch Krebs bekommt und seine Geschwister nicht. Oder warum ein Mensch an belastenden Depressionen leidet und seine Geschwister nicht.«
Ein guter, wenn auch unschöner Hinweis. Ihr Gespräch geriet ins Stocken und Dell suchte nach einem neuen Thema. Er wollte Taro besser kennenlernen und das passierte ihm nicht allzu oft. In Taros Nähe fühlte er sich wohl, sicher, als wäre er ein interessanter Mensch, mit dem man sich gern unterhielt. Nicht ein ehemaliger Junkie, den man mit Samthandschuhen anfassen musste, damit er nicht davonschoss und Drogen kaufte.
Onkel Charles liebte ihn und wollte nur das Beste für ihn, aber seine Samthandschuhe waren manchmal ziemlich rau.
»Also, wie hast du Cris kennengelernt?«, fragte Dell.
»In einem Chatroom«, antwortete Taro und lächelte wieder. »Es war ein Chatroom ohne Dating-Absichten für LGBTIQA-Leute, die einen sicheren Rückzugsort suchen, an dem man sie versteht. Cris hatte im Real Life ziemlich viel Ärger, weil er bi ist, und ich hatte immer noch damit zu tun zu akzeptieren, dass ich demisexuell bin. Deshalb haben wir uns sofort verstanden. Dazu kam unsere Liebe zu Computern und zum Programmieren.«
Dell wand sich. »Ich geb's nur ungern zu…«
»Du weißt nicht, was demisexuell bedeutet?«
Dell schüttelte den Kopf. »Tut mir leid.«
»Schon gut. Viele haben noch nie davon gehört oder auch nur von dem Oberbegriff asexuell.«
»Reden wir von ungeschlechtlicher Fortpflanzung von Zellen?«
Taro lachte laut auf. »Oh mein Gott, du bist süß, wenn du ahnungslos bist.«
Dell war sich nicht sicher, ob das aufrichtige Belustigung über seine Not oder ein Kompliment war, daher erwiderte er nichts.
»Schon gut«, sagte Taro. »Nein, wenn man asexuell ist, empfindet man unabhängig vom Geschlecht keine sexuelle Anziehung. Männlich, weiblich, queer, agender, nonbinary, zu niemandem. Das ist etwas, das uns alle vereint, aber darüber hinaus gibt es große Unterschiede im asexuellen Spektrum.«
Etwas in Dells Hinterkopf merkte auf und begann, sich Notizen zu machen. »Wie Demisexuelle?«