Louise Roholte

Freundeskrise


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      „Wir dachten, ihr kriegt das selbst hin, und hatten keine Lust, auf dem Spielfeld zu sterben“, antwortet Michelle. „Vielleicht solltet ihr mal drüber nachdenken, ob ihr nicht ein bisschen überreagiert.“

      Emilie und Sofie flüstern sich etwas zu und Michelle kann hören, dass ihr Name fällt. Verrückt, dass sie wegen so einem scheiß Ballspiel so ausflippen können. Mathilde nimmt ihre Tasche und öffnet die Tür zum Flur. Aisha folgt ihr, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Das ist nicht so schlimm, weil es eine orange Trennwand gibt. Wenn jemand vorbeiläuft, kann er nur ein paar Meter in die Umkleide reinschauen. Signe hat vor, die Tür trotzdem zu schließen, aber als ein Föhn frei wird, geht sie dorthin.

      Direkt vor der Tür befindet sich ein Spiegel. Michelle überlegt nur einen Augenblick, bevor sie sich mit ihrem Make-up davor stellt. Auf ihrem BH sind kleine Goldfische. Er passt zu ihrer türkisfarbenen Unterhose mit Spitzenrand. Die Unterhose sitzt ziemlich tief und bedeckt nur das Nötigste. Langsam schraubt sie die Wimperntusche auf. Sie fühlt die Spannung im Bauch kribbeln, als die Tür zur Jungenumkleide aufgeht. Wenn sie sich beim Vorbeilaufen umdrehen, können sie sie nicht übersehen. Ihr Herz klopft, als sie Stimmen hört. Sie tut so, als ob sie sehr darauf konzentriert ist, alle Wimpern mit Farbe zu versehen. Ein paar der Jungs aus der Parallelklasse halten an. Aus dem Augenwinkel kann sie erkennen, dass sie sich anschubsen und grinsen. Sie zieht den Bauch ein und macht ein Hohlkreuz. Gerade kann sie Olivers Stimme hören, als Signe mit einem Handtuch umwickelt reingerauscht kommt.

      „Die Tür ist offen!“ ruft sie warnend und knallt sie zu.

      Michelle zuckt erschrocken zusammen, schaut auf den Flur und hält sich die Hand vor den Mund.

      „Oh nein, denkst du jemand hat mich gesehen?“

      „Einige standen schon da und haben geglotzt, aber ich konnte nicht sehen, wer“, meint Signe.

      Michelle gibt ihr Bestes, um schockiert auszusehen. Eilig geht sie zu einem der Spiegel an der gegenüberliegenden Wand.

      „Wie gut, dass du das gemerkt hast“, sagt sie. „Sonst wär’s ja richtig peinlich geworden.“

      Signe wirft ihr einen merkwürdigen Blick zu. Michelle hat Angst, Signe könnte merken, dass sie es mit Absicht gemacht hat. Glücklicherweise kommt Jytte an ihnen vorbeigewatschelt, die Pfeife um den Hals baumelnd, und sie schneiden Grimassen, als sie die Bluse über den Kopf zieht. Ihr Sport-BH ist bestimmt mindestens vier Nummern zu klein, weil mehr Brust über dem Stoff ist als darunter. Michelle fällt es schwer zu glauben, dass er jemals gepasst hat. Michelle und Signe gehen zu ihren Klamotten. Michelle schlurft ein paar Meter hinter Jytte her und äfft ihre Art zu gehen nach. Es ist schwer die Balance zu halten, weil Michelle übertreibt, um Signe zum Lachen zu bringen. Sie wirft sich auf die Bank und haut sich das Schienbein an. Signe kichert und Michelle macht mit, während sie stöhnt.

      „Was ist los, Mädels?“ fragt Jytte und dreht sich um. „Seid ihr schon fertig mit duschen? Wir sind doch gerade erst aus der Halle gegangen?“

      „Ja, aber wir sind blitzschnell“, entgegnet Michelle keck.

      Jytte nimmt die Pfeife ab und hängt sie an einen Haken. Mit einem verwaschenen Handtuch um die Hüften watschelt sie zur Dusche. Mit Klamotten sieht Jytte eigentlich ganz normal aus, aber wenn sie sie auszieht, ist das eine ganz andere Geschichte. Der Bauch hängt in großen, schlaffen Fettpolstern runter und ist so lang, dass der Nabel direkt auf die Erde zeigt. Die Brüste sehen aus wie dicke, weiße, mit Kartoffeln gefüllte Socken, die Oberschenkel kleben aneinander.

      „Wenn mein Körper irgendwann mal so wie Jyttes aussieht, spring ich von 'ner Brücke“, flüstert Michelle.

      „Dafür”, meint Signe. „Wie viele Kinder sie wohl hat? 50 oder was?”

      Michelle wirft einen Blick auf Jyttes Hängebauch und schaudert, während sie die Schuhe anzieht.

      „Bist du fertig?” fragt sie. „Ich glaub ich werd blind, wenn ich auch noch sehen muss, wie sie sich abtrocknet.“

      Signe nickt. Michelle überprüft ein letztes Mal ihr Spiegelbild, dann schnappt sie sich den Sportbeutel und wirft ihre Tasche über die Schulter.

      „Dann lass uns gehen.“

      2. Kapitel

      Als sie mitten auf dem Schulhof stehen, hört der Gong auf zu läuten. Kurz darauf wimmelt es von Kindern.

      „Voll krank, dass wir so viel auf haben“, murrt Signe. „Reden die überhaupt nicht miteinander oder was?“

      „Glaub nicht, denn wenn sie das tun würden, hätte Karen uns nicht noch mehr aufgebrummt“, meint Michelle.

      Ihre Haare kleben an der Kopfhaut. Sie fährt mit den Händen durch und schüttelt sie an ihren Platz. Normalerweise machen sie dienstags immer was zusammen, weil sie früh aus haben, aber Signe will heim und sich Mathe für morgen angucken. Das sollte Michelle auch tun. Sie hat bloß keine Lust. Oliver und Malthe stehen hinter dem Zaun und warten auf den Bus. Michelle wirft ihre Haare zurück und lächelt das Lächeln, das sie zu Hause vor dem Spiegel geübt hat.

      „Vielleicht können wir nachher mal wegen Mathe telefonieren?“

      Michelle begnügt sich zunächst mit einem Nicken, aber weil Signe in die andere Richtung guckt, muss sie dann doch antworten.

      „Ja, können wir machen.“

      Jetzt ist das Lächeln hin. Naja, ist auch egal, weil Oliver damit beschäftigt ist, mit Malthe zu reden und garantiert noch nicht gemerkt hat, dass sie da ist. Michelle war richtig fertig, als sie rausfand, dass er dabei war, mit Emma aus der Parallelklasse zusammen zu kommen. Sie hatte nämlich geglaubt, er würde sie mögen, und es war megahart, ihn und Emma händchenhaltend und quatschend im Flur zu sehen. Sie wirkten sehr verliebt, aber letzten Montag hatte sie Gerüchte gehört, dass sie am Wochenende Schluss gemacht hätten. Michelle hat sie beobachtet und das Gerücht scheint wahr zu sein, weil sie sie seitdem nicht ein einziges Mal zusammen gesehen hat. Sie weiß nicht, wer von beiden Schluss gemacht hat, und es ist auch egal. Das Wichtigste ist, dass Oliver Single ist. Signe schließt ihr Fahrrad auf. Michelle fummelt ein bisschen mit dem Schlüssel herum, während sie zu Oliver schielt, um zu sehen, ob er in ihre Richtung schaut.

      „Was machst du heute noch so?” fragt sie abwesend.

      „Ich muss doch diese bescheuerten Hausaufgaben machen!“ antwortet Signe sauer.

      „Darüber haben wir doch gerade geredet, oder?“

      „Ach ja.“

      Michelle zögert die Zeit raus, weil sie hofft, dass Oliver zu ihr rüber kommt. Sieht aber nicht so aus, denn er steht gegen den Zaun gelehnt und blinzelt in die Sonne, während Malthe drauf los plappert. Seufz, wie gut er einfach aussieht, wie er so mit Sonne im Haar dasteht …

      „Ich kapier einfach immer noch nicht, was du in ihm siehst“, zieht Signe Michelle auf und gibt ihr einen Klaps.

      „Was meinst du?“

      „Ja, was glaubst du denn?“

      Signe grinst und Michelle gibt es auf zu lügen, weil sie weiß, dass Signe sie längst durchschaut hat.

      „Ich kann doch nichts dafür.“

      „The heart wants what the heart wants, und das war auch nur Spaß“, sagt Signe und steigt aufs Fahrrad.

      „Ich ruf später an, wenn ich wegen Mathe ausraste.“

      Michelle nickt und winkt.

      „Das ist einfach ballig!”

      Sie hatte gehofft, dass das Wort ’ballig’ Oliver dazu bringen würde zu gucken, aber er steht einfach da und ist mit seinem Handy beschäftigt.

      Wie soll sie seine Aufmerksamkeit bekommen? Ohne darüber nachzudenken, fängt sie an, das Thema von ’Benjamin Blümchen’ zu pfeifen. Das war das erste, was ihr einfiel, und es ist merkwürdig genug, dass er sich umdrehen