Louise Roholte

Freundeskrise


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Elefant”, singt ein kleiner Junge, der an der Hand einer alten Dame auf dem Bürgersteig vorbei geht. „Törööö! Oh, ich liiiebe Benjamin!“

      Malthe grinst und schüttelt den Kopf. Michelle öffnet die Tasche und kramt darin, um ihre roten Wangen zu verbergen. Jetzt kann sie nichts mehr machen, wenn sie nicht verzweifelt wirken will, daher schließt sie die Tasche und stellt sie zusammen mit dem Sportbeutel zurück in den Fahrradkorb. Michelle wünscht sich nichts sehnlicher, als mit Oliver zusammen zu kommen, aber tief im Inneren weiß sie, dass das niemals passieren wird. Jedenfalls nicht so lange er auf Mädchen wie Emma steht, die ein ganz anderer Typ als Michelle ist. Emma ist beliebt, sie hat lange, tolle Haare und ein süßes Gesicht. Ihr Körper ist klein und zierlich, Signes Mutter würde dazu sicher ’petit’ sagen, und sie kann Klamotten tragen, in denen Michelle wie SpongeBob Schwammkopf aussehen würde. Michelle hat versucht, Fehler an ihr zu finden, als sie nach dem Sport gemeinsam in der Dusche waren, aber Emma ist einfach perfekt mit ihren langen, schlanken Beinen, einem flachen Bauch und schönen Brüsten.

      Es ist nicht fair, dass jemand sowohl hübsch ist als auch einen tollen Körper hat. Trotzdem ist es schwer, Emma zu hassen, weil sie auch noch supernett ist. Emma war in einer Zahnpastawerbung zu sehen, und einmal hatte sie gesagt, dass sie sich bei ’Topmodel’ anmelden wolle, wenn sie alt genug sei. Jetzt, wo Michelle darüber nachdenkt, ist Emma wohl der Typ aller Jungs, aber aus irgendeinem Grund haben sie und Oliver ja Schluss gemacht. Wenn Oliver derjenige war, der die Entscheidung getroffen hat, dann vielleicht, weil Emma zu sehr klammerte. Oder weil man sich nicht mit ihr unterhalten konnte? Es kann auch sein, dass es einfach nicht gefunkt hat, als es darauf ankam, und jetzt sucht er nach etwas ganz anderem? Michelle nickt. Kann schon sein, dass sie selbst nicht das nächste Topmodel ist, aber wenn sie einen guten Tag hat, kann sie ganz witzig sein. Und hoffentlich wirkt sie cooler, als sie sich fühlt. Sonst ist alles verloren, so viel steht fest.

      Der Bus trifft langsam auf dem Platz ein. Oliver stößt sich vom Zaun ab und hebt die Tasche auf. Michelle lächelt ihr Lächeln, aber er steigt ein, ohne zurück zu schauen. Enttäuscht schiebt sie das Fahrrad auf die Straße. Scheiß aufs witzig sein. Gerade würde sie mit Freuden das und alles Mögliche andere für einen sexy Körper und ein hübsches Gesicht verkaufen. Sie seufzt leise und rollt am Schulhof und den hohen Bäumen vorbei. Signe hat bestimmt schon ihren Taschenrechner rausgeholt, aber Michelle wird allein bei dem Gedanken daran schon total müde. Mathe ist nicht gerade ihre Stärke, und sie erträgt es nicht, da zu sitzen und darüber deprimiert zu sein, wie dumm sie ist. Da sind ja auch noch die ganzen Aufgaben im Dänischbuch, aber darin ist sie auch nicht besonders gut. Was kann sie eigentlich? Ihre Mutter sagt immer, dass sie scheißen, fressen und sich beklagen kann. Michelle ist gewohnt, das zu hören, aber einmal war es ihr richtig peinlich, als ihre Mutter es vor Signe sagte. In dem Moment wünschte sich Michelle, ihre Mutter würde von einem Kugelblitz getroffen und tot umfallen, aber Signe nahm es locker. Sie zuckte nur mit den Schultern und sagte, dass Michelle abgesehen von der Sache mit dem Scheißen und Fressen eigentlich auch eine supergute Freundin wäre.

      Michelle tritt langsam in die Pedale und fährt noch langsamer, als sie zu den Höfen kommt. Es sind drei in einer Reihe und sie weiß, dass Liva aus der 5A mit ihren Eltern in dem größten davon wohnt. Ihr Vater ist Landwirt und sie haben massenweise Kühe und zwei kleine Pferde. Michelle kann eins davon auf der Koppel sehen. Niemand aus der Klasse reitet. Die meisten denken, dass es irgendwie lachhaft ist, ein ’Pferdemädchen’ zu sein. Michelle hat einmal in Knuthenborg auf einem Pferd gesessen, aber daran kann sie sich nicht erinnern, weil sie erst fünf war. Hinter ihr sind klappernde Hufe zu hören. Sie dreht den Kopf und sieht ein zerzaustes, schwarzes Pferd. Liva sitzt obendrauf mit einem riesigen Helm auf dem Kopf und lächelt zu ihr runter.

      „Hi, Michelle!“

      Das Pferd hat einen weißen Streifen auf dem Maul und der schwarze Pony ist so lang, dass er die Augen verdeckt. Es sieht richtig süß aus.

      „Hi, Liva.“

      Das Pferd schnaubt Michelle ins Gesicht. Vorsichtig streckt sie die Hand aus und streichelt den Schopf. Liva lacht.

      „Fasst du zum ersten Mal ein Pferd an?“

      „Hmm.“

      „Es braucht schon einiges, um so eins umzuwerfen.“

      Michelle lehnt sich etwas weiter nach vorne und klopft dem Pferd auf den Hals. „Hallo, kleines Pferd.“

      „Er heißt Laban, und der da drüben heißt Pelle“, sagt Liva und nickt in Richtung Koppel.

      Michelle streicht mit dem Zeigefinger über Labans rosa Maul. Es ist ganz weich und sie lacht, als er die Oberlippe kräuselt und einen Kussmund macht.

      „Willst du mir beim Striegeln und Absatteln helfen?“ fragt Liva.

      „Okay.“

      Liva lässt Laban auf den Hof trotten und Michelle schiebt das Fahrrad nebenher. Es ist lange her, dass es geregnet hat, aber die Löcher im Kiesweg sind so tief, dass immer noch Wasser auf dem Grund ist. Die Kühe stehen auf beiden Seiten hinter einem Zaun und glotzen sie an. Sie rümpft die Nase, als sie an einer großen Herde vorbeigehen, die beim Wassertrog liegt und kaut. Michelle schielt zu Liva, und sie tut ihr richtig Leid, weil sie in dem Gestank wohnen muss. Oliver sagt immer ’Muh’ und hält sich die Nase zu, wenn Liva auf dem Flur vorbeigeht, aber Michelle findet eigentlich nicht, dass Liva nach Kuh riecht. Kaum zu glauben, weil die Kühe wirklich ziemlich doll stinken.

      „Machst du die Tür auf?“

      Liva zeigt auf eine grüne Stahltür. Michelle stellt das Fahrrad ab und hebt den Riegel an. Sie kann die Kühe fast nicht mehr riechen und denkt, dass es mit den Kühen so wie mit den Kippen ihrer Mutter ist. Die Nase gewöhnt sich nach einiger Zeit daran. Der Unterschied ist nur, dass der Rauch in den Augen beißt, der Kuhgestank nicht. Liva springt von Labans Rücken, zieht ihm die Zügel über den Kopf und führt ihn in den Stall.

      „Jetzt striegeln wir ihn und machen die Hufe sauber. Dann kommt er auf die Koppel zu Pelle.“

      Liva nimmt eine Bürste aus der Kiste und streicht sie über Labans Fell. „Du machst das einfach so.“

      Michelle schnappt sich eine Bürste, die zu Livas passt, und versucht, das Gleiche zu machen.

      „Hast du ein Haustier?“ fragt Liva.

      „Nee, aber mein älterer Bruder hatte mal 'ne Schildkröte, die auf dem Balkon gewohnt hat. Eines Tages war sie weg. Ein Jahr später haben wir sie dann zwischen den Sträuchern gefunden.“

      Liva hört auf zu striegeln. „War sie tot?“

      Michelle schüttelt den Kopf. „Sie war am Leben, aber sie war irgendwie ein bisschen schlaff und der Schild war ganz weich.“

      „Wie viele Brüder hast du?“

      „Zwei“, antwortet Michelle. „Nicki ist 22 und Kenny ist letzten Monat 20 geworden. Nicki hat eine richtig nette Freundin, die Malene heißt. Sie ist schwanger, das Kind kann jeden Moment kommen.

      „Geil, dann wirst du Tante”, stellt Liva fest.

      Michelle lächelt. Sie freut sich wie verrückt. „Nicki und Malene wissen schon, dass es ein Junge wird, aber sie halten den Namen bis zur Geburt geheim.“

      Sie striegeln weiter. Liva nimmt ein merkwürdiges Ding aus der Kiste und hält es vor sich.

      „Das ist ein Hufkratzer.“ Liva lässt ihre Hand an Labans Bein runtergleiten. Michelle macht große Augen, als er es hebt. Sie kann nicht fassen, dass Liva sich traut, mit dem Rücken zu seinem Kopf zu stehen, aber sie scheint überhaupt keine Angst zu haben, und innerhalb kürzester Zeit hat sie alle Hufe geputzt.

      „So, jetzt kann er auf die Koppel.“

      Michelle öffnet die Tür auf der anderen Seite des Stalles. Pelle hebt den Kopf und wiehert, als Laban rauskommt. Sie laufen aufeinander zu, als ob sie sich begrüßen wollen. Michelle und Liva setzen sich ins Gras und schauen sie an.

      „Ich träume davon, Bereiterin zu werden und jeden Tag mit Pferden zu arbeiten“,