Hanne-Vibeke Holst

Mann umständehalber abzugeben


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wir werden überhaupt nicht bezahlt«, zischt der Kellner und entfernt ein paar leere Biergläser von unserem Tisch. Ich suche in meiner Tasche nach Zigaretten, gucke verstohlen nach Brandmarken am Handgelenk, wo die Haut immer noch brodelt. Paul raucht Gitanes und lehnt meine Marlboro Light dankend ab, die ich eingetauscht habe gegen meine früheren Camel in einem Versuch, die Teereinnahme zu reduzieren. Wenn ich schon nicht aufhören kann.

      »Warst du in Frankreich?« frage ich mit einem Blick auf die Zollmarke der blau-weißen Zigarettenpackung.

      Er nickt.

      »Drei Wochen in Nizza. Wir haben ein Appartement gemietet.«

      »Und was war mit Skagen?« frage ich, während das Wort ›wir‹ blinkend in mir kreist. Das geht mich nichts an, und außerdem möchte ich gar nicht wissen, wer sie war.

      »Arbeit. Ich habe da oben einen Artikel über deren Touristikkonzept geschrieben.«

      »War’s gut?« frage ich und bin froh, diesen Ton der Sachlichkeit zwischen uns legen zu können Er ist zu überwältigend, und ich bin zu müde. Ich sollte mich entschuldigen, sagen, daß mir nicht gut ist, und nach Hause gehen. Jetzt sofort. Bevor ich verbrenne.

      »Routine. Aber es war in Ordnung, mal in Skagen gewesen zu sein. Auch wenn ich ziemlich viel vorm Fernseher gehangen habe.« Der Kellner kommt mit unseren Kir Royal. Natürlich bezahlt Paul, und ich mische mich nicht ein.

      »Es war einfach saugut, was du da zustande gebracht hast. Laß uns darauf anstoßen!« Er stößt sein Glas leicht gegen meines.

      »Findest du?«

      »Das finden wir alle. Mal abgesehen von Ferdinand. Es heißt, er fühle sich ausgetrickst.«

      »Aber das ist doch nun wirklich nicht meine Schuld, daß er Zwillinge gekriegt hat!« protestiere ich. »Und jetzt hat er es ja überstanden!«

      »Und der Champagner ist auch schon schal geworden!« Paul lächelt. »Wollen wir nun anstoßen oder nicht? Herzlichen Glückwunsch!«

      Ich bedanke mich hocherfreut über seine Anerkennung, und nach seiner Aufforderung – »Wir beschränkten Inlandsjournalisten sind doch süchtig zu hören, was ihr Korrespondenten dort draußen in der großen weiten Welt treibt« – fange ich an zu erzählen. Offenbar habe ich ein ausgeprägtes Bedürfnis gehabt, alles zu erzählen, denn ich rattere wie eine Kalaschnikow, und Paul hört zu, lächelt und bestellt aufs neue. Um alles mitzubekommen, was ich in dem ansteigenden Summen von immer mehr Menschenstimmen an einem Samstag abend in Kopenhagen sage, muß er sich weit über den Tisch beugen. Schließlich, nachdem ich alles losgeworden bin – von den Kakerlaken in der Küche bis zu Jelzin im Panzer, Puschkins Poesie und die beeindruckende Trauerdemonstration auf dem Manegenplatz –, bin ich so heiser, daß ich die Musik aus der angrenzenden Diskothek nicht mehr übertönen kann. Wir sehen die Musiker von hinten durch eine riesige Glasfront, und Paul schlägt vor, hinüberzugehen und ein wenig neue Musik zu hören, »if you can’t beat them, join them«, wie er sagt.

      Und das tun wir. Die Band, wie auch das Publikum, ist sehr jung und mir vollkommen unbekannt. »Trains & Boats & Planes« nennen sie sich, und Paul behauptet, es sei mit die originellste Popmusik, die momentan überhaupt gespielt werde. Es gibt keine Sitzplätze mehr, also stehen wir dicht beieinander und wiegen uns sanft zu der melodiösen, melancholischen Musik, die von einem dunklen Cello und einem spröden, charismatischen Leadsänger bestimmt wird. Ich werde langsam betrunken, das ist mir nur zu klar, deshalb geht mir die Musik direkt ins Blut. Aber Paul wirkt kein bißchen überrascht, als ich mich ihm zuwende und ihn küsse. Gierig und lange.

      »Soll ich dich jetzt nach Hause bringen?« fragt er nur.

      Danke. Das darf er gern.

      Ich beiße ihm in die Schulter und bohre meine Nägel in seinen Rücken, während er sich an meinem Hals festsaugt. Wir wimmern und schreien, stöhnen und seufzen, bis plötzlich alles in Rot explodiert ...

      »Du bist herrlich«, flüstert er irgendwann in der Stille, die folgt, und legt mir eine Hand auf die Hüfte.

      »Mmh«, grunze ich mit geschlossenen Augen und fühle, wie sich die Welle langsam zurückzieht und zu einem berauschenden Prickeln wird.

      »Ich habe dich vermißt«, sagt er und legt seinen Kopf zwischen meine Brüste.

      »Das brauchst du nicht zu sagen!« Ich öffne meine Augen nur einen Schlitz, so daß ich gerade in seine sehen kann, in denen der Rand der Kontaktlinsen als ein Kreis um die Iris zu erahnen ist. Schweißtropfen hängen in seinen Wimpern, und ich erinnere mich vom letzten Mal daran, daß das sein postkoitales Merkmal ist. Daß er hinterher so unglaublich schwitzt. Als würde er alles ausschütten. Meines besteht in glühenden Wangen und einer Sanftheit, die ich nicht beherrschen kann.

      »Aber es ist so!« beharrt er. »Das war eine absolut außergewöhnliche Nacht, als wir letztes Mal ...«

      »Das stimmt«, gebe ich zu. »Wirklich außergewöhnlich.«

      »Hör auf zu spotten!«

      »Ich spotte nicht!« versichere ich ihm und streichle seinen Rücken, bis er eine Gänsehaut bekommt. »Ich habe dich auch vermißt.«

      Womit das gesagt und akzeptiert ist. Mit Hilfe des Alkohols, aber ohne Einschränkungen. Ich habe Paul vermißt.

      Er stützt sich auf seine Ellbogen und sucht skeptisch die Wahrheit in meinem Gesicht.

      »Wirklich?«

      Ich nicke, und er rollt neben mich, meine Hand in seiner.

      »Tes«, fängt er an und benutzt wie viele Kollegen mein Redaktionskürzel. »Ich habe ja nie geglaubt, daß du wirklich so ein kalter Fisch bist.«

      »Vielleicht bin ich es ja morgen«, sage ich gedämpft und lasse meine Augenlider wieder ganz zufallen. Das Bett dreht sich wie ein Karussell, und Paul stopft die Decke um mich fest. Gibt mir einen Gute-Nacht-Kuß und läßt mich einschlafen, mit seiner Hand auf meinem Venusberg.

      Wir wachen an einem Sonntagmorgen mit Regen, Donner und einem jähen Temperaturabfall auf. Ich bin wahnsinnig durstig und habe einen schweren Kopf, bin jedoch erleichtert, daß ich keine Reue spüre und es überhaupt nicht als verkehrt empfinde, neben Paul in meinem Bett aufzuwachen. Auch er hat offensichtlich keine unguten Gefühle – gibt mir nur einen lieben Guten-Morgen-Kuß und zieht mich an sich.

      Wir bedanken uns gegenseitig für die Nacht. Reden über dies und das, necken uns, kuscheln aneinander. Dann stehen wir träge auf, gehen gemeinsam ins Bad und machen unter der Dusche Schaumliebe – eine Disziplin, die Paul souverän beherrscht. Aber das wußte ich ja schon – er ist wirklich ein guter Liebhaber. Hinterher, als wir endlich etwas angezogen und uns einen Liter Pepsi Light geteilt haben, der glücklicherweise im Küchenschrank übersommert hat, möchte Paul Frühstück und die Morgenzeitung haben.

      »Das kannst du hier nicht kriegen«, sage ich, und mir fällt meine Brunch-Verabredung mit meiner Mutter ein. Die Uhr zeigt Viertel vor elf, ich muß los.

      »Darf ich mitkommen?« fragt er, und ich stoße nur ein verwundertes »Was?« aus.

      »Warum nicht?« fragt er und will mich an sich ziehen.

      »Darum!« antworte ich und gestatte mir für einen Augenblick, die Berührung seiner Hände auf meinem Rücken zu genießen. Normalerweise kann ich es nicht ertragen, am Tag danach angefaßt zu werden.

      »Weil du kalt bist heute?« ärgert er mich und gibt mir einen Kuß auf den Knutschfleck, mit dem er mich rücksichtslos markiert hat.

      »Genau!« erwidere ich, mache mich frei und rufe ein Taxi. Übertriebener Luxus, aber das Fahrrad jetzt aus dem Keller heraufzuholen, das ist mir im Augenblick zu kompliziert, und außerdem gießt es draußen zu sehr, um auch nur trocken zur Bushaltestelle zu kommen. Und schließlich – wenn wir das Taxi zusammen nehmen, können wir auf dem Rücksitz noch Händchen halten ...

      Wir verabschieden uns vor seiner Haustür in der Nørre Søgade.

      »Wann sehen wir uns