Hanne-Vibeke Holst

Mann umständehalber abzugeben


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aber ansonsten ist Freundlichkeit nicht gerade das, wofür unser Chef bekannt ist. Er ist eine harte Nuß, und es ist nicht ungewöhnlich, daß selbst sturmerprobte Kollegen schluchzend sein Büro verlassen. Deshalb schiebe ich die halboffene Tür mit einem gewissen Beben auf, obwohl ich ein absolut reines Gewissen habe.

      »Therese Skårup!« ruft er laut und erhebt sich zu seiner ganzen imposanten Größe. Zwei Meter groß und hundertzwanzig Kilo schwer – und mit einem Ego versehen, das genauso überdimensioniert ist wie sein Körper. Wirklich ein Mann mit Stärke.

      Er kommt mir mit ausgebreiteten Armen entgegen, um mich zu umarmen; bei seiner Flügelspannweite und überhaupt ist es unmöglich, die Umarmung zu parieren.

      »Herzlichen Glückwunsch, ich bin stolz auf dich! Das hast du wirklich gut gemacht! Hast du das schon gesehen?« fragt er und fischt eine Fotokopie des Fernsehkommentars aus den Stapeln auf seinem Schreibtisch.

      Ich lächle ironisch und antworte, daß ich es gesehen habe, aber bekanntermaßen haben diese Boulevardblätter ja Probleme mit der Wahrheit.

      »Ganz deiner Meinung«, nickt er, schließlich ist er Lieblingsopfer der Seite zwei der Zeitung. »Aber die anderen Zeitungen sind auch auf dich aufmerksam geworden – positiv –, und hier im Haus sind wir sehr zufrieden!«

      Und als wenn das nicht schon genug wäre, bekomme ich den wahren Ritterschlag, als er mir eine seiner starken griechischen Zigaretten anbietet. Ich bedanke mich, und er selbst schafft es, während der Audienz, die wie immer schnell vom General selbst handelt, zwei, drei Stück zu rauchen. Er erzählt von seiner Zeit als Kriegskorrespondent in Nahost und Südostasien. Nam, natürlich, das war sein Krieg, und »irgendwann muß ich doch mal ein Buch darüber schreiben, denn bislang hat es ja noch niemand beschrieben, wie es wirklich war!«.

      Ich unterdrücke hinter dem dunklen Rauch ein Lächeln, als mir Paul in den Sinn kommt; er ist berühmt für seine Fähigkeit, den General bis ins Detail parodieren zu können, mit wortwörtlichen Zitaten.

      Moskau kennt er natürlich auch in- und auswendig, der General – o ja! –, deshalb können meine Augenzeugenschilderungen und Analysen des Putsches ihn nicht wirklich vom Stuhl reißen. Sie dienen höchstens als Stichworte für seine eigene wortreiche Interpretation der Geschehnisse, die er als »Dilettantencoup« beschreibt.

      Der Monolog wird schließlich von seiner Sekretärin unterbrochen, die ihn an eine Besprechung mit dem Fernsehdirektor um zehn Uhr dreißig erinnert. Der General sieht resigniert auf seine Uhr.

      »All diese verfluchten Besprechungen. Tes, es macht viel mehr Spaß, Indianer zu spielen, als Häuptling zu sein!«

      Ich habe große Lust zu fragen, ob ich ihn mit dieser Bemerkung zitieren darf, aber so sicher sitze ich nun auch nicht im Sattel. Er ist launisch und leicht zu provozieren, und ich habe keine Lust, einer der Mitarbeiter zu werden, die demonstrativ aufs tote Gleis geschoben wurden, weil sie den Gott geärgert haben. Als ich deshalb lieber untertänig lächle, statt garstig zu sein, bringt er mich noch bis zur Tür. »Nun ja, also willkommen im Club, Tes! Schön, ein Mädchen dabeizuhaben, das Haare auf der Brust hat!«

      »Die Eier nicht zu vergessen!« pariere ich über die Schulter hinweg.

      Er bricht in krächzendes Tabaksgelächter aus, das in Husten umschlägt.

      »Eier! Hast du die auch noch? Das muß ich bei Gelegenheit mal überprüfen!«

      Fast der ganze Vormittag vergeht damit, daß ich die Post durchsehe, mich aufs laufende bringe und mit den anderen rede. Ich liebe meine Arbeit, es ist schön, wieder in meinem Handtuch-großen Büro zu sitzen, und auch schön, die Kollegen wiederzusehen.

      Aber meine Seele hängt immer noch irgendwo zwischen den Zwiebeltürmen des Kremls und dem Weißen Haus, und ich weiß aus Erfahrung, daß es ein paar Tage dauern wird, bis ich den unerträglichen Gesichtsausdruck abgelegt habe, mit dem wir Auslandskorrespondenten nach Hause zu kommen pflegen. Das hassen sie im Inland, wo sie sowieso der Meinung sind, wir wären alle nur eingebildete Angeber. Deshalb sind gemischte Ehen auch nicht so üblich ...

      »Hallo! Willkommen daheim!« Lea, eine etwas ältere Kollegin, kommt, um mich zu begrüßen. Sie ist gerade mit einem Rot-Kreuz-Flugzeug aus dem Sudan zurückgekommen. Offensichtlich hat sie den Drang zu reden, denn sie schiebt den Papierstapel vom Besucherstuhl und läßt sich darauf nieder.

      »Skelette!« sagt sie nur. »Und wenn sie nicht verhungern, dann werden sie im Bürgerkrieg umgebracht. Merkwürdig«, sie schüttelt langsam den Kopf und steckt sich geistesabwesend ein Stück Nikotinkaugummi in den Mund. »Ich bin jetzt so oft in der Dritten Welt gewesen und habe alles schon gesehen. Normalerweise kann ich das wegstecken ... auch die ausgetrockneten Säuglinge und die Fliegen. Aber diesmal ...«

      Lea kaut und sinkt in sich zusammen, während ich die Gelegenheit nutze, einen verstohlenen Blick auf den laufenden Fernseher zu werfen, der neben dem Gästestuhl steht. CNN sendet direkt aus dem Parlament, und auch wenn es jetzt Ferdinand ist, der den Laden dort drüben schmeißt, muß ich mit Bildern und Nachrichten auf dem laufenden sein und bereit, etwas zusammenzufassen oder zu kommentieren.

      »Das ist so, seit ich Matthias bekommen habe«, fährt Lea grübelnd fort. »Seitdem geht es mir so nahe.«

      Ich nicke verständnisvoll, während ich nebenbei registriere, daß Jelzin einen beunruhigten, scheißwichtigen Gesichtsausdruck aufgesetzt hat, und gleichzeitig überlege, warum Paul wohl nicht auf der Morgenkonferenz war.

      Lea durchschaut mich und steht mit leicht geschürztem Mund auf.

      »Na ja, das verstehst du erst, wenn du selbst Kinder hast.«

      Ich verdrehe die Augen und greife nach dem Telefon. Lea ist ein abschreckendes Beispiel dafür, was aus einem eigentlich vernünftigen Menschen werden kann, der plötzlich darauf besteht, Mutter werden zu wollen – mit vierzig! Und dann noch alleinerziehende Mutter. Sie, die der tough Cookie der Redaktion war, bekannt für ihr Engagement und ihre Furchtlosigkeit, interessiert sich jetzt vor allem für Matthias’ letztes Bäuerchen, ist ewig und drei Tage krank geschrieben und fährt nur noch auf Befehl fort, und auch dann möglichst nur in ›sichere‹ Gebiete. Und sie war einmal mein Vorbild.

      Paul ist in die Kantine gegangen, erklärt mir die Sekretärin vom Inland, ich lege auf und beschließe blitzschnell, daß ja eigentlich Mittagspause ist.

      Zu behaupten, ich hätte den ganzen Sommer über gehungert, ist übertrieben, aber sicher bin ich etwas unterernährt – ich habe vier Kilo abgenommen und spüre, wie mir das Wasser im Mund zusammenläuft, als mir der vertraute Geruch von Soße und Kartoffeln aus der Großküche entgegenschlägt. Deshalb kann ich es trotz des beunruhigenden Fahrstuhlgefühls im Zwerchfell nicht lassen. Ich muß Schweinebraten mit Rotkohl haben! »Das ist gut! Du brauchst ein bißchen Fleisch auf den Knochen«, murmelt er plötzlich hinter mir, als ich in der Kassenschlange stehe. »Und danke für den gestrigen Tag!«

      Er pustet mir in den Nacken, und ich kann mich nur kurz nach ihm umwenden, bevor ich das Essen bezahlen muß, von dem ich mit einem Mal ganz sicher bin, daß ich es nicht hinunterbekommen werde.

      Paul hat bereits gegessen – er ist nur hier, um Kaffee zu holen. Zwei Tassen. Ich gehe auf die Tische zu, die wie immer um diese Zeit von den Nachrichtenleuten besetzt sind. Sie erlösen mich, indem sie schnell und aufmerksam Platz für mich und mein Tablett machen und mich anschließend mit interessierten, freundlichen Fragen überschütten. Paul hat sich auf seinen Platz gesetzt, schräg gegenüber von Henriette, einer flinken Parlaments-Reporterin mit hochgestecktem Haar und einem Blitzen in den Augen. Sie ist es also, für die er Kaffee geholt hat, und sie nimmt ihn so entspannt und zurückgelehnt entgegen, daß kein Zweifel möglich ist.

      Es gelingt mir, ihn vollkommen zu übersehen, während ich Fragen beantworte, Geschichten erzähle und den General preisgebe – das mit dem Häuptling und den Indianern ruft ungeteilte Begeisterung hervor –, und mit einer teuflischen Schadenfreude bemerke ich, daß sie diejenige von uns ist, die am meisten reingelegt wurde. Nicht der Schatten eines Mißtrauens ist in ihrem aufmerksamen Zuhören zu bemerken.

      Mit