direkt. Man wird in diesem Zustand nur etwas labil. Aber schön, dich wiederzusehen«, sagt sie und hält meine Hand für einen Moment. »Wie ist es dir ergangen?«
Das berichte ich ihr, während wir in der Küche stehen, georgischen Tee kochen und Brote schmieren. Birgitte hat mich in Moskau besucht, als ich für ein paar Jahre im Kollegium des Ministerrats gewohnt habe, frierend und hungrig, und eine Salmonellenvergiftung von einer verdorbenen Wurst hatte, aber dennoch nur widerstrebend zugeben wollte, daß der idealisierte Sowjetkommunismus, den ich von meinem Vater und der dänischen KP kannte, nichts anderes als eine dicke Lüge und aufgeblasene Propaganda war.
Wir nehmen das Tablett mit ins Wohnzimmer und setzen uns jede in eine Ecke des Sofas, die Beine untergeschlagen – soweit sich das für Birgitte noch machen läßt –, wie wir es schon hundertmal zuvor gemacht haben. Und das ist entspannend, vertraut und dennoch anders als sonst. Birgitte ist anders. Sie, die immer überall dabei war und normalerweise diejenige ist, die mich über das Kulturleben auf dem laufenden hält, mit dem ich nur sporadisch Kontakt pflege, redet nur von Vorsorgeuntersuchungen, Atemübungen und erzählt voller Stolz, daß das Kind inzwischen circa dreitausend Gramm wiegt und sich bereits gedreht hat. Und auch wenn sie scheinbar meinen Putschschilderungen lauscht und vertiefende Fragen an den relevanten Punkten stellt, erscheint sie dennoch abwesend und in sich gekehrt und weicht jedesmal ab, wenn sie spürt, wie das Kind sich bewegt.
»Jetzt! Fühl mal!« ruft sie aus, eine Hand auf dem Bauch, als ich gerade dabei bin, eine ziemlich interessante Theorie über Gorbatschows Zukunft zu entwickeln. Seine Stellung wird immer schwächer werden, sein Spielraum immer kleiner ...
Ich gehorche, lege eine Hand auf den Ballon, und es ist wirklich sonderbar, eine Ferse oder ein Knie zu fühlen, aber ehrlich gesagt hätte ich lieber Birgitte bei mir gefühlt. Sie wird erst richtig aufmerksam, als ich ihr beschreibe, wie die Frauen in sowjetischen Krankenhäusern ihre Kinder kriegen. Sie schüttelt sich, als ich ihr von der hohen Säuglingssterblichkeit erzähle, von Gebärenden, die in Reih und Glied liegen, von der fehlenden Anästhesie, sturzbetrunkenen Ärzten, korrupten Krankenschwestern und der wochenlangen Isolation von der Umwelt, in der frischgebackene Mütter gehalten werden.
»Soll das heißen, daß sie allein gebären? Ist der Vater nicht dabei?« fragt sie.
»Er darf unten auf der Straße stehen und warten, daß sich Mutter und Kind einen Tag später am Fenster zeigen. So war es jedenfalls. Vielleicht wird sich das jetzt auch ändern. Zumindest für die Reichen. Früher oder später wird es sicher eine kapitalistische, kooperative Geburtsklinik geben.«
Birgitte starrt in ihre Teetasse.
»Ich glaube ja ehrlich gesagt auch, daß Jens am liebsten drum herumkommen würde. Nicht dabeisein möchte, meine ich. Aber das traut er sich doch nicht direkt zu sagen, und er muß dabeisein. Schon um mir die Hand zu halten. Ich habe eine Scheißangst vor der Geburt!«
Birgitte lächelt unsicher und greift nach der Teekanne. Ich stehe auf, lege eine Platte auf und vermeide es, zum hundertsiebenundzwanzigsten Mal, unsere Freundschaft mit der Frage aufs Spiel zu setzen, was zum Teufel sie eigentlich mit diesem Mann will.
»Ich kann doch mitkommen!« biete ich ihr statt dessen an, als ich mich wieder gesetzt habe und die scharfe Leningrad-Band »Kinder der Zukunft«, sehr trendy, durch den Raum dröhnt.
»Du?« Birgitte lacht laut auf. »Und was ist, wenn es mitten in einem neuen Putsch passiert? Oder du gerade auf einer Reportagereise in Transkaukasien bist?«
Da hat sie natürlich den Nagel auf den Kopf getroffen, und das bringt mich dazu, von der Audienz beim General zu erzählen. Birgitte nickt aufmerksam, aber ich merke deutlich, daß ihr Interesse für meine Karriere ungefähr so groß ist wie mein Interesse für ihre Geburtsvorbereitungen.
»Und das da?« fragt sie plötzlich und deutet auf den beeindruckenden Knutschfleck, den ich den ganzen Tag erfolgreich mit Hilfe von Make-up und einem großen russischen Kopftuch versteckt hatte.
»Gar nichts«, weiche ich aus, wobei ich jedoch verräterischerweise bis zum Hals erröte.
»Nein, natürlich nicht, das sehe ich!« Birgitte triumphiert. »So einen roten Kopf habe ich bei dir seit Jahren nicht gesehen! Nicht mehr seit ...«
»Piep!« unterbreche ich sie.
»Genau! Nicht mehr seit piep!« grinst sie. »Nun erzähl schon!«
»Er heißt Paul, ist Umwelt- und Arbeitsmarktreporter im Inland und ein gefundenes Fressen für zu viele Damen. That’s it!« lüge ich und verstecke mich hinter meinem Teebecher.
»Abgesehen davon, daß du ganz scharf auf ihn bist.«
»Bin ich nicht!« widerspreche ich und erröte wieder. Das auch noch.
»Doch, bist du! Und wenn er auch so scharf auf dich ist, dann bin ich der Meinung, daß du ihn dir schnappen solltest!« beschließt sie kategorisch, als würden wir über ein Paar neue Schuhe reden.
»Ich habe keine Lust auf eine feste Beziehung«, erkläre ich.
Birgitte schenkt sich Tee nach. Sieht mich von der Seite her an.
»Das glaubst du doch selber nicht! Nun mal ehrlich, Therese, du brauchst gewisse Verpflichtungen! Einem anderen Menschen gegenüber!« erläutert sie, weil sie weiß, was ich ihr entgegnen will. Daß ich meiner Arbeit verpflichtet bin. Diese Debatte haben wir schon oft geführt. Der Unterschied dabei ist nur, daß ich sonst rein theoretisch argumentiere.
»Und warum?« frage ich und zünde die erste Zigarette des Abends an. Aus Rücksicht auf die Schwangere und ihren Fötus habe ich mich auch in diesem Punkt heroisch beherrscht.
»Damit du erwachsen wirst. Man kann nicht ...«
»Birgitte, nun hör aber auf!« brause ich auf. »Wird man deswegen erwachsen, weil man sich verpflichtet? Für Villa, Volvo und Waschmaschine? Meine Güte, schau dich doch nur einmal um!«
Ich weiß, daß ich damit einen Schritt zu weit gegangen bin. Mindestens. Aber das ist sie auch.
Birgitte sammelt sich. Leckt sich die Lippen. Guckt auf ihre Swatch.
»Nun ja«, sagt sie und kommt mit angestrengter Miene vom Sofa hoch. »Ich muß sehen, daß ich nach Hause komme. Zu meiner Waschmaschine!«
»Entschuldige, das war nicht persönlich gemeint«, sage ich und reiche ihr meine Hand.
»Natürlich war es das!« Sie wirft mir ein schräges Lächeln zu, als ich sie vom Sofa hochgezogen habe. »Der Dunkle ist es, nicht wahr? Der so aussieht wie Richard Gere?«
»Nein!« widerspreche ich. »Er sieht viel besser aus!«
Birgitte kichert wie ein Teenager. »Go for it!« sagt sie.
Ich benutze meinen freien Tag, um einfach nichts zu tun und zu mir selbst zu kommen. Schlafe lange, mache sauber, gehe ins Waschcenter, zur Bank und zur Post. Kaufe im Supermarkt die Grundausstattung und bei Jan, dem polnischen Gemüsehändler um die Ecke, Unmengen Obst und Gemüse.
»Strastwuitje!« begrüßt er mich strahlend, als ich das kleine Geschäft mit einem Korb Pflaumen betrete. Wir reden immer russisch miteinander. Obwohl er glühender Antikommunist ist und das bereits war, als es noch nicht ungefährlich war, ist er ein großer Liebhaber der russischen Sprache. Abgesehen von mir, gibt es nur noch ein paar Botschaftskunden, mit denen er russisch sprechen kann. Aber denen antwortet er nur mit mürrischen Einwortsätzen.
»Herrenvolk!« schnaubt er, als ein paar umfangreiche russische Diplomatenfrauen ins Geschäft rauschen. »Die können nichts lernen, die wollen nichts lernen! Die denken gar nicht daran, auch nur ein einziges ihrer zahllosen Privilegien aufzugeben! Und jetzt erst recht nicht! Ne, ne, so naiv dürft ihr hier im Westen nicht denken. Und dieser Boris, der soll ein Demokrat sein? Ein Volksverhetzer! Opportunist! Soll ich dir einen Witz erzählen?« fragt er schließlich, als er Tomaten abwiegt.
»Also, vier Staatsoberhäupter haben sich versammelt und unterhalten sich nach einer Konferenz. ›Wenn