entsprechend andächtig gelauscht habe, wird es eine angenehme Fahrt mit genau der richtigen Mischung aus Klatsch und Sachlichkeit. Ich necke ihn ein wenig mit seiner Mätresse und muß mir auf die Zunge beißen, um nichts zu der amourösen Verbindung zwischen Paul und seiner Christiansborg-Schnalle beizusteuern, als Ras irritierenderweise selbst auf sie zu sprechen kommt und sie als ein ›wahres Naturtalent‹ beschreibt.
»Sie ist mit dem Paul aus dem Inland zusammen«, erklärt er und fragt mich, wo ich aussteigen möchte. »Weber!« fügt er hinzu. Vollkommen überflüssigerweise.
»Ach, laß mich einfach hier raus! Ich kann den Bus im Jagtvej nehmen!« versichere ich, als ich am Åboulevard aussteige.
»Du mußt entschuldigen. Ich würde dich natürlich gern nach Hause fahren, aber ...« Ras sieht mich verzweifelt an. Für eine mittlere Führungskraft kann er nicht besonders gut unangenehme Beschlüsse fassen.
»Das ist schon in Ordnung!« lächle ich und bedanke mich fürs Mitnehmen.
Am nächstgelegenen Kiosk hole ich mir einen Hot dog mit gerösteten Zwiebeln. Ein Fettwanst mit tätowierten Händen rülpst laut und vernehmlich neben mir. Es ist mir ganz gleich. Ich stopfe nur in mich hinein. Versuche nicht an ihn zu denken, mir nicht vorzustellen, wie nah von hier er wohnt. Ich könnte in zehn Minuten bei ihm sein.
Der Fette rülpst erneut.
»Mahlzeit!« sage ich und gönne ihm einen Blick aus Schlafzimmeraugen. Er grinst träge, ich gehe zur Bushaltestelle.
Der Anrufbeantworter blinkt rot, als ich heimkomme. Drei Nachrichten. Die erste von dem Verlagslektor, der möchte, daß ich etwas schreibe. Die zweite ist ein wortloses Stöhnen, was alles von einem Psychopath bis zu Tante Mo aus der Provence sein kann – sie kommt mit Anrufbeantwortern nicht zurecht. Die dritte ist von Paul.
»Hallo, ich bin’s. Es ist jetzt fünf nach acht. Rufst du mich mal an?«
Um das nicht zu tun, tippe ich blitzschnell Birgittes Nummer ein. Ich habe schon mehrere Male versucht sie anzurufen, gestern und heute, aber immer ohne Erfolg. Und auch diesmal dauert es so lange, bis sie ans Telefon kommt, daß ich fühle, wie sehr ich sie vermisse. Aber endlich ist sie da – ganz außer Atem.
»Hallo, Therese! Bist du endlich wieder zurück?« plappert sie los und klingt so froh, daß ich ganz gerührt werde. Dennoch zögert sie, als ich sie zum Tee einlade.
»Ach, Therese, ich würde ja schrecklich gern, aber ...«
»Was, aber?« Ich wickle mir die Telefonschnur um einen Finger, wie er sich mein Haar um seinen gewickelt hat ...
»Weißt du, ich bin so schrecklich schwanger inzwischen ...«
»Mein Gott, das hatte ich ja ganz vergessen!« sage ich und ziehe den Finger heraus. Reiße statt dessen einen Fensterbriefumschlag auf. Die Elektrizitätswerke. Eine Mahnung.
»Wirklich? Na, das kann ich mir denken!« Birgitte lacht trocken. »Aber ich nicht. Du solltest mich sehen! Elefant in oversize!«
»Das muß ich auf jeden Fall!« kichere ich.
»Ich kann mich kaum noch von der Stelle bewegen. Ich war schon im Bett. Und Jens ist am Storebælt, er hat den Wagen ...«
»Ich sag’ dir was, Birgitte, diese Ausreden lasse ich nicht gelten. Du nimmst dir jetzt ein Taxi auf meine Kosten, wenn es nicht anders geht!« beharre ich.
»Okay«, stimmt sie zu, nachdem sie sich den Vorschlag überlegt hat. »Ich komme. Aber du mußt mir versprechen, nicht zu lachen!«
Hinterher hole ich tief Luft. Beginne bei dem Anblick einer Gitane-Kippe im Aschenbecher zu träumen. Warum habe ich den nicht gestern saubergemacht? Lese unkonzentriert eine Lokalzeitung – die Polizei will die Hausbesetzer um die Ecke rausschmeißen, kann aber nichts tun, solange keine Anzeige vorliegt. Ich gehe in die Küche und setze Wasser auf, bleibe wieder träumend mit der Teekanne in der Hand stehen, als das Telefon klingelt.
»Entbindungsstation!« sage ich frech, fest davon überzeugt, daß es Birgitte ist.
»Wie bitte?« fragt Paul konsterniert.
»Ach, nichts. Ein interner Joke«, erkläre ich obenhin, während ich mich an der Tischkante festhalte, um nicht umzufallen. Und wieder habe ich den Finger um die Schnur, wie mein Bein sich um seines wickelte ...
Paul hat den falschen Einstieg ins Gespräch bekommen, und das ist mir nur recht. So kann ich leichter die Oberhand behalten. Freundlich, aber bestimmt.
»Hast du meinen Brief bekommen?« fragt er unsicher.
»Ja«, antworte ich kurz, während ich den wilden Drang unterdrücke, jetzt gleich mit ihm Telefonsex zu machen. Hier. Sofort.
»Aber du hast nicht geantwortet?«
»Ich hatte keine Zeit«, sage ich und kreuze die Beine. Dann setze ich mich hin und male Kringel auf den Rand der Zeitung.
»Therese, ich weiß nicht, was passiert ist, aber es kommt mir so vor, als wärst du seit gestern ziemlich abgekühlt. Ist der Eindruck richtig?«
»Nun ja«, murmle ich undeutlich. Ich kann es nicht lassen – schließe die Augen und sehe ihn vor mir. Heute kam er in Denimblau. Verwaschenes Hemd, das frau aufknöpfen kann, Knopf für Knopf. Seine Telefonstimme ist eine Spur heiser. Ist seine Fernsehstimme auch so? Wieso habe ich das bisher noch nie bemerkt?
»Und willst du trotzdem mit mir essen? Wenn du rüberkommst, könnte ich was in der Küche zaubern. Oder wir gehen in ›Kates Joint‹, falls sie nicht in Indien ist.«
»Ich kann leider nicht. Ich erwarte Besuch«, erkläre ich förmlich, während meine Phantasie mir mit weichgezeichneten Bildern von Paul und mir in den Rücken fällt, wir beide, wie wir Tandoori-Hähnchen essen ...
»Mann oder Frau, wenn man fragen darf?«
»Das darfst du gern, aber du bekommst keine Antwort.«
Paul seufzt.
»Tes, verflucht noch mal! Ich vermisse dich! Sag mir, was ich falsch gemacht habe, damit ich mich bessern kann!«
Ein Taxi fährt vor dem Haus vor, und ich spreize die Lamellen der Jalousie. Birgitte steigt aus. Sie hat nicht besonders übertrieben. Sie ist wirklich gewaltig.
»Okay«, sage ich und hole tief Luft. Zögere.
»Ja?«
»Ich konnte es noch nie vertragen, die zweite zu sein.«
Paul seufzt erneut. Und das sei ihm hoch angerechnet, daß er mir keine direkte Lüge auftischt.
»Okay. Laß uns drüber reden. Wenn du jetzt also ...«
Wie ein gewünschter dramatischer Effekt ertönt aufs Stichwort die Türklingel.
»Grüß schön!« sagt er sauer, als ich das Gespräch mit einer vieldeutigen Entschuldigung beende. Als ich aufgelegt habe, entdecke ich, daß ich auf den Zeitungsrand lauter kindliche Herzchen gemalt habe.
»Du hast versprochen, nicht zu lachen!« ermahnt mich Birgitte, als sie hereinkommt und sich den Mantel auszieht.
Aber das läßt sich gar nicht vermeiden. Sie hat etwas so grotesk Komisches und gleichzeitig tief Rührendes an sich, wie sie in ihrem Overall dasteht, mit ihrem riesigen Bauch und den weichen, fast zerfließenden Gesichtszügen einem Mumintroll ähnelt.
»Das ist überhaupt nicht witzig!« sagt sie scharf. »Ich weiß sehr gut, wie ich aussehe! Ich bin einfach verdammt schwanger! Ha, ha!«
Plötzlich ist sie kurz vorm Weinen. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, und ich nehme sie spontan in die Arme. Sie schluchzt einmal auf, aber dann macht sie sich mit einer abwehrenden Bewegung frei, räuspert sich und wischt sich mit einem Finger über die Augen.
»Liegt es an Jens?« frage ich, ohne zu mitleidig oder vorwurfsvoll zu klingen. Auch wenn Birgitte genau weiß, daß ich nie die große Offenbarung in dem sauertöpfischen Zeichendreieck