bin, fahre ich nur Rolls Royce!‹ sagt darauf der britische Premierminister. ›Und Sie?‹ fragen sie den russischen Generalsekretär. ›Wenn ich im Ausland bin, fahre ich immer Panzer!‹«
Ich lache, obwohl der Witz alt und überholt ist, und Jan belohnt das, indem er mir ein paar Tomaten zusätzlich einpackt.
»Willst du dafür den neuesten Genossenschaftswitz hören?« frage ich.
»Ja!« nickt er eifrig.
»Der kostet zehn Dollar!«
Jan lacht polternd und zustimmend, so daß sich einige dänische Kunden im Geschäft konsterniert umdrehen. »Ja, ja, in diesen Genossenschaften herrscht der reinste Kapitalismus!« kommentiert er und wendet sich mit einem beflissenen »Wassollessein?« dem nächsten Kunden zu.
Ras hat auf den Anrufbeantworter gesprochen – er wünscht mir einen schönen freien Tag und geht davon aus, daß er mich nicht braucht. Ein Kulturverein in Westjütland möchte mich für einen Vortrag einladen, und der Verlagslektor möchte gern, daß ich zurückrufe, am besten »heute noch«. The rest is silence. Was bedeutet: Keine Nachricht von Paul, was gleichzeitig eine Enttäuschung und eine Erleichterung ist. Ich koche mir mit meiner alten, ramponierten Sansibarkanne einen Espresso, rauche ein paar Zigaretten, gieße die Blumen. Dann rufe ich den Verlagslektor an und verspreche ihm, einen Beitrag zu schreiben, den ich in spätestens drei Wochen abgebe. Anschließend telefoniere ich mit der Vorsitzenden des Kulturvereins, die einen so starken westjütländischen Akzent hat, daß ich kaum verstehe, was sie sagt. Ein Vortrag ist etwas ganz Neues für mich, aber da allgemein bekannt ist, daß verschiedene Kollegen fabelhaft mit derartigen Nebenjobs verdienen, sehe ich keinen Grund, mich zurückzuhalten. Doch ich bin bescheiden mit meiner Honorarforderung, vielleicht zu bescheiden, wie ich hinterher überlege. Sie klang so zufrieden, diese kulturelle Vorsitzende, und war ganz eifrig darauf bedacht, sofort einen Termin festzumachen. Wir haben einen Termin Mitte November vereinbart – natürlich unter dem Vorbehalt, daß er in meinen Dienstplan paßt.
Und dann nehme ich mir die Bänder vor, die ich aus Moskau mitgebracht habe. Es sind mehrere Kilometer Film von Den Drei Tagen, als ich meinen Kameramann Sergej gebeten habe, die Kamera permanent laufen zu lassen. Viel von dem Stoff ist zu grob und durcheinander, um es senden zu können, aber je mehr ich mir ansehe, um so sicherer werde ich, daß daraus eine vibrierende, authentische und außergewöhnliche Reportage zu machen ist. Nach ein paar Stunden bin ich so vertieft und habe bereits angefangen, das Material zu strukturieren, daß ich Ras einfach anrufen muß.
Zuerst schimpft er.
»Du solltest doch freimachen, meine Liebe!«
»Das mache ich ja auch!« behaupte ich und erzähle ihm dann, daß ich Gold gefunden habe. Was trotz allem sein Interesse weckt.
»Und was denkst du, was man damit machen sollte?« fragt er schließlich.
»Einen Beitrag fürs Auslandsjournal«, schlage ich vor.
»Das heißt, daß du vom Dienstplan suspendiert werden willst?« fragt er leicht besorgt.
»Nur für ein paar Tage ...«, wiegle ich ab.
»Das muß ich erst mit dem Journal checken und vielleicht auch gleich mit deinem ganz speziellen Freund«, entscheidet Ras und verspricht zurückzurufen.
Während ich auf seinen Rückruf warte, mache ich mit dem Video weiter. Spule vor und zurück und bin ganz wild darauf, in einen Schneideraum zu kommen. Das kann eine wirklich gute Story werden.
Es klingelt an der Haustür, und ich stehe auf, verärgert über die Unterbrechung, die mich aus einem Zustand reißt, den ich am liebsten mag: Arbeitseuphorie. Es ist ein Blumenbote mit einem riesigen Blumenstrauß. Zuerst bin ich überzeugt davon, daß es sich um ein Mißverständnis handeln muß, aber dann sehe ich die Karte und nehme den Strauß an. Vierundzwanzig langstielige rote Rosen. No more, no less. »Voll Sehnsucht, dein P.«
Mehrere Stunden lang habe ich nicht an ihn gedacht, ihn höchstens als ein schwaches Sausen im Blut gespürt, und als ich nun mit dem monströsen, in Zellophan gewickelten Strauß in der Hand dastehe, möchte ich ihn am liebsten auf den Küchentisch legen und weiterarbeiten. Ihn zurückweisen, den Strauß als ein trojanisches Pferd betrachten. Aber dann fällt mir Tante Mo und ihr Rosengarten ein, der ihr Leben lang ihre Leidenschaft war, ob sie nun mit dem einen oder dem anderen verheiratet war, hier oder dort gewohnt hat oder schließlich Witwe ihrer beiden Ehemänner war. Und wie schon so oft ist es ihre Eisenhand in Samthandschuhen, die meine Handlungen steuert, als ich die Rosen aus dem Zellophan befreie, die Stiele anschneide, bevor ich schließlich Wasser in einen verbeulten Champagnerkühler fülle und sie hineinstelle.
Der Strauß findet in meinem Schlafzimmer auf dem Boden neben meinem Bett, wo es von Bändern und Notizen nur so wimmelt, ein Plätzchen, und widerstrebend muß ich zugeben, daß er schön ist. Obwohl ich davon überzeugt bin, daß Paul schon Tausende solcher Karten geschrieben hat, durchläuft mich doch ein Schauer, als ich sie noch einmal lese. Und noch einmal. Kurz bevor ich vor lauter verbotenem Entzücken zerfließe, ruft der General an. Himself. Er ist der Meinung, das mit den Bändern klänge »riesig«, schlägt aber vor, eine eigene Sendung daraus zu machen. Also eine richtige Dokumentation. Wenn ich denke, daß ich Stoff genug für fünfzig Minuten habe. Das denke ich.
Reichen mir sieben Redaktionstage, so daß der Film für den übernächsten Freitag ins Programm genommen werden kann? Auch das denke ich.
Gut, dann wird er es selbst mit Ras regeln, daß ich aus dem normalen Dienstplan herausgenommen werde.
So. Nachdem ich aufgelegt habe, bleibe ich eine Weile regungslos stehen und starre aus dem Fenster. Das Mädchen gegenüber hängt wie immer in ihrem Fensterrahmen, schaut mich gleichgültig an wie ein neunzehnjähriges Musterbeispiel für einen Menschen, den man durch Nichtstun vor die Hunde gehen läßt. Behindert durch Arbeitslosigkeit.
Das bin ich nicht, ganz im Gegenteil. Das Versprechen, das ich dem General gegeben habe, grenzt an Wahnsinn. Wenn ich es einhalten will, muß ich sofort loslegen. Ich wende mich vom Fenster ab, gehe aufs Klo, koche Kaffee. Und dann betrete ich den geschlossenen Raum der Konzentration.
Dort bleibe ich fast zehn Tage, von denen ich mich die meiste Zeit mit Søren, den ich mir als Techniker geangelt habe, hinter dem Mischpult befinde. Trotz seiner Flower-power-Ideale hat er Respekt vor meinem Ehrgeiz und meinem Ernst und läßt sich von meiner Vision anstecken, die ich anfangs nur vage als »eine Oper« bezeichnen kann. Ohne schwerfällige Analyse und Interpretation, sondern nur Bilder voller Pathos, Angst und Hoffnung. Untermalt von russischer Opernmusik.
»Du meinst, wir sollen Kunst machen? In sieben Redaktionstagen?« fragt er mich am ersten Morgen, als wir die Croissants vertilgen, die ich zum Kaffee mitgebracht habe. Als ich nicke, legt er mir eine Hand aufs Knie und sagt, daß ich wahnsinnig sei. Wenn das stimmt, dann sind wir es beide, denn von dem Moment an ist er hundert Prozent für mich und das Projekt engagiert. Läßt sich selbst von den Standbildern auf dem Monitor hinreißen – alte, bettelnde Frauen, ängstliche Kindersoldaten, junge Studenten im Freudentaumel. Das Volksmeer auf dem Manegenplatz und die stumme kollektive Trauer über die drei Opfer.
»Ist das schön!« sagt er mehrfach. »Ich wünschte, ich wäre dort gewesen ...«
Ich erinnere ihn daran, daß wir eine Oper produzieren. Daß die Vorstellung zu Ende ist, wenn der Projektor ausgeschaltet ist. Aber Sørens Glauben an das Volk ist unerschütterlich, und als uns beim Schnitt nur noch die letzten Sequenzen fehlen, ist er dagegen, daß wir auch nur ansatzweise Skepsis gegenüber der russischen Revolution zeigen könnten. Erst nach stundenlangen Diskussionen beugt er sich und ist damit einverstanden, daß wir die Oper mit einer Bilderserie von Jelzin abschließen; die letzte Aufnahme, die mein Kameramann von unten gefilmt hat, läßt ihn wie ein Denkmal erscheinen. Ein großer Mann. Wie Lenin, Stalin oder Dzieržyński.
Meine einzige Kritik an Søren ist, daß er immer pünktlich geht. Er muß seine Tochter spätestens um fünf aus dem Kindergarten abholen, Viertel vor ist er also weg. Ohne einen Techniker kommt man schlecht weiter, aber ich bleibe dennoch sitzen, sehe mein Schnittmanuskript noch