Hanne-Vibeke Holst

Mann umständehalber abzugeben


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Geniert. Senke den Blick, fühle mich entblößt und voller Fehler. Fehler, die er vielleicht bisher übersehen hat, aber die er in diesem Morgenlicht der Erkenntnis unzweifelhaft bemerken wird. »Doch, das bist du!« beharrt er. »Es ist wunderbar, dich anzugucken.«

      »Nein!« Ich schüttle den Kopf. »Meine Augen stehen zu eng zusammen, meine Nase ist schief, und mein Mund ist zu groß ...«

      »Sonst noch was?«

      »Ich kriege schon Falten!«

      Paul grinst. Läßt meine Füße los und gießt Kaffee ein. »Let’s face it! Du gehst hart auf die Neunundzwanzig zu!«

      »Und du?«

      »Ein junger Mann von siebenundzwanzig! Aber nur ruhig, ma chérie! Ich war schon immer scharf auf reife Frauen.«

      Ich ohrfeige ihn mit dem Sportteil, während er mein Handgelenk packt und mich auf seinen Schoß zieht. Mich küßt und eine Hand besitzergreifend auf meine Brust legt, die sich bereits aufführt, als gehöre sie ihm. Schamlos, wollüstig.

      Wir sind den ganzen Tag zusammen. Selbst als ich zum Friseur gehe, kommt er mit. Sitzt unbeirrt dabei und guckt von seinem Platz in dem dreieckigen Wartesofa aus in meinen Spiegel, verzieht seinen Mund zu einem imaginären Kuß und formt »Je t’aime« mit den Lippen, so daß ich geniert schmunzle und Bente, meine Friseuse, wissend breit grinst. Wir pflegen sonst immer sehr interessante Gespräche zu führen, sie und ich. Dostojewski ist ihr Lieblingsschriftsteller, und wir versuchen auch ein wenig ernsthaft über »Schuld und Sühne« zu reden, das sie im Urlaub erneut gelesen hat, aber Pauls Anwesenheit wirkt auf uns beide zu ablenkend. Also konzentriert sie sich aufs Schneiden, und ich sitze in dem gestreiften Hemd, das ich mir von ihm ausgeliehen habe, nur summend da. Gewöhne mich an meinen Schwebezustand. Spüre, wie das Eis bricht.

      Anschließend gehen wir Hand in Hand den Strøget entlang. Immer wieder komme ich aus dem Schritt, und Paul fragt, ob ich auch so schlecht tanze.

      »Ich bin nur aus der Übung«, erkläre ich und will ihn unwillkürlich loslassen, als wir ein paar Kollegen entdecken, die auf uns zukommen. Aber Paul hält mich fest, als wäre ich ein Hund, der an der Leine zieht, und redet in dem entsprechenden gewissenhaften, ruhigen Ton auf mich ein.

      »Ruhig, ruhig! Die haben uns schon gesehen! Also kannst du ebensogut deinem Schicksal mit Würde entgegengehen!« sagt er und lächelt ihnen freundlich zu, als sie uns mit Augen, groß wie Kameralinsen, anstarren.

      »Welchem Schicksal?« knurre ich zwischen den Zähnen.

      »Daß wir spätestens Montag bei der Morgenkonferenz als das neue Paar des Senders gelten!«

      Die Kollegen, zwei Typen von der Dokumentargruppe, halten sich nicht zurück, sie bleiben stehen und wollen mit uns plauschen. Ich bleibe demonstrativ stumm, während Paul, immer noch meine Hand fest in seiner, die absolute Komödie spielt und über Wind und Wetter und die Tamilensache plaudert, an der die beiden gerade dran sind.

      »Herzlichen Glückwunsch«, sagt der eine schließlich direkt zu mir. »Das war eine tolle Reportage, die gestern von dir gelaufen ist.«

      Ich bedanke mich und interveniere hastig, als Paul mit der heutigen Fernsehrezension prahlen will. Auf dem Weg in die Stadt kauft er noch fünf weitere Zeitungen – zwei Morgen- und drei Abendzeitungen –, drei berichten positiv, eine ist sauer, und eine erwähnt die Reportage gar nicht.

      »Warum sollte ich das nicht sagen?« fragt Paul, als wir die beiden Neugierigen endlich los sind.

      »Hochmut kommt vor dem Fall!« erkläre ich drohend.

      »Aber ich bin doch so stolz auf dich!« Paul drückt mich heftig an sich. »Ich finde, du bist phantastisch! Ich finde, es ist die wunderbare, prachtvolle und absolute Seligkeit, hier mit dir auf der Straße laufen zu dürfen! Ist das so schlimm?«

      »Das weiß ich nicht!« antworte ich konfus, lege aber jedenfalls meine Hand wieder in seine.

      Wenn er sich abzuheben traut, dann ich auch. Paul hatte es, soweit mir bekannt, nie eilig, seine neuen Eroberungen vorzuführen. Vermutlich, um anderen Damen nicht alle Hoffnung zu nehmen! Daß er jetzt so begeistert ist, mit mir gesehen zu werden, muß ein direktes Signal für mich sein. Er will für mich der sein, den ich mir erhoffe. Bleibt nur noch die Frage, wen er sich in mir erhofft.

      Genau das frage ich mich, als wir am Abend wieder im Erker sitzen und coq au vin essen, für dessen Zubereitung er den ganzen Nachmittag gebraucht hat, während ich gegen seinen Willen nach Hause gegangen bin, um die Post durchzusehen, mich umzuziehen und ein paar Grad abzukühlen, bevor ich völlig dahinschmelze. Aber die Wirkung des kalten Wassers und eines Ablenkungsbesuchs bei Simon und Frank, wo ich Paul skrupellos auf seinen Körper reduziere – »ein knackiger Bissen« –, ist nur kurzlebig. Denn sobald ich wieder bei ihm bin, beginnen mein Schoß, mein Körper und meine Seele zu lechzen und zu glühen.

      »Jetzt erzähle mir mal, wer du bist, Therese!« sagt er und schenkt mir Wein nach.

      Normalerweise besteht meine Beziehung zu Männern, die diese Art rhetorischer Fragen mit verschleiertem Verführerblick stellen, nicht über das Ende eines candlelight dinner hinaus. Aber wenn Paul das sagt, dann ist das natürlich etwas vollkommen anderes. Ich drehe das Glas am Stiel, während ich nachdenke, bereit, eine richtige Antwort zu geben.

      »Journalistin?« antworte ich und höre selbst, daß es eher wie eine Frage klingt.

      Paul lächelt leicht.

      »Journalistin? Und was noch?«

      »Frau?«

      »Frau«, wiederholt Paul und erfüllt das Wort mit einer neuen, warmen Sinnlichkeit, die meine Gebärmutter wie eine Seeanemone schaukeln läßt.

      »Und weiter? Wer bist du noch?«

      Ich zucke unsicher mit den Schultern.

      »Ich selbst«, antworte ich schließlich, und das klingt vielleicht etwas poppig, ist aber deshalb nicht weniger wahr. Ich bin in erster Linie ich selbst, und so ist es schon immer gewesen.

      »Und darauf bist du stolz«, sagt er und verwirrt mich, weil er so direkt in meine eigenen Gedankenbahnen eindringt.

      »Wie meinst du das?« frage ich ablenkend.

      »Du bist stolz, du selbst zu sein«, erklärt er. »Du bist Journalistin und Frau und stolz, du selbst zu sein.«

      »Letzteres habe ich nicht gesagt!« protestiere ich.

      »Was hast du nicht gesagt?«

      »Daß ich stolz bin, ich selbst zu sein!«

      »Ja, bist du es denn nicht?« Paul schiebt mir eine Packung Zigaretten hin, und ich ergreife das Päckchen mit einer heftigen Bewegung. Irgendwie fühle ich mich in eine Ecke gedrängt.

      »Darf ich das nicht?« frage ich zornig und ignoriere demonstrativ das Feuerzeug, das er bereithält, während ich mich über den Tisch beuge und meine Zigarette an einer Kerze anzünde.

      »Doch, natürlich. Wenn ich du wäre, wäre ich auch stolz auf mich. Ich bin ja auch stolz auf dich, das habe ich doch schon gesagt!« erklärt Paul und schaut mir ungeniert ins Dekolleté.

      »Paul, was spielen wir hier eigentlich?« frage ich und schiebe den Stuhl hart nach hinten.

      »Nichts«, antwortet er mit unschuldiger Miene. »Ich versuche nur herauszufinden, was für ein Mensch du bist.«

      Das tut er dafür um so gründlicher und mit einer derartigen Hartnäckigkeit, daß ich mehr als einmal an diesem Wochenende das unangenehme Gefühl habe, wir würden Katze und Maus spielen. Wobei ich natürlich die Maus bin. Aber jedesmal, wenn ich frage, ob er mich zum Narren hält, schaut er mich ernst an und gibt mir die gleiche Antwort, in verschiedenen Variationen: »Ich will wissen, wer du bist.«

      Und ich, die ansonsten bekannt dafür ist, reserviert zu sein und nie so eine war, die ihre Lebensgeschichte in der S-Bahn zum besten gibt, gehe am Sonntag Hand in Hand mit Paul um die Seen und erzähle ihm