Hanne-Vibeke Holst

Mann umständehalber abzugeben


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ein kleiner Gummiball und läßt ihn aufschauen, als ich das Tablett auf den Tisch stelle.

      »Du lächelst?« stellt er fragend fest und lächelt selbst.

      »Ich freue mich einfach, daß du hier bist«, erkläre ich, wohl wissend, daß ich mir damit eine Blöße gebe.

      »Ich freue mich auch hierzusein! Komm!« Er lehnt sich zurück und will nach mir greifen.

      »Zuerst der Kaffee!« sage ich.

      »Zuerst ein Kuß!« beharrt er und küßt mich, daß ich den Boden unter den Füßen verliere. »Und dann der Kuchen!« neckt er mich und schubst mich weg.

      Ich beherrsche mich und mache mich statt dessen über den Mandelkuchen her, der nur ein billiger Ersatz ist.

      »Und dein Vater?« fragt er plötzlich ohne Übergang, als er das erste Stückchen Kuchen im Mund hat.

      »Mein Vater?«

      »Ja, wo ist er abgeblieben? Einfach aus der Geschichte ausgetreten, als du neun warst, oder wie?«

      Ich seufze. Vor allem vor Müdigkeit. Psychische Müdigkeit. »Können wir das nicht ein andermal durchnehmen, Sigmund?«

      »Wie du willst. Ich bin nur neugierig.«

      »Ja, das kann man wohl behaupten!« bestätige ich und erzähle ihm doch die Geschichte. Von Vater, der ein halbes Jahr später mit Entzugstabletten und vielen Versprechungen doch wieder zurückkam und fast ein halbes Jahr lang der perfekte Vater war. Lieb und witzig, zärtlich und anwesend. Von Mutter, die sich während einer Tournee durch die Provinz einem anderen Schauspieler in die Arme warf–Vater entdeckte das, weil sie wollte, daß er es entdeckt.

      »Und dann ging er ganz fort. Legte einen Zettel und etwas Geld für uns auf den Küchentisch und verschwand. Reiste in Europa und Nordafrika herum und landete schließlich auf Mallorca, wo er anfing, Kitschportraits für Touristen zu malen, und damit so viel verdiente, daß er es sich leisten konnte, Alkoholiker zu sein. Dort ist er, soweit ich weiß, immer noch.«

      »Hast du keinen Kontakt zu ihm?«

      Ich schüttle energisch den Kopf.

      »Im ersten Jahr schrieb er, und wir, meine kleine Schwester und ich, schrieben ihm zurück. Aber dann verlief sich das im Sand. Kiki, meine Schwester, hat ihn einmal an einem Strand da unten gesehen, aber ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit er abgereist ist. Ich würde ihn wahrscheinlich gar nicht wiedererkennen, wenn ich ihm auf der Straße begegnen würde.«

      »Vermißt du ihn?«

      »Nicht mehr«, sage ich und mache dicht. Auch wenn es Paul ist ...

      Die letzte Vernehmung des Tages wird am späten Sonntagabend in meinem Bett durchgeführt. Hinterher.

      »Du, Tes«, murmelt er. »Darf ich dir eine Frage stellen?«

      »Soll das ein Witz sein?« frage ich und schnuppere an seiner Halsgrube. Plane einen Revanche-Knutschfleck.

      »Hattest du ‘nen Russenschwanz?«

      »Wie bitte?« frage ich erstaunt und setze mich jäh im Bett auf, daß er zur Seite rollt.

      »Hattest du ‘nen Russenschwanz?« wiederholt er ruhig.

      »Das geht dich doch überhaupt nichts an!«

      »Aber ... hattest du?« beharrt er.

      »Nein!«

      »Warum nicht?«

      »Ich hatte keine Zeit. Außerdem ist die Perestroika auf dem Gebiet der Intimhygiene noch nicht eingeführt«, erkläre ich.

      »Und das bedeutet?« Paul krabbelt zu mir hoch.

      »Daß sie sich nicht waschen. Da«, sage ich und zupfe an seinem Pimmel.

      »Au!« ruft er. Aber dann grinst er ein breites Jungsgrinsen. »Heißt das, daß es außer mir keinen anderen gab, seit letztem Mal?«

      »Ja! Und ich wünschte, ich könnte das gleiche sagen!« erwidere ich und zupfe noch einmal. Strafend.

      Er umschließt meine Hand mit seinen Händen.

      »Tes, in meinem Leben hat nie eine andere Frau existiert. Du bist die erste. Und die letzte.«

      »Ha!« fauche ich und will mich freimachen. Aber Paul hält mich fest.

      »Glaube mir lieber.« Paul schlägt einen Flickflack mit den Augen. »Vielleicht ist das ja eine Drohung!«

      Paul hatte vollkommen recht. Noch bevor wir – jeder für sich – am Montag morgen die Glastür durchschritten haben, sind wir bekannt als das neue Paar. Und obwohl wir uns darin einig sind, uns zurückzuhalten und das gemeine Volk nicht unsere zerbrechliche Romanze besudeln zu lassen, ist nichts zu machen. Wir sind hot news.

      Lea lächelt warm und gratuliert mir. Kirsten schnalzt mit der Zunge, und Ras nennt mich eine »Renegatin«, weil ich mich mit einem vom Inland eingelassen habe. »Hättest du nicht einen aus unseren eigenen Reihen nehmen können?«

      Ich bin überrumpelt von dem enormen Interesse an meinem Privatleben, und bevor ich das Visier herunterlassen kann und die Standardantwort »no comments« herleiere, ist es zu spät. Da das Dementi nicht umgehend erfolgt, weiß jeder im Laufe weniger Tage, daß die Geschichte stimmt: Die Hochzeitsglocken beginnen bereits zu läuten ... Ich hasse Journalisten!

      Ich gebe mir große Mühe, mich wie immer zu verhalten, das heißt beschäftigt und professionell, während Paul immer wieder unsere Abmachung über Diskretion mit gestohlenen Küssen, einem Überfall im leeren Redaktionsraum und langen, tiefen Blicken über einen vollbesetzten Kantinentisch hinweg unterminiert.

      »Ihr strahlt ja dermaßen!« ruft Lea eines Tages, als sie seinen Blicken nicht ausweichen kann, und bringt damit den ganzen Mittagstisch zum befreienden Lachen.

      »Ja, es ist wirklich nervend mit all dieser Liebe!« meckert Kofoed, der Bornholmer Stützpfeiler im Sonntagsmagazin.

      »Schade, sonst könntest du sicher was lernen!« pariert Paul, der nie aus seiner Antipathie gegenüber dem geräucherten Bornholmer Junggesellen einen Hehl gemacht hat. Kofoed hat keinen Charme und ist deshalb nach Pauls Meinung die absolute Fehlbesetzung für einen Moderator.

      Abgesehen davon verstehe ich sein Unwohlsein uns gegenüber ausgezeichnet. Ich war immer die erste, die sich über so ein Gelaber empörte, und war in dieser Beziehung nie – man braucht nur Birgitte zu fragen – besonders großzügig. Freude über das Glück anderer, wenn sie sich in lallende Stereotypen verwandelten, sobald sie meinten, den Mann/die Frau fürs Leben gefunden zu haben, war mir fremd.

      Meine Entschuldigung: Ich bin nicht mehr ich selbst. Verliebtsein ist ja im Grunde ein krankhafter Zustand, eine Krise, deren Abklingen man abwarten muß. Danach – so liest Paul aus dem Alberoni vor, den er auffallend abgegriffen in seinem Regal stehen hat – kann das Verliebtsein plötzlich von Gleichgültigkeit oder sogar Widerwillen gegenüber dem zuvor so glühend Besungenen abgelöst werden. Oder – im Idealfall – in echte Liebe transformiert werden. Ersteres ist eine banale Erfahrung in einem kritischen Single-Leben und also auch in meinem. Mit letzterem kann man genauso sicher rechnen, wie damit, eines Tages von CNN einen Job angeboten zu bekommen. Hier kann ich auch ebensogut für Paul reden, denn auch wenn er ein beziehungsloser Peter Pan ist – gewesen ist? –, so weiß ich doch, daß er gleichzeitig ein »Born-to-be-wild«-Freak ist und nie daran gezweifelt hat, eines Tages die einzige auf seine Goldwing zu schwingen und in den Sonnenuntergang hineinzufahren.

      Deshalb gibt es neben all der Freude, der Verwunderung und Glückseligkeit, die Augen morgens aufzuschlagen und seinen zu begegnen, auch stellenweise Frost in Herz und Hirn. Eine Abneigung dagegen, an den Haaren weggeschleppt zu werden, das verletzende Gefühl, gelockt und verführt zu werden, und ein grundlegendes, alles durchdringendes Mißtrauen gegenüber allzu engen Paarverhältnissen.

      Anders gesagt: Es ist bei weitem nicht so, daß ich nicht auf der Hut wäre. Und gerade deshalb ist es so bedauerlich, daß meine Versuche,