Hanne-Vibeke Holst

Nächsten Sommer


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      »Chauvi!«

      »Sie würde in Ohnmacht fallen, wenn ich damit anfinge. Ich habe es versucht und ich musste ihr versprechen, dass ich es nie mehr wieder tue. Krieg ich einen Kuss?«

      »Das weiß ich wirklich nicht«, antwortete Louise und lehnte sich nachgiebig an ihn. Erst als Anders’ Mutter mit einem Eimer voller Kartoffeln zurückkam, konnten sie sich verwirrt losreißen. Aber die Mutter ließ sich nichts anmerken und plauderte über das gute Wetter, das sie sich entgehen ließen.

      »Na, dann werd ich mal das Gut vorführen«, sagte Anders und erhob sich.

      Louise lieh sich von Anders einen alten Pullover und ein Paar Gummistiefel, damit sie mit in den Stall gehen konnte ohne sich restlos einzudecken.

      »Puha!« Louise hielt sich die Nase zu, als sie den halbdunklen Stall betraten. Sie war vor vielen Jahren zuletzt auf dem Land gewesen, sie hatte den scharfen Gestank von Kuhmist und voll gesogenem Stroh total vergessen.

      »Hast du eine feine Nase!«, lachte Anders. »Daran gewöhnt man sich. Du kannst mir glauben, es ist wunderbar, an einem eiskalten Wintermorgen hier reinzukommen. Es ist so warm und heimelig hier mit all den kauenden Viechern.«

      »Wo sind denn die ganzen Kühe?«, fragte Louise, während sie den leeren Stall durchquerten.

      »Die sind auf der Weide. Aber jetzt schau her.« Anders nahm ihre Hand und führte sie zu einer großen Box am Stallende, wo die Kuh, die am Morgen gekalbt hatte, zusammen mit dem schlafenden, frisch geborenen Kalb lag, das sich an ihren schweren, müden Körper schmiegte.

      »Nein, das ist ja vielleicht süß!« Louise beugte sich weit über die Boxenwand. Die Kuh sah sie aus zwei halb geschlossenen, feuchten braunen Augen an.

      »Das ist kein das, das ist ein kleiner Stier. Und es war gar nicht leicht, ihn rauszuziehen. Wir hätten fast den Traktor nehmen müssen.«

      »Den Traktor!«, wiederholte Louise entsetzt, sie hatte sich immer eingebildet, dass bei Tieren Geburten leicht und unkompliziert verliefen.

      »Geburten sind etwas Gewaltiges. Es geht so oft schief. Du solltest bloß wissen, wie viele hellrote Ferkelchen ich gegen den Zementboden gehauen habe, weil sie zu schwach zum Überleben waren.«

      »Aber Anders!«, protestierte Louise.

      »Entschuldigung, aber so ist das! Man gewöhnt sich an alles, auch daran, Tiere zum Schlachthof zu schicken, denen man selber die Flasche gegeben oder die man zwischen den Hörnern gekrault hat.«

      »Es ist so ein entsetzlicher Gedanke, dass so ein kleines, weiches Kalb mit langen Augenwimpern geschlachtet werden soll«, meinte Louise und fand diesen Gedanken wirklich unerträglich.

      »Red keinen Quatsch, du kleine Heuchlerin! Dein Schnitzel willst du doch trotzdem haben, was? Stadtleute sind ja so romantisch und mitfühlend, sie haben bloß so schrecklich wenig Grund dazu«, sagte Anders und trat ein paar Schritte von der Box zurück.

      »Von jetzt an bin ich Vegetarierin«, sagte Louise und zupfte ihn am Hemd, um ihn zum Umdrehen zu bewegen. Er wirkte ein bisschen genervt. Louise hatte Angst, er wäre böse auf sie, aber er lächelte entgegenkommend und legte den Arm um sie.

      Rasch gingen sie durch den Schweinestall, wo der Geruch noch schärfer war als im Kuhstall. Louise fand die quiekenden, schmatzenden, grunzenden, hellroten, trägen Schweine unerträglich, die sich in ihrem Dreck wälzten, während gierige Ferkel überall herumkrabbelten. Und überall mästeten sich fette Fliegen. »Aber jetzt zeig ich dir etwas ganz Niedliches«, sagte Anders und kletterte eine schmale Hühnerleiter in der Scheune hoch.

      »Du willst mich doch bloß ins Heu locken«, sagte Louise.

      »Das könnte dir so passen«, sagte er über seine Schulter und Louise kniff ihn in den Knöchel, ehe er den Fuß wegziehen konnte. Aber hinter einem Sparren auf dem halbdunklen Heuboden, wo es süß nach Sommer roch, zeigte Anders ihr vier winzig kleine Katzenkinder, die sich in einer Vertiefung im Heu aneinander schmiegten.

      »Ach«, seufzte Louise und hob eins davon hoch. »Die haben die Augen ja noch gar nicht auf.«

      Das Kätzchen piepste hysterisch, beruhigte sich aber, als Louise ihm den Rücken streichelte und es an ihrem Pullover nuckeln ließ, den das Kleine für die Brust seiner Mutter hielt.

      »Möchtest du es haben?«, fragte Anders, der neben ihr hockte und sie ansah.

      »Ja! Ich hab mir immer schon eine Katze gewünscht. Aber wo soll ich sie lassen? Mein Vater will keine Tiere im Haus haben und ich weiß ja auch nicht, wo ich nach dem Abi wohnen werde.«

      »Du kannst es ja erst mal hier draußen in Pension lassen. Die dürfen ihrer Mutter doch erst in einigen Wochen weggenommen werden.«

      Die Katzenmutter kam durch das Heu angewandert und leckte ihre fiependen Kätzchen ab, die sofort nach ihren Zitzen suchten. Louise legte das kleine schwarzweiß gefleckte Kätzchen neben sie und streichelte noch einmal sanft das weiche Fell.

      »Mich auch«, flüsterte Anders lockend in ihr Ohr und rollte sich durchs Heu von den Katzen weg.

      Seit dem Fest waren sie sich körperlich nicht so nah gewesen. Bei ihr zu Hause waren sie nicht allein im Haus gewesen und in der Nacht auf seinem Zimmer waren sie zu müde. Eigentlich hatte sie auch nicht so sehr daran gedacht, sondern an ihn. Aber dass seine Finger ihren Hals streiften, reichte aus, um zwischen ihnen den Funken springen zu lassen und hier war es ruhig und dunkel. Hier konnten sie ihre Körper einander begegnen lassen.

      Sie erkannte den reinen Duft seiner Haut wieder. Wasser und Seife und im Wind getrocknete Wäsche. Sie erkannte auch seine Silhouette, die Linien von Schultern, Rücken und Hüften wieder. Es war so schön, ihn zu berühren, dass sie einen winzig kleinen Freudenbiss in seine Schulter setzen musste.

      Alle hielten sie für sehr erfahren. Aber abgesehen von den beiden Jungen, mit denen sie fest zusammen gewesen war, hatte es in Wirklichkeit nicht mehr als ein oder zwei Erlebnisse von der Art gegeben, die Stine »One-Night-Shots« nannte. Solche Typen, die sie im Café oder nachts um drei in der Disko aufgelesen hatte und mit denen sie im Suff oder vor Langeweile nach Hause gegangen war. Wenn sie dann erst im Bett lagen, fand sie es peinlich, es nicht zu tun, und deshalb hatte sie die Zähne zusammengebissen und versucht die Sache möglichst schnell hinter sich zu bringen.

      Mit Anders war es überhaupt nicht so. Schon beim ersten Mal hatte er sie dazu gebracht, sich zu entspannen, sicher, weil er selber entspannt war und es absolut nicht eilig hatte. Er liebte sie so natürlich, dass ihre Nacktheit ihr nicht peinlich war und dass sie sich ihrer Lust nicht schämte.

      »Hast du das schon mal gemacht?«, fragte sie, als er danach mit geschlossenen Augen neben ihr lag.

      »Lieben? Ja . . .«, murmelte er.

      »Nein! Das merk ich doch, dass du das schon gemacht hast. Auch hier

      »Im Heu? Ja, natürlich«, antwortete er. Louise spürte, dass er an ihrer Schulter lächelte.

      »Mit wem?«

      »Ach, das fällt mir gerade nicht ein. Mit zwei verschiedenen. Die sind jetzt wohl verheiratet. Die eine hat sogar zwei Kinder, sie arbeitet oben im Supermarkt.«

      »Hast du viele Frauen gehabt?«, fragte Louise und sie versuchte nüchtern zu klingen, während die Eifersucht in ihr brannte.

      »Na, vielleicht sechs oder sieben.« Er küsste ihr Ohrläppchen.

      »So viele! Und wir haben dich für so ehrbar gehalten. Warum hast du es nie bei einer von uns versucht?«

      »Hab ich doch. Letztes Jahr beim Frühlingsfest hab ich mir alle Mühe mit dir gegeben, aber du wolltest absolut nichts mit mir zu tun haben.« Anders ließ sich neben sie ins Heu gleiten und Louise machte es sich in seinem Arm gemütlich.

      Beim Frühlingsfest! Louise erinnerte sich noch gut, dass sie mit Anders getanzt hatte. Ziemlich eng sogar. Aber sie und Stine waren auf die Musiker scharf gewesen, mit denen sie in der Pause Bier