Hanne-Vibeke Holst

Die Kronprinzessin


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anwenden konnte.

      Wo es jetzt noch knirschte, war bei ihnen selbst. Oder genauer gesagt, bei Elizabeth Meyer, der jetzigen Gesundheitsministerin. Zurzeit in Genf, hatte sie am Handy die Idee, sie zur neuen Außenministerin zu machen, vorläufig akzeptiert. Wenn auch widerstrebend. So widerstrebend, dass ihm vor den Bedingungen graute. Denn Bedingungen stellte sie immer, Frau Meyer, und zu seiner seit Jahren anhaltenden Verärgerung und Irritation glückte es ihr im Großen und Ganzen immer, sie erfüllt zu bekommen. Denn genauso wie Gert Jacobsen, der Finanzminister, besaß er trotz seiner Erfahrung und unbestreitbaren strategischen Fähigkeiten, schon einige Züge weiter zu denken, nicht dasselbe Talent wie sie, in der Politik um Ecken sehen zu können. Darüber hinaus stand sie auf einem unverrückbaren Fundament solider Unterstützung aus der Bevölkerung – nicht zuletzt bei den weiblichen Wählern war sie seit Jahren eine zuverlässige Stimmenfängerin gewesen –, und mit dem Alter hatte sie eine Würde und mütterliche Fülle bekommen, die an die frühere norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland erinnerte. Einst in ihrer frisch gewählten roten Jugend hatten sie beide, er und Elizabeth Meyer, um den Thronfolgerposten gebuhlt. Aber damals, zu Beginn der Siebziger, war die Zeit noch nicht reif gewesen für eine mächtige Frau wie sie an der Spitze, und seither hatte sie nach mehreren spektakulären »Sachen«, die zu Eigentoren gerieten, von sich aus verzichtet. Aber man konnte nie wissen. Vielleicht tauchte sie ganz unvermittelt als hoch gefährlicher Joker auf. Darum waren er und Gert Jacobsen sich auch unausgesprochen einig darüber, dass Meyer um fast jeden Preis zufrieden und damit zugleich ruhig gestellt werden musste.

      So hatte sie auch keinen Anspruch darauf, in seine Gedanken zur Rochade eingeweiht zu werden. Infolge guter alter dänischer Regierungs-Sitte war es Pflicht und Privileg des Staatsministers, sein Kabinett höchst eigenhändig zusammenzustellen. Aber es war ihm völlig klar, dass er in Teufels Küche kommen würde, wenn sie außen vor bliebe. Die Ministerliste musste schlicht und einfach zuerst mit ihr abgeglichen werden. Und die Pläne, die er am Telefon kurz für sie gelüftet hatte, schienen nicht unmittelbar auf große Begeisterung zu stoßen. Spät am Abend, nach dem Treffen bei Karen Hermansen, der Vorsitzenden der Radikalen und gegenwärtigen Wirtschaftsministerin, waren sie am Telefon übereingekommen, sich von Angesicht zu Angesicht in seinem Büro zu treffen, sowie sie nachmittags aus Genf angekommen sei. Ohne Gert, stillschweigend vorausgesetzt.

      Was sie selbst sich vorstellte, hatte sie nicht viel mehr als vage angedeutet. Das war ihre Strategie. Ein plötzlicher, unerwarteter Angriff. Dass es Charlotte Damgaards Name war, den sie im Ärmel hatte, ahnte Per Vittrup darum nicht mal ansatzweise, als er morgenfrisch und laut Jinglebells singend gegen halb acht im Büro eintraf. Zuvor hatte er mit seinem persönlichen Trainer, dessen Aufgabe es war, den Staatsminister in physische Topform zu bringen, die übliche Stunde im Fitnesscenter geschwitzt. Vorläufig hatte er elf Kilo abgenommen, eine der wenigen Leistungen, mit denen er in dieser sonst wenig aufmunternden Zeit prahlen konnte. Was er denn auch tat. Seine Sekretärin Tove Munch verfolgte Kilo für Kilo mit Anfeuerungen und war schon mehrfach mit seinen Hosen beim Schneider gewesen, um sie enger machen zu lassen. Sie gönnte ihm die kindliche Freude über den Gewichtsverlust, hatte lange Mitleid mit ihm gehabt und ihm mit der üblichen Geduld seine Stimmungsschwankungen nachgesehen, die nicht zuletzt auch über sie hinwegfegten. An diesem Morgen freute sie sich also aufrichtig darüber, dass das Barometer offensichtlich gestiegen war – ein sicheres Zeichen dafür, dass etwas im Gange war. Etwas, worauf sie sich freute. Mit anderen Worten: die Rochade.

      Und als sie ihm dann den Kaffee einschenkte und er – nachdem er in seinem besonders vertraulichen Ton ihr Parfum bewundert hatte – sie darauf vorbereitete, dass sie ihren Buchclubabend wohl würde absagen müssen, nickte sie nur wissend mit dem Kopf. Keine Schlüsselperson aus dem Staatsministerium würde heute diesseits der Deadline in den Zeitungsredaktionen nach Hause kommen. Aber das würden sie erst irgendwann heute Nachmittag erfahren. Auf diese Weise hielt man das Risiko einer undichten Stelle klein.

      Was gleichbedeutend damit war, dass längst alle politischen Tiere der »Burg«, von der Hyäne bis zur kleinen Maus, die Fährte aufgenommen hatten. Nach und nach, so, wie der Morgen in den Vormittag überging, waren es immer mehr geworden, die ihr Vorzimmer umkreisten, von wo aus sie die geschlossene Doppeltür ihres Chefs bewachte wie ein Drachen. Journalisten ließen ihr Telefon heiß laufen, und sogar ihre Kollegen aus den anderen Ministerien, in denen der amtierende Minister besonders nervös auf seinem Posten saß, fanden Ausreden, um sie auszuhorchen. Aber Tove Munch hielt stand. Auch gegenüber dem Pressechef, der so frustriert darüber war, außen vor gelassen zu werden, dass er demonstrativ seinen Platz verließ, um »in die Stadt essen zu gehen«. Als er nach einem regulären Arbeitsgespräch bei einer großen Zeitung ein paar Stunden später zurückkam, war es fast zwei Uhr, und Elizabeth Meyer war soeben an Tove Munchs Schreibtisch vorbeigerauscht, direkt in Per Vittrups Büro. Sie hörte gerade noch sein etwas zu joviales »Schön, dich zu sehen, Beth!« Dann wurde die Tür geschlossen. Aber als hellhörige Sekretärin erfasste Tove Munch schnell, dass das arbeitsame und zielgerichtete vormittägliche Idyll, nur unterbrochen von einigen Telefonaten mit Gitte Baek, z. Zt. Kosovo, mit der Ankunft von Elizabeth Meyer torpediert wurde. Der Lärmpegel stieg ganz einfach so merklich, dass man hätte taub sein müssen, um nicht zu begreifen, dass die beiden gewaltig uneins waren.

      Auch weit weniger einig, als der Staatsminister vorhergesehen hatte. Er war zwar darauf eingestellt, dass verhandelt werden musste. Dass das Gleichgewicht zwischen den beiden Hauptflügeln der Partei, seinem und Gerts, möglicherweise noch justiert werden müsste und dass Elizabeth als die rechtmäßige große Schwester darauf bestehen würde, dass keiner übervorteilt werden darf. Aber dass sie im Großen und Ganzen beabsichtigte, die gesamte Liste zu kassieren, es sei denn, sie bekäme ihre Hauptforderung erfüllt – das hatte er nicht erwartet. Primär fand sie die Liste zu vorsichtig, zu vorhersehbar und zu fantasielos – es fehlte beides: junge Kandidaten und Frauen, und besonders junge Frauen. Was der Staatsminister bedauerlicherweise einräumen musste, aber er war ganz einfach in Kandidatennot. Sie beide, er und Gert, hatten ihre Netze ausgeworfen, um die jungen Talente in der Partei zu finden, aber die Wahrheit war, dass die Ausbeute deprimierend mager war. Besonders was die jungen weiblichen Talente betraf, die Zielstrebigkeit und Stärke gezeigt hatten. Zwar kamen sie enthusiastisch in die Fraktion, aber die meisten verloren schnell an Flughöhe und schafften es nur ein oder zwei Legislaturperioden lang, dabeizubleiben. Bevor sie Kinder bekamen. So war es, ob es einem nun passte oder nicht. Die jungen Männer waren stabiler, vielleicht auch primitiver in ihrem Machtstreben. Aber während viele der Mädchen mit der Zeit verschwanden, war es, als ob die Jungs buchstäblich mit ihrer Aufgabe wuchsen, sodass sie sehr bald in der Lage waren, einen Anzug auszufüllen und mit Nachdruck und Autorität zu sprechen. Es war schon möglich, dass er deshalb einige der jungen Männer auf Kosten der Damen favorisiert hatte, die, was man gerechterweise auch sagen musste, Taktgefühl bewiesen hatten. Also, darüber konnte man »mit sich reden lassen«.

      Mit einem derartig vagen Versprechen konnte Meyer allerdings überhaupt nichts anfangen, was sie auch unmissverständlich zu verstehen gab. Tatsächlich hatte Per Vittrups altväterlicher Tonfall ihren alten Unwillen provoziert: darüber, wie nicht nur sie selbst, sondern auch die anderen Frauen ihrer Generation, ihrer Zeit und überhaupt, von alten Pavianen und jungen Löwen heruntergemacht worden waren, die die hinterhältigsten Tricks und schäbigsten Fouls einsetzten, um ihr Revier zu sichern und die Frauen rauszuhalten. Per Vittrup liebte es eigentlich, sich selbst als Fürsprecher der Frauen zu sehen. Unter anderem brüstete er sich damit, für das Lohngleichstellungsgesetz gekämpft zu haben, das in den Siebzigern eingeführt worden war, und er hatte ganz offiziell Frauengruppen, das Frauenjahr und Frauenkonferenzen unterstützt. Er kannte Meyers Temperament, wenn sie erst in Fahrt gekommen war, darum versuchte er es mit Abrüstung, anstatt zu protestieren: »Es gibt doch keinen, der dich runtergemacht hat!«

      In diesem Augenblick veränderte sie ihre Farbe wie ein Chamäleon von einem hitzigen Rot zu einer marmorierten Blässe, die ihre Sommersprossen hervortreten ließ. Selbst ihre so charakteristischen blaugrünen Augen wurden fast farblos, als sie ihn lange genug unbewegt anstarrte, um ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken zu jagen, bevor sie zischte: »Was glaubst du eigentlich, warum du auf diesem Stuhl sitzt und nicht ich?«

      Hinterher musste er einräumen, dass er sich gewunden hatte wie ein Schuljunge,