Die Presse hat es auf ihn abgesehen. Und dann wäre da auch noch sein Alkoholkonsum, der außer Kontrolle geraten ist ...«
Der Staatsminister verdrehte die Augen in Richtung Decke.
»Das geht nur über Gerts Leiche.«
»Sie kann alles verkaufen. Und das ist es doch, was wir brauchen?!«
»Der große Flügelkrieg bricht wieder aus!«
»Ich werde schon vermitteln.«
»Ha!« Dem Staatsminister entfuhr ein hysterisches Schnauben. Er wusste es schon, hatte es im Gefühl. Das hier war ein fait accompli. Eines, das nicht nur er, sondern auch Gert würde schlucken müssen. Aus Gründen, die sich nicht so ohne weiteres erklären ließen. Was noch ein Beweis dafür war, dass Politik, entgegen der vorherrschenden Meinung, keineswegs rational war. Elizabeth Meyer wusste das, und deshalb bekam sie mehr als nur ihren Willen. Noch ehe der Nachmittag vorbei war und sie Tove Munch mit einem kurzen Nicken passierte (mit einem Gesichtsausdruck vergleichbar einer blanken japanischen No-Maske), hatte sie darüber hinaus das Kunststück vollbracht, Per Vittrup davon zu überzeugen, dass Charlotte Damgaard seine eigene Idee war.
So einleuchtend kam es ihm vor, dass er sich die Hände rieb, als Tove Munch hereinkam, um den Tisch für Rotwein und italienische Sandwiches zu decken, während sie auf den hinzugerufenen Finanzminister warteten.
»Du kannst schon mal die Truppen sammeln und sie darauf vorbereiten, dass es spät wird«, sagte er, glänzender Laune wie ein siegessicherer General vor dem entscheidenden Schlag. Dann tat er das, was Tove Munch am meisten hasste, auch wenn es ein Zeichen außergewöhnlich guter Stimmung war. Er fragte sie ohne Vorwarnung nach ihrer Meinung.
»Tove, was sagt dir der Name Charlotte Damgaard?«
Sie hatte keine Ahnung, warum sie antwortete, wie sie antwortete. Es überrumpelte sie ganz einfach genauso wie die Frage. Aber ohne nähere Überlegung kam es fest und ohne Zögern:
»Ärger.«
*
»Sag mir einen wahren Satz!«
»Worüber?«
»Über dich!«
»Ich lüge nicht.«
Es war ihr erster Sommer. Der Sommer, in dem sie sich trafen. In einer Kneipe in Løkken. Sie standen sieben Wochen am Stück hinter derselben schiffsförmigen Bar. Sie waren ein Spitzenteam. Sie hatte den Überblick, und er konnte sowohl mit den Bierfässern als auch mit den örtlichen Schnapsnasen souverän umgehen, die ziemlich zudringlich werden konnten, wenn sie deren Annäherungsversuche ignorierte und sich weigerte zu lächeln. Sie hatte kleine, kurze Zöpfe und starke, braune Arme. Sein Haar war lockig und von der Sonne ausgebleicht, und er war so groß, dass er sich bücken musste, um mit den Gästen auf Augenhöhe zu kommen. Sie hatten beide rote Matrosenhemden mit blauen Schleifen an. Sie verliebten sich sofort ineinander. Aber gleichzeitig waren sie so überwältigt, dass es trotz der Witzeleien der Kollegen drei Wochen brauchte, bis sie sich in einer hellen und beinahe windstillen Nacht endlich einen Ruck gaben und nach der Schicht nackt baden gingen. Sie stritten immer noch darüber, wer wen erobert hatte und ob es wirklich Meeresleuchten gegeben hatte. Fest stand nur, dass es Thomas war, der sie zuerst geküsst hatte. Nachdem sie einen wahren Satz gesagt hatte. Seit damals war es ein Spiel zwischen ihnen. Es war immer er, der fragte. Und es stimmte. Sie log nicht.
*
Charlotte Damgaard log nicht. Und deshalb war es die Wahrheit, wenn sie beteuerte, dass sie an diesem dämmrigen Nachmittag, da die Weihnachtspanik innerhalb der Familie auszubrechen drohte, mehr damit beschäftigt war, mit den Kindern Pfeffernüsse zu backen, als damit, ihre Antrittsrede vorzubereiten. Selbstverständlich wusste sie, dass eine Regierungsrochade bevorstand. Und es wäre eine Lüge gewesen zu behaupten, dass es sie nicht interessiert hätte. Im Büro war es das heißeste Thema des Tages gewesen, und sie hatte den ganzen Tag stündlich Nachrichten gehört, häufig Videotext eingeschaltet und auch im Internet nachgesehen. Als ehemalige studentische Hilfskraft im wirtschaftspolitischen Ministerbüro der Sozialdemokraten, dem PØ, und durch die dadurch bedingten regelmäßigen Besuche in Christiansborg war es unmöglich, die Erregung nicht zu spüren, selbst Jahre später. Und als scheidende Vorsitzende der Naturfreunde war es wohl nur angemessen, dass sie sich besonders dafür interessierte, ob der Staatsminister sich jetzt endlich zusammennahm und den allmählich peinlichen und immer öfter alkoholisierten Søren Schouw feuerte, dem es so offenkundig an Antriebskraft fehlte und der nicht im Geringsten der Umweltminister gewesen war, den sie alle sich erhofft hatten. Sie spekulierte auch schon heftig über eventuelle Nachfolger und hatte verschiedene Namen bereits mit ihrem alten Schulfreund Andreas Kjølbye diskutiert, der für die Fernsehnachrichten arbeitete und angerufen hatte, um zu hören, ob sie schon etwas wusste. Das tat sie nicht. Und wenn sie ehrlich sein sollte, dann ging sie eigentlich davon aus, dass Søren Schouw als einer der »Drei Musketiere« in dieser Regierung auf Lebenszeit unter Naturschutz stand. Außer sie kämen vielleicht auf die Idee, ihn zum Verkehrsminister zu machen. Was trotz allem auch schon ein Fortschritt wäre im Hinblick auf den jetzigen, den die herrschende Verkehrs-Junta fest in der Hand hatte.
Aber es war keine Koketterie, wenn sie später festhielt, dass sie keine Ahnung davon gehabt hatte, selbst Teil der Rochade zu sein. Ganz zu schweigen davon, dass die hochrangigsten Minister der Regierung ausgerechnet um ihre Person am heftigsten stritten. Bis der Staatsminister kurz nach acht Uhr abends, ungefähr um die Zeit, als die Pfeffernüsse fertig gebacken, abgekühlt und in Dosen gefüllt waren, eine Entscheidung fällte. Pro. Dem fauchenden Protest des Finanzministers zum Trotz: »So behandelt man keinen Mann, der über Jahre hinweg eine loyale Stütze war! Das wäre sehr, sehr unklug!«
Rückblickend musste sie jedoch einräumen, dass Elizabeth Meyer sie einen Tag vorher aus Genf angerufen hatte – was an und für sich aber nicht weiter ungewöhnlich war. Sie machte das ab und zu, wenn sie das Bedürfnis hatte, das Ohr an der Basis zu haben, und ein politisches Problem oder eine »Tendenz« mit jemandem vom Netzwerk besprechen wollte, dem sie vertraute. Dass Charlotte dieses Vertrauen in hohem Maße genoss, wussten nur wenige, denn eine der Qualitäten, die Elizabeth Meyer in dieser begabten, hellhörigen und kompetenten jungen Frau sah, war eben ihre Diskretion. Charlotte Damgaard hatte sehr wohl Respekt vor Meyer. Aber sie war nicht untertänig, kein Snob und absolut kein Namedropper. Darüber hinaus war sie sich nicht ganz im Klaren darüber, ob sie einen Sonderstatus innehatte, obwohl ihre Bekanntschaft mit der Zeit enger geworden war und inzwischen auch ihr Privatleben einschloss. Meyer kannte Thomas, hatte sie im Krankenhaus besucht, als sie die Zwillinge bekommen hatte, und nahm an ihrem Familienleben insgesamt verblüffend Anteil. Allerdings war ihr Verhältnis in dieser Hinsicht einseitig – es kam nur äußerst selten vor, dass Meyer ihre eigene Intimsphäre ansprach. Charlotte wusste nicht viel mehr über diesen Teil von Meyers Leben als alle anderen, obwohl sie ein- oder zweimal auch ihrem Wochenend-Mann begegnet war, einem heiteren norwegischen Reeder aus Bergen. Ein ungleiches, aber anscheinend glückliches Paar.
Das Gespräch aus Genf hatte sich allerdings dadurch von den meisten anderen unterschieden, dass es ausschließlich um Charlotte selbst ging. Anders als der Rest der Welt konnte Meyer sich nicht damit abfinden, dass Charlotte beschlossen hatte, ihren Job zu quittieren, um für zwei Jahre als »begleitende Hausfrau« mit Thomas nach Afrika zu gehen. Jetzt war er dran. So lautete ihre Absprache, die nicht nur fair, sondern auch unantastbar war.
»Charlotte«, hatte Meyer in ihrem Überredungston gesagt, den sie einsetzte, wenn sie immer noch glaubte, ihren Willen bekommen zu können. »Glaub mir, dieses Leben ist nichts für dich! Egal, was du dir einbildest, du wirst eingehen wie eine Primel!«
Charlotte hatte das lachend zurückgewiesen. Sie hatte weder vor, sich in Wodka zu ertränken, noch wollte sie anfangen, Bridge zu spielen. Thomas und sie waren sich einig, dass sie natürlich eine vernünftige Beschäftigung finden musste. Sie hatte Thomas schon früher zu Auslandseinsätzen begleitet. Sogar monatelang. Sie kannte das diplomatische Expat-Milieu nur zu gut, das die begleitenden Ehegatten – Frauen – auf einen hirntoten Anhang reduzierte. Sie würde zwar die Hauptverantwortung für die Kinder