zementiert. Sie ackerte wie ein Pferd, und er hielt ihr den Rücken frei.
Ihrer Meinung nach lebten sie harmonisch, ihr Dasein funktionierte, und es beschäftigte sie nur flüchtig, dass sie ganz einfach das traditionelle Rollenmuster umgekehrt hatten. Möglich, dass ihre Umgebung daran Anstoß nahm, darunter ihre Schwiegereltern. Aber was andere darüber dachten, interessierte sie nur sporadisch. Sie ging ganz automatisch davon aus, dass es Thomas auch nicht aufregte, und es war ganz sicher ein Fehler gewesen, so einfach als gegeben hinzunehmen, dass er ihre Berufstätigkeit billigte, wie sie es getan hatte. Jedenfalls war es für sie völlig überraschend gekommen, als er vor einem halben Jahr plötzlich seiner enormen Frustration Ausdruck verliehen hatte, von deren Existenz sie noch nicht einmal etwas geahnt hatte.
»Wann bin ich dran?«, hatte er lakonisch gefragt. Eines Morgens, aus heiterem Himmel, als sie auf dem Weg nach Brüssel war. Er war dabei, die Kinder anzuziehen, während sie sich darauf konzentrierte, ihre Papiere zusammenzusuchen und ihren Flieger noch zu erreichen.
»Wie meinst du das?«, hatte sie geantwortet, völlig unvorbereitet.
»Du weißt nicht, wovon ich rede, oder?«
Sie musste zugeben, dass sie wirklich keine Ahnung hatte. Und so grübelte sie die zwei Tage in Brüssel darüber nach, wenn sie nicht gerade in Lobbyisten-Treffen saß und sich Strategien ausdachte, wie die Automobilindustrie dazu zu bewegen war, den CO2 -Ausstoß zu senken, oder wenn sie zum Briefing beim dänischen Umweltkommissar war. Sie liebte Thomas, wirklich, sie hatte nie einen anderen geliebt und fühlte sich normalerweise in völligem Einklang mit ihm. Sie respektierte ihn, schätzte ihn höher als irgendeinen anderen Menschen, den sie je getroffen hatte. Und deshalb schockierte es sie auch so, dass sie derartig blind gewesen war. Sie verspürte nicht im Geringsten den Wunsch, ihn zu übergehen, dachte nicht im Traum daran, sich auf seine Kosten zu profilieren, ganz zu schweigen davon, ihre Partnerschaft aufs Spiel zu setzen. Also kam sie mit einer Flasche Jahrgangswein, einer vakuumverpackten Käseauswahl und einer Schachtel belgischer Pralinen aus dem Flughafenshop nach Hause. Zunächst wurde er stinksauer, weil er fand, dass sie es sich zu leicht machte. Aber als sie den Wein aufmachte und ihm Käse und Pralinen im Kerzenschein servierte, wurde er doch gelöster. Nach dem ersten Glas Wein stürzte es regelrecht aus ihm hervor, wie Erde und Matsch bei einem Bergrutsch. Er fühlte sich übersehen, zurückgesetzt, was auch immer. Sie saß da und starrte ihn nur an, sprachlos vor Erstaunen.
»Ja, aber, ich dachte ...«, setzte sie an, wurde aber sofort wieder aus der Bahn gefegt, während er Wein nachschenkte.
»Ja, was dachtest du eigentlich? Dass ich Hausfrau und Mutter mit Rüschenschürze sein würde, forever? Den Kindern liebende Mutter und Vater in ein und derselben Person sein? Der neue Mann? Ganz ehrlich, Lotte, bist du scharf auf ihn?«
»Ich bin scharf auf dich! Und du hast verdammt noch mal einen Spitzenjob, wovon redest du hier? Bist du in der Ich-bin-dreißig-Krise, oder was?«
»Ich bin 33!«
»Ach so, ja, du warst schon immer ein bisschen langsam!«
»Und du warst schon immer so verflucht schnell! Frau Direktorin! Was kommt als Nächstes? Staatsministerin? Du bist verdammt noch mal so scheißambitioniert!«
»Hör auf damit, dich so schwachsinnig aufzuführen, Thomas!«
Thomas hatte sein Glas wütend ausgetrunken.
»Schatz, du bist es doch, die wahnsinnig ist. Du kannst ja nicht mal eine Runde Badminton im Garten spielen, ohne dass du gewinnen musst! Erinnerst du dich, wie du mit verstauchtem Fuß weitergemacht hast, nur weil du mich schlagen wolltest?«
»Ich bin nur engagiert!«, hatte sie gelacht, erleichtert darüber, dass er ihre gemeinsame Geschichte überhaupt anerkannte.
»Ja, du willst die Welt retten, nicht wahr? Die Wale und die Unken und die Ozeane und unsere Nachkommen ...«
»Und du den ganzen afrikanischen Kontinent! What’s the fucking difference!«
Statt den Ball zurückzuspielen, hatte er sein Glas stumm gedreht, wieder und wieder, und war in einem Loch aus Nachdenklichkeit verschwunden, das ihr Herz hämmern ließ. Hier ging es um etwas ganz Konkretes. Jemand oder etwas war dabei, ihren Thomas von ihr wegzuziehen. War das Undenkbare passiert? Hatte er eine andere gefunden?
»Was ist los, Thomas?«, hatte sie mit trockenem Mund gefragt. Er war mit der Hand über seine kurz geschorenen Haare gefahren, auf eine Art, die sie seine Locken und die beiden, die sie damals gewesen waren, vermissen ließ.
»Ich war bei einem Planungsgespräch. Sie wollen mich als Projektleiter haben. Ich soll Lauges Genossenschaftsding in Apac ...«
»Genossenschaftsprojekt? Das in Uganda? Na dann!«, war es erleichtert aus ihr herausgeplatzt, während er düster zu ihr hingeschielt hatte.
»Ich dachte, die suchen einen Soziologen?«, hatte sie dann angemerkt.
»Sie meinen, ich wäre qualifiziert. Sie finden mich toll.«
»Okay! Glückwunsch!«
Er hatte sie angesehen, den Kopf schief gelegt mit leicht zusammengekniffenen Augen.
»Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Zwei Jahre in einem ländlichen Distrikt in Uganda!«
Ihr Herz hatte wieder angefangen zu klopfen, aber sie behielt einen neutralen Ausdruck.
»Hast du zugesagt?«
»Sehr witzig!«
»Du hast nicht nein gesagt, oder?«
»Ich habe ihnen für ihr Vertrauen gedankt und gesagt, ich müsste das mit meiner Frau besprechen. Aber nur die Ruhe: Ich habe sie auf eine Absage vorbereitet.«
»Warum?«
»Shit, Lotte! Das weißt du genau! Soll ich dich etwa für zwei Jahre nach Afrika schleppen? In den Busch?«
Hier hatte sie also den Fehler begangen, der sie einen Augenblick später dazu brachte, sich selbst zu überbieten.
»Du könntest alleine fahren.«
Mit einer hastigen Bewegung hatte er sich in voller Länge aufgerichtet, war aufgestanden und zu dem Fenster gegangen, das am weitesten weg war. Sie war ihm gefolgt. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Das war Antwort genug. Lautlos hatte sie tief eingeatmet, bevor sie tat, was nötig war. So, wie die Stimmung zwischen ihnen jetzt war, so, wie sein Gesicht sich in der letzten Stunde verändert hatte, so, wie ihr Magen sich zusammenschnürte, gab es nichts anderes.
»Entschuldigung«, hatte sie gesagt und sich hinter ihn gestellt und die Arme um seinen Bauch gelegt. »Wir fahren zusammen. Natürlich.«
»Das ist nicht dein Ernst«, hatte er gemurmelt. Ohne sie wegzuschieben. Und sie hatte bekräftigt. Hatte argumentiert, wie klar die Sache war, dass er den Job annehmen musste. So wie sie damals den ihren. Vielleicht war es auch wirklich an der Zeit, dass sie sich veränderte. Niemand würde sagen können, sie hätte sich zur Unzeit davongemacht oder ihr Ziel verfehlt. Schließlich konnte sie eine top-getrimmte Organisation übergeben, die beides bekommen hatte, Redezeit und Aufmerksamkeit. An sich war es einfach. Ihr Vertrag musste ohnehin neu verhandelt werden, und sie konnte ihn schlichtweg nicht verlängern. Keine Dramatik. Nur eine Frau, die ihrem Mann folgt, der jetzt an der Reihe ist, die Bühne zu betreten.
»Es war doch immer geplant, irgendwann noch mal zu gehen, oder? Bevor wir festwachsen.«
Da hatte er sich umgedreht und sie mit viel zu funkelnden Augen angesehen, hatte ihre Hand genommen und gefragt, ob es so simpel war, dass sie einfach mitkam.
»Warum sollte es das nicht sein? Uganda ist ein schönes Land, die Kinder sind robust genug, die E-Mail ist erfunden. Ich freue mich schon!« Heiter hatte sie ihr Glas an seines angestoßen. Und er war so froh und aufgeräumt gewesen, dass sie gezwungen war, nach bestem Können mitzuspielen.
Was unfassbar einfach gewesen war, unter anderem, weil sie auf keinerlei Widerstand traf. Enttäuschend genug reagierten alle enorm