Maj Bylock

Die Hexenprobe


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wachen, bis Vater nach Hause käme. Schläfrig starrte sie ins Feuer. Plötzlich fiel ihr die Alte mit den goldenen Augen wieder ein ... Wer war sie, und wohin war sie verschwunden?

      Anneli wachte auf, als Vater sich auf der Treppe den Schnee von den Stiefeln stampfte. Sofort lief sie ihm entgegen und berichtete voller Eifer, was geschehen war.

      Vater war sonst immer sehr streng. Aber jetzt mußte er sie doch endlich einmal loben, jetzt, wo sie so tüchtig gewesen war?

      Sie hatte kaum fertig erzählt, als er sie beiseite schob. „Ein Junge! Endlich ein Junge auf dem Hof! Ein tüchtiger Knecht!“

      Anneli kroch zu ihrer kleinen Schwester ins gemeinsame Bett.

      Ein tüchtiger Knecht, hatte der Vater gesagt. Genauso hatte er Anneli ab und zu genannt, wenn er mit ihr zufrieden gewesen war.

      Bis jetzt.

      Er lachte glücklich und hob das Kind hoch in die Luft.

      „Tapio sollst du heißen, mein Junge. Tapio, Sohn des Waldes. Tapio hieß mein Vater, und Tapio heiße ich.“

      Anneli sah den Kleinen voller Verwunderung an. Er brachte Vater zum Lachen, ohne etwas dafür tun zu müssen! Es genügte, daß es ihn gab.

      Die Tage vergingen. Der Kleine durfte jederzeit schreien, soviel er wollte. Die Mädchen dagegen mußten sofort still sein, wenn Vater ins Haus kam. Am liebsten war ihm, wenn die kleine Schwester unterm Tisch saß und friedlich mit ihrer Puppe spielte.

      Anneli spülte, trug Holz herein und wusch. Jetzt war sie eine Magd. Kein Knecht.

      2

      Die Tage vergingen. Eigentlich hätte schon längst Frühling sein müssen. Aber dieses Jahr war der Winter besonders lang und hart.

      Der Junge war immer noch nicht getauft, obwohl jeder Säugling eigentlich getauft werden mußte, bevor er eine Woche alt war. Aber es war unmöglich gewesen, zur Kirche hinunterzukommen.

      Das Feuer, das sowohl das Haus wärmen als auch die Trolle verjagen sollte, verschlang viel Holz. Der Holzvorrat, den Vater gehackt und in den Holzschuppen geschichtet hatte, ging allmählich zu Ende.

      „Am Sonntag wird der Junge getauft“, beschloß Vater. „Jetzt können wir es nicht mehr wagen, noch länger zu warten.“

      Mutter erinnerte ihn daran, wie weit der Weg zur Kirche sei. Es komme immer wieder vor, daß die Täuflinge unterwegs erfroren. Im Winter geborene Kinder seien meistens nicht besonders kräftig.

      Mutter selbst war noch zu schwach, um den weiten Weg im Schnee zurücklegen zu können.

      „Anneli kommt mit“, sagte Vater. „Sie muß hinterm Schlitten gehen und schieben.“

      Anneli wurde ganz heiß vor Glück. Sonst war sie ja immer diejenige, die zu Hause bleiben und die Tiere und die kleine Schwester hüten mußte. Jetzt konnte sie es kaum erwarten, bis es Sonntag wurde.

      Endlich!

      Mutter bettete den Kleinen in ein dickes, weiches Schafsfell. Anneli versprach, gut auf ihn achtzugeben.

      „Wenn er schreit, gibst du ihm von der Milch aus der Rindenflasche“, sagte Mutter.

      Überall lag tiefer Schnee. Aber Vater hatte lange Beine und bahnte den Weg. Über der Schulter trug er seine Flinte – man konnte ja nie wissen, wem man begegnete, wenn man im Wald unterwegs war.

      Anneli stampfte hinterher. Noch war die Rindenkiepe, die sie auf dem Rücken trug, nicht schwer. Nein, das einzige, was störte, war der Rock, der sich von Schnee durchnäßt, immer wieder um die Beine wickelte.

      Der Kleine schlief friedlich auf dem Schlitten.

      Sie kamen gut voran. Allmählich wurde der Wald lichter, und sie kamen auf einen Weg hinaus, den andere Menschen in den Schnee getrampelt hatten. Jetzt ging alles leichter.

      Der Klang der Kirchenglocken schwang durchs Tal und hallte schwer gegen die hohen Berge.

      Ding! Dong!

      Ding! Dong!

      Der Kleine wachte auf und begann, unter seinem Fell wütend zu schreien. Hungrig und naß! Anneli hatte inzwischen gelernt, seine Schreie zu deuten. Aber es war viel zu kalt, um ihn hier zu füttern.

      Vater klopfte beim ersten Haus an, an dem sie vorbeikamen. Selbstverständlich durften sie hereinkommen und den Kleinen versorgen!

      Als der Junge nicht trinken wollte, wußte die Hausfrau was zu tun war. Sie nahm einen kleinen Stoffbausch und stippte ihn in die Milch, und gleich darauf saugte der Kleine gierig alles in sich hinein.

      Bald war er eingeschlafen, um erst wieder aufzuwachen, als der Pfarrer ihm das kalte Taufwasser über den Kopf goß.

      Nach der langen Wanderung war Anneli ebenfalls müde. In der Kirchenbank kauerte sie sich eng neben Vater. Vorn auf dem Altar flatterten die Kerzenflammen im Zug hin und her. Der Gesang und die Wärme der vielen Menschen machten sie schläfrig. Sie nickte ein und lehnte den Kopf an Vaters dicke Lodenjacke. Aber in der Kirche schlafen – das ziemte sich nicht. Vater weckte sie mit einem Schubs.

      Als es an der Zeit war, sich auf den Heimweg zu machen, hätte Anneli alles darum gegeben, sich in den Schnee legen und schlafen zu dürfen.

      „Nein!“ sagte Vater. „Jetzt müssen wir uns beeilen! Die Predigt des Pfarrers war doch recht lang. Vor Einbruch der Dunkelheit müssen wir zu Hause sein.“

      Obwohl der Weg jetzt bergauf führte, ging Vater sehr schnell. Einer von Annelis Rindenschuhen hatte ihren Strumpf durchgescheuert und schnitt ihr in die Ferse. Aber ohne Schuh konnte sie nicht durch den Schnee gehen. Also hinkte sie hinterher, so gut es ging. Der Schmerz in der Ferse hielt sie wach.

      Sie erreichten den Wald, wo niemand außer ihnen einen Weg gebahnt hatte. Hoch oben sang der Wind sein Sonntagslied in den Kieferkronen. Mächtig und stark ...

      Mächtig und stark ...

      Das schwere Brausen wuchs zu einem Dröhnen. Bald darauf blies der Sturm seinen eisigen Atem über die Erde und preßte den Schnee zu Schneewehen zusammen. Bleigraue Wolken jagten über den Himmel, immer dunkler werdende Wolken, hinter denen die Sonne verschwand. Die Dunkelheit und der Schnee verwandelten Bäume und Felsen. Vater blieb stehen. Obwohl er diesen Weg schon so oft gegangen war, zögerte er jetzt. Vielleicht sollten sie doch lieber kehrtmachen und ins Dorf zurückkehren?

      Nein, inzwischen hatten sie schon über den halben Weg hinter sich gebracht. Wenn sie erst etwas weiter oben auf der Höhe wären, würde er sich wieder auskennen. Sicherheitshalber setzte er seine Mütze verkehrt herum auf. Das war ein zuverlässiges Mittel, wenn man sich verirrt hatte.

      Er packte den Schlitten und begann wieder zu ziehen.

      Da ertönte ein Krachen. Eine Kiefer, die bisher vielen Winterstürmen getrotzt hatte, verlor ihren Halt und begann zu fallen. Vater warf sich hastig nach hinten und zerrte den Schlitten zur Seite. Der Baum erreichte den Boden nicht, sondern blieb schwer in den Zweigen der anderen Bäume hängen.

      Die Wurzeln ragten wie schwarze Trollgestalten aus dem Schnee. Bald wurden sie von Eiskristallen überzogen.

      Vater war inzwischen auch ganz weiß im Gesicht. Da entdeckte er zwei Felsblöcke am Berghang. Der eine streckte sich schräg gegen den anderen und bildete ein Dach. Vielleicht könnten sie dort Schutz suchen?

      Er wendete den Schlitten und zog ihn zu den Felsen hinüber. Und plötzlich glitten die Kufen ganz leicht über den Schnee. Die Felsen öffneten sich freundlich wie zu einer Umarmung. Der Boden war hier von weichem, grünem Moos bedeckt.

      „Oh!“

      Erschöpft sank Anneli zusammen. Das Moos bildete ein wundervolles Bett. Nicht einmal Vater konnte sie am Einschlafen hindern. Sie merkte nicht, daß er am Schlitten zerrte – daß er hier wegwollte.

      Er hatte nämlich entdeckt, wo sie Schutz gesucht hatten! Weit hinten zwischen den Felsen lag der Eingang zu den