Rauch ...
Funken, die durch den Rauchabzug im Hausdach flogen. Feuerflocken, die wie wilde Vögel in den Himmel schwebten.
Das ganze Haus brannte!
Das Holz, das Anneli ins Feuer geworfen hatte, als sie Grütze kochen wollte, war trocken gewesen. Vielleicht waren ein paar Funken auf die Wolle übergesprungen, die Mutter rausgelegt hatte, um sie später mit der Karde zu behandeln?
Anneli war starr vor Entsetzen. Sie hatte Vater versprochen, den Kleinen zu hüten! Und jetzt das!
Dann konnte sie plötzlich rennen.
Aber ihre Füße trugen sie nicht zum Haus hinauf. Nein, Anneli lief davon, hinein in den tiefen, stillen Wald.
Tanzende Sonnenflecken auf dem Waldboden wurden zu Flammen. Der Schimmer auf den Wellen des Flusses wurde zu Feuer.
Und über allen Bäumen – Vaters Gesicht.
Sie hatte versprochen, daß dem Jungen nichts zustoßen würde!
Anneli rannte.
Rannte.
Rannte.
Tausend Dornenranken rissen ihr Arme und Beine blutig. Die Füße schnitt sie an scharfen Steinen auf.
Schließlich stolperte sie und fiel ins Vergessen.
Als die Nacht hereinbrach, wachte Anneli auf. Wachte auf und erinnerte sich. Sie stand auf und ging zurück.
Weit war es nicht. Sie hatte in die Tiefe des Waldes fliehen wollen, war aber nur im Kreis gelaufen, war fast schon zu Hause angelangt. Bald stand sie unter der höchsten Birke an der Stelle, wo die wilden Erdbeeren wuchsen.
Das Haus oben auf dem Hügel war verschwunden. Als einziges war noch ein Haufen schwarzer Balken übrig. Der Nachtwind trug den Rauchgeruch mit sich.
Alles war still. Dort oben war niemand mehr, der auf sie wartete.
Diese Nacht war es der Mond, der sich in der Bodenlosen Lache spiegelte. Anneli kauerte lange am Ufer und sah seinen Schimmer an. Das stille Wasser lockte mit seinem Frieden.
Aber es war kalt.
Das Wasser war kalt, aber nicht dunkel. Der Mondschein verwandelte sich in Sonnenstrahlen über grünen Wiesen. Die schweren Erinnerungen verblaßten und glitten davon.
Ach, wie gerne würde Anneli hier bleiben!
Wie gerne würde sie hier im Gras ruhen und spüren, wie die Sonnenwärme ihren Körper durchströmte. Da hörte sie jemanden flüstern:
„Nein, noch nicht, Anneli. Du wirst noch von vielen Menschen gebraucht werden. Hier auf Erden mußt du leben. Sonst nirgends!“
Die Sonne und der Mond wanderten gemeinsam über den Himmel. Näherten sich einander. Verwandelten sich und wurden zu zwei feuerflammenden Augen, zwei gütigen Augen, die sie zu sich lockten.
Anneli schwebte wieder nach oben.
Der Himmel wurde dunkelblau, und aus der Wiese wurde ein tiefgrüner Wald. Der Mond leuchtete wie vorhin silberglänzend auf die Erde herab.
Aber die Augen ... diese gütigen Augen ...
Anneli konnte die Augen immer noch sehen. Jetzt flammten sie aus dem Gestrüpp. Vorsichtig bewegte Anneli sich darauf zu.
Da erkannte sie, wem die Augen gehörten. Einem Wolf! Und doch war die Angst verschwunden. Leise folgte sie dem Tier, immer weiter fort durch den Wald.
Als sie müde wurde, trug der Wolf sie auf seinem starken Rücken. Und als ihr kalt wurde, wärmte er sie mit seinem dicken Pelz. Behutsam streichelte sie sein eines verletztes Ohr.
Weit weg über Berge und Ebenen.
Fort durch tiefe Täler.
Hinweg über Moore und deren drohenden sumpfigen Tiefen.
Sie fragte nicht danach, wohin die Fahrt ging.
5
Ein Mann kam den Pfad entlanggeritten, der vom Berg herabführte. Er hatte die weise alte Ylva besucht, die tief im Wald in einem kleinen Häuschen lebte, und befand sich jetzt auf dem Heimweg.
Zwei seiner Kühe waren verschwunden, und er hatte geglaubt, sie seien gestohlen worden. Aber nun hatte Ylva ihm gesagt, wo sie zu finden seien.
Ylva konnte fast immer sagen, wo man suchen mußte, wenn man etwas verloren hatte, und sie konnte Kranke heilen. Niemand wußte, wie sie das machte, das war ihr Geheimnis. Aber alle wußten, daß Ylva sich fast nie irrte. Viele Menschen hatten Ylvas Wissen schon erprobt, und noch mehr hatten davon gehört.
Der Mann hatte es eilig. Seine Kühe seien nicht gestohlen, hatte Ylva gesagt. Sie hätten sich verirrt und seien unterwegs zum Moor. Er mußte sich sputen! Wenn die Kühe vor ihm zum Moor kämen, könnten sie in den Morast hinabgesogen werden und ertrinken.
Plötzlich blieb das Pferd auf dem Pfad stehen. Der Mann schnalzte ungeduldig und preßte ihm die Stiefelabsätze in die Flanken. Doch das Pferd blieb beharrlich stehen, schnaubend und stampfend.
Wenn ein Pferd einfach auf dem Weg stehenblieb, konnte das daran liegen, daß ein Geist sich an seinen Halfter gehängt hatte. Ein unseliger Geist, der sich danach sehnte, in geweihter Erde begraben zu werden, und daher zum Friedhof getragen werden wollte.
Der Mann war nicht ängstlich veranlagt. Er sprang vom Pferd. Es gab ein Mittel, wie man sich von Geistern befreien konnte – man mußte zwei gekreuzte Zweige vor die Pferdehufe auf den Weg legen. Das wollte er jetzt versuchen.
Rasch streckte er die Hand nach einem Tannenzweig aus. Doch der Zweig blieb ganz. Unter den Tannen entdeckte der Mann nämlich etwas Graues.
Ein Rock! Ein gestreifter Rock und eine schmutzige Schürze. Dort lag ja ein Mensch!
Erschrocken schob der Mann die Zweige beiseite. Er sah ein mageres Mädchen mit weißem Gesicht und einem hellbraunen Zopf. Die dünnen Arme lagen am Körper entlang ausgestreckt. War sie etwa tot?
Er wagte nicht, sie zu berühren.
Doch da senkte das Pferd seinen schweren Kopf und strich ihr mit seinem weichen Maul über die Wange. Sie stieß ein Wimmern aus und rollte sich auf dem Moos zusammen. Wollte nicht aufwachen!
„Genau wie die Kinder zu Hause, wenn sie frühmorgens aus dem Bett müssen“, dachte der Mann. Hier konnte sie nicht liegenbleiben! Der Wald war voller finsterer Mächte. Und vielleicht war sie ja krank.
Eigentlich müßte er sie auf dem Pferd ins Dorf mitnehmen. Aber er hatte es eilig! Entschlossen hob er das Mädchen auf und kehrte zu Ylvas Häuschen zurück. Die Alte konnte das Kind bestimmt wieder auf die Beine bringen. Ylva nahm das Mädchen sofort in die Arme.
„So, sieh jetzt zu, daß du zum Moor reitest“, sagte sie zu dem Mann. „Du wirst noch rechtzeitig hinkommen, um deine Kühe zu retten.“
Anneli schlug die Augen auf.
Sie sah eine alte Frau mit weißen strähnigen Haaren, deren Augen wie Feuerflammen brannten. Aber es waren gütige Augen. Sie wußte, daß sie diese Augen schon einmal gesehen hatte, allerdingst wußte sie nicht, wo, und nicht, warum.
Annelis Erinnerung an Ort und Zeit war verschwunden.
Und sie war so müde.
So schrecklich müde!
Ylva trug das Mädchen auf die Schlafbank neben dem Herd. Dort durfte sie schlafen, bis sie von selbst aufwachte.
Anneli schlief lange, und Ylva ließ ihr Zeit.
Zuerst lag das Mädchen völlig unbeweglich auf der Bank, als wollte sie nie mehr aufwachen.
Dann warf sie sich hin und her und murmelte wie im Traum.
Endlich streckte sie sich, und ihre Augenlider bebten.
Sie