Lise Gast

Josi und ihre Freunde


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an.

      „Herbergsmutter ja. Aber nur in Vertretung. Die richtige hat eben den zweiten Sohn bekommen, so vertrete ich sie.“

      „O Josi!“

      „Nein, jetzt hab’ ich keine Zeit mehr für dich, großes Ehrenwort. Bleibst du über Nacht? Hast du einen Ausweis?“

      „Nein. Kann ich auch ohne bleiben, wenn ich bezahle?“

      „Du mußt mit dem Herbergsvater sprechen“, sagte sie rasch, „natürlich geht es. Ach, Leo, ich bin ja so froh, daß ich dich hier sehe, wir müssen uns entsetzlich viel erzählen. Was machen denn die andern?“

      „Sind noch in Hamburg, soviel ich weiß.“

      „Und du? Was hast du jetzt vor?“

      Leo wanderte auf und ab, während er auf Josi wartete. Ihm war, als habe er bis jetzt geschlafen und sei nun hochgeschreckt, als er Josis Gesicht sah, ihre Stimme hörte. Mit einemmal erschien es ihm unglaublich, daß er ein Jahr lang gelebt hatte, ohne jeden Tag an sie zu denken.

      Einen Kuß, dachte er. Damals hatte er ihr einen gegeben, als sie abfuhr, einen einzigen. Wie leicht hätte es sein können, daß sie wirklich verheiratet oder doch verlobt war jetzt, sie, sein bester Kamerad. Ihm wurde ganz windelweich bei dem Gedanken. Wie konnte er nur so leichtfertig das Leben laufen lassen, und wenn er zehnmal Examen zu machen hatte. Wofür arbeitete man denn, wenn nicht für die Frau, für die Familie, für das, was bleibt?

      Kam sie denn immer noch nicht? Ihm war, als könnte er jetzt, da er sie so lange nicht gesehen hatte, keine Sekunde mehr warten. Wieder und wieder sah er nach der Uhr – stand die denn still? Nein, sie tickte wie immer. Aber trotzdem ging sie nicht vorwärts. So spät war es doch vor Stunden schon gewesen!

      „Leo!“

      „Na endlich. Ich finde, du läßt mich reichlich Geduld üben.“

      „Ach, schimpf nicht, jetzt bin ich ja da.“

      Sie kam an seine Seite gesprungen und hakte sich bei ihm ein. Es wurde schon kühl. Nebel stiegen aus den Tälern hervor.

      „Nun erzähl, was hast du jetzt vor?“

      „Nein, erst erzählst du. Bist du schon lange hier, und für immer? Du wolltest doch eigentlich wieder nach München kommen.“

      „Wollte ich? Ach, Männe, vielleicht zuerst. Aber dann – weißt du, ich passe nicht in die Stadt. Ich hab’ es deutlich gemerkt. Es war ja nett und lustig mit euch, jedenfalls anfangs...“

      „Ich dachte immer, es hätte dir bei uns gefallen“, sagte er leise.

      „Hat es auch. Hat es wirklich. Aber weißt du, mir fehlte dort die richtige Arbeit. In Hörsälen sitzen und Sport treiben – sicher, für eine Weile macht das Spaß. Aber ich brauch’ halt Arbeit, richtige, deftige Arbeit, einen Garten oder Viehzeug oder Kinder – oder so wie hier, wo ich die Jungen und Mädchen verköstige.“

      „Ja? Fühlst du dich hier wohl?“

      „Herrlich wohl. Wenn sie alle so anrücken, hungrig und durchgeblasen von der Luft, und so vergnügt, oder sie wenden sich mit ihren kleinen Leiden und Unglücksfällen an mich. Der eine hat sich die Ferse durchgelaufen – ich bin schon ein halber Arzt geworden –, oder einer hat sein Geld verloren und mag es den andern nicht sagen. Da pump’ ich ihm halt was. Und so viele schreiben mir dann Karten, das ist unglaublich nett. Ich hab’ schon eine ganze Sammlung davon.“

      „Da möchtest du wohl nicht wieder fort von hier?“

      „Nein, warum? Ich glaub’, an eine solche Stelle gehör’ ich.“

      Er schwieg.

      „Und nun erzähl du“, sagte sie und gab ihm einen Schubs.

      Er fuhr auf. „Ach, ich – was ist da groß zu erzählen. Ich hab’ doch gesagt, das Examen hab’ ich.“

      „Und nun?“

      „Was denn, nun?“

      „Ich meine, was du jetzt anfangen willst. Jetzt geht’s doch los bei dir.“

      „Das weiß ich noch nicht“, sagte er mürrisch. All seine gute Laune war plötzlich dahin. Sie versuchte seinen Gesichtsausdruck in der Dämmerung zu erkennen. „Warum brummst du mich denn plötzlich so an?“

      „Hab’ ich gebrummt?“ fragte er sanfter.

      „Na, und nicht zu knapp. Ich dachte, wenn man das Examen hat, weiß man schon genau, was man dann anfängt. Das ist doch sozusagen das Tor zum Leben. Aber vielleicht willst du nicht darüber sprechen?“

      „Doch, Josi, mit dir schon. Gerade mit dir!“

      „Männe, sei nicht böse, morgen! Ich muß wieder hinein, es hängt ja alles an mir. Sei lieb, geh schlafen und ruh dich ordentlich aus. Ja? Morgen versuch’ ich, etwas länger abzukommen.“

      Sie trennten sich an seinem Zimmer. Josi streichelte ihm heftig abbittend über den Handrücken, als sie sich verabschiedete. Er sah so enttäuscht aus.

      Und er war es auch. Von Schlaf konnte keine Rede sein. Er lief hin und her wie ein gefangener Löwe. Seine Gedanken arbeiteten. Er mußte zu einem Entschluß kommen, heute noch. Aber es war schwer, viel schwerer jetzt als vorher.

      „Leo? Bist du noch angezogen?“

      Er war sofort an der Tür. „Ja, was ist?“

      „Wenn du leise bist, zeig’ ich ihn dir noch schnell, willst du ihn sehen?“ flüsterte Josi. Er verstand nicht gleich.

      „Wen denn?“

      „Den kleinen Jungen. Magst du?“

      „Ach so.“

      Sie schlichen hintereinander durch die langen Gänge der Jugendherberge. Es war schon nach zehn und eigentlich Bettruhe. Sie durften sich nicht erwischen lassen.

      „Komm, hier.“ Josis kleine warme Hand zog ihn im Dunkeln hinter sich her. Er tappte und stieß mit dem Kopf gegen irgend etwas. Es krachte wie ein Donnerschlag.

      „Ach, du lieber Augustin, kannst du deinen Dickschädel nicht einziehen?“ Sie standen und hielten den Atem an.

      „Ach, es kommt schon niemand. Los, hier.“

      Das also war Josis Zimmer. So schmal, daß man neben dem Bett kaum treten konnte, eine Kommode, die wohl auch als Tisch diente, fertig. Kein noch so schmaler Spind.

      Am Fenster stand ein buntbezogener Korbwagen. Josi hatte die Lampe schon abgeschirmt und konnte ruhig anknipsen.

      „Ist er nicht süß? Eben hat er seine letzte Mahlzeit gekriegt.“

      Leo fühlte eine seltsame Rührung, wie er das kleine rotbraune Köpfchen betrachtete. „Und da schläft er nun die ganze Nacht bei dir?“

      „Ha, schläft! Bis zwei vielleicht, dann brüllt er, ich sage dir... Nein, mach nicht so ein erschrockenes Gesicht!“ Sie lachte so laut, daß sie selbst erschrak und beide Hände vor den Mund drückte.

      „Kannst du denn dabei schlafen?“ fragte Leo.

      „Na, ich lern’ es noch. Gestern war ich meistens wach. Aber wir wollen ihm gar nicht erst einen Schnuller angewöhnen. Man muß nur anfangs konsequent bleiben.“

      „Und tagsüber rennst du von früh bis spät umher und kochst und pflegst außerdem die Frau – Josi, ich finde...“

      „Ach, finde nur nicht erst. Ist nicht der Rede wert. Und wie soll ich es denn machen, bitte sehr? Die Frau braucht ihre Ruhe. Außerdem ist er doch so süß. Wir hatten uns so sehr einen zweiten Jungen gewünscht.“

      „Na ja, aber...“

      „Kein Aber. Wenn du meckern willst, braus ab. Überhaupt, wenn sie dich hier erwischen!“

      „Josi, ich möchte...“

      „Was