alle Mühe, nicht zu watscheln, als ich an der Fotogalerie an der Schmalseite vorbeigehe und darauf Coco Chanel, die kinderlose Verführerin, entdecke. Dann gehe ich zum Taxistand und winke einen Wagen heran.
Paul ist nicht zu Hause, was mich etwas enttäuscht. Dafür wundert es mich, daß er nach dem Frühstück nicht abgewaschen hat. Er ist doch sonst immer so penibel. Auf dem Küchentisch finde ich die Erklärung – ein schnell hingekritzelter Bescheid: »Bin von TV 2 für ein Gespräch angerufen worden. Bis bald. P.« Es ist etwas Dringendes an diesem Satz, das mich beunruhigt. Warum hat das plötzlich so eine Eile, wenn er doch schon zum Gespräch da war? Und außerdem hat er den Vertrag für seine Einstellung bekommen, und auch wenn ich vom ersten Dezember an mit dem Kind allein zurechtkommen muß und mir gar keine Hoffnungen zu machen brauche, vor Ende der Erziehungszeit wieder zur Arbeit zu kommen, so sind wir immerhin in den ersten paar Monaten zwei Erwachsene. Jedenfalls, wenn ich mich endlich dazu bequemen könnte, zu gebären.
»Wenn du mich im Stich läßt, raste ich aus!« flüstere ich in einer bösen Vorahnung und gehe erst mal pinkeln. In meinem Slip ist Blut. Nicht viel, aber genug, daß sich auf der weißen Baumwolle ein roter Strich abzeichnet.
»O nein«, murmle ich und werde auf das Gemeinschaftsklo bei Sergej zurückgewirbelt, wo meine blutende Vagina eine schreiende Warnung von Tod und Unglück war. Aber dann fällt mir der Abschnitt über die bevorstehende Geburt in der mir ausgehändigten Broschüre ein, und ich kann sogar beim Namen nennen, was ich sehe: Eingangsblutungen. Also ist es nur noch eine Frage von Tagen oder Stunden, bis es passiert. Ich spüle und laufe planlos in Pauls Wohnung umher. Bei den Konsultationen im Krankenhaus war ich ungeduldig und insistierend, tief frustriert darüber, in diese Wartehaltung versetzt zu werden und äußerst unzufrieden mit der unerträglich religiösen Attitüde der Ärzte gegenüber meiner verspäteten Geburt.
»Wenn Gott will!« antworten die Ärzte immer nur, wenn ich sie um einen Termin bitte.
Während ich Patina angesetzt und vergeblich versucht habe, sie dazu zu bringen, die Geburt einzuleiten – »die Geburt wird komplizierter, wenn wir die Natur stören!« –, ist Paul ganz auf einer Linie mit dieser geburtshilflichen Methode.
»Dein Problem, Tes, ist«, dozierte er vor ein paar Tagen, während wir in scharfem Trab um die Seen herumliefen – ein weiterer Versuch, der heiligen Natur auf die Sprünge zu helfen –, »daß du wie die meisten modernen Menschen alles kontrollieren willst. Du kannst einfach nicht damit zurechtkommen, daß es Dinge gibt, die du nicht lenken kannst. Aber in der Ungewißheit findest du das Mysterium der Schöpfung, das Grauen und die Schönheit, und meiner Meinung nach zeugt es von absoluter Weisheit, daß die größte Geburtsstätte des Landes ihre Demut und Grenzen erkannt hat!«
»Schreib doch ’nen Feuilletonartikel darüber!« forderte ich ihn trocken auf. Worauf er tatsächlich nach Hause ging und das tat! An dem Vormittag, als ich mich mit Birgitte traf, saß er übrigens an dem Text und überarbeitete ihn, und er muß es wirklich eilig gehabt haben, denn der leuchtet immer noch auf dem Farbbildschirm seines Macs, wie ich sehe, als ich in meinem rastlosen Herumstreunen unseren gemeinsamen Schreibtisch umkreise.
Etwas deutet darauf hin, daß er lieber zusehen sollte, zu Potte zu kommen, wenn der Artikel nicht veralten soll, denn auch wenn ich nicht gerade die große physische Veränderung spüre, bin ich doch mit einem Mal überzeugt davon, daß es heute sein wird. Oder zumindest kommende Nacht. Und vielleicht ist es ja auch eine Bestärkung, daß ich wie eine Schülerin, die während der unterrichtsfreien Zeit gefaulenzt hat, mit einem Mal von einer entschlossenen Betriebsamkeit ergriffen werde. Das ist jetzt die letzte Chance, wenn etwas aufgeholt werden soll.
Zunächst lege ich meine Einkäufe auf ihren Platz in die Schubladen in der Ecke des Schlafzimmers, die Paul mit Hilfe pastellfarbener Bemalung und Teddy-Schablonen zu einer richtigen Heititei-Babyecke gemacht hat. Dann mache ich den Kinderwageneinsatz mit dem Bettzeug mit der Lochstickerei fertig, das ich von Birgitte geliehen habe. Ich rede mit dem Baby, wobei mir auffällt, daß es seit einem halben Tag schon auffallend still war. Die Ruhe vor dem Sturm vielleicht?
Danach wasche ich in der Küche ab, fege den Boden und wische ihn auf allen vieren liegend, was anstrengend ist, aber laut Geburtsvorbereitungskurs sehr gut für das Kreuz sein soll, das angefangen hat, ab und zu zu mucksen. Schließlich trinke ich am Küchentisch eine Tasse Tee, kaue eine Alkaselzer gegen das Sodbrennen und esse in kleinen Löffelchen einen Joghurt, während ich auf den Fahrstuhl oder leise Schritte die Treppe herauf lausche, die davon künden, daß Paul auf dem Weg ist. Ich gehe auch ins Wohnzimmer, um nachzusehen, ob ich vielleicht den Telefonhörer falsch herum aufgelegt habe, und ich spule den Anrufbeantworter noch einmal zurück, um ganz sicher zu sein, daß es keinen Bandsalat gab. Aber merkwürdigerweise gibt es keine Nachricht.
Spät am Nachmittag ist mir kalt, ich bin verschwitzt und schon müde, aber nichtsdestotrotz beginne ich mit einem gigantischen Projekt: Ich fange an, meine Umzugskartons auszupacken. Irgendwie bekomme ich den obersten heruntergehievt – das ist derjenige, in dem Kleidung in Größe 38 ist, von der ich gar nicht begreife, wie ich mich jemals dort habe hineinschrauben können. Ich lege sie in Pauls Schrank, hänge meine Blusen und Jacken zwischen seine und mache meine Slips zu Nachbarn seiner Boxershorts. Das ist die definitive Kapitulation, aber es erscheint sinnlos, noch Widerstand leisten zu wollen, jetzt, wo die Konturen der ersten Wehe wie eine Staubwolke am Horizont zu erahnen sind. Ich muß mich beeilen, wenn ich es schaffen will, deshalb mache ich in hohem Tempo weiter, obwohl ich kurz vorm Auf geben bin, als nach den Kartons mit Haushaltgeräten, undefinierbarem Nippes und den schweren mit Büchern und Bändern immer noch der mit den A4-Mappen, Papieren, vergilbten Zeitungsausschnitten, alten Briefen, Aufgaben aus der Journalistenschule, dem Fotoalbum und den Mappen mit Vaters zurückgelassenen Zeichnungen übrig ist. Mit äußerster Kraftanstrengung gelingt es mir, das meiste einigermaßen vernünftig unterzubringen, nur für Vaters Mappe kann ich keinen sicheren Platz finden. Das Format ist zu groß und unhandlich. Deshalb stelle ich sie vorläufig an die Wand – ohne sie zu öffnen und anzugucken –, während ich mich umschaue und mit einer gewissen Zufriedenheit feststellen kann, daß ich jetzt auch hier wohne.
Ich spüre wieder dieses Grummeln in der Ferne, gehe unter die Dusche, seife meinen Ballon ein und rede beruhigend auf ihn wie auch auf mich ein, während ich versuche, mich darauf einzustellen, daß ich, aus welchem unbekannten Grund auch immer, wohl allein werde losgehen müssen.
»Wieder mal im Stich gelassen«, singe ich an der Grenze zwischen Hysterie und Ausgelassenheit, werde aber jäh unterbrochen, als das, was wohl die erste richtige Wehe sein muß, wie der Vorbote des Orkans heranstürmt. Ich beginne zu spät mit kontrolliertem Atmen, und als ich endlich meinen Rhythmus gefunden habe, ist die Wehe schon vorbei. Nachdem ich mich schnell mit Bodylotion eingerieben und Leggins und Sweatshirt angezogen habe, rufe ich die Information an, die mir mit nasaler Stime die Nummer von TV 2 Kopenhagen gibt. Dort bitte ich, mit Paul Weber sprechen zu können, den niemand kennt, aber als ich mich nicht abwimmeln lasse, kann die Zentrale herausfinden, daß die Redakteure »zum Essen sind«. Nein, leider ist keine Nachricht hinterlassen worden, in welchem Restaurant das Essen eingenommen werden soll.
Ich beiße mir auf die Fingerknöchel und gebe die weitere Jagd auf, beeile mich statt dessen, Birgittes Nummer einzutippen. Vogelgezwitscher und Anrufbeantworter – »Wir sind leider im Augenblick nicht zu Hause ...«. Nach dem Piepton hinterlasse ich die lakonische Nachricht, daß ich Wehen bekommen habe, und dann gehe ich in der Reihe weiter zu meiner Mutter, mit der zu reden ich jetzt einen unbändigen Drang verspüre. Sie ist auch nicht zu Hause, und im Theater wird mir gesagt, daß Frau Skårup im Probenraum ist und nicht vor sechs Uhr gestört werden darf. Es ist halb sechs, seit der ersten Wehe sind zehn Minuten vergangen, und jetzt kommt die zweite angebraust und zwingt mich in die Knie. Ich stütze mich auf die Tischplatte, finde schließlich die Atemstöße, die mir helfen, auf den Wehen zu reiten. Also ist doch noch was bei der Geburtsvorbereitung herausgekommen, die ich ansonsten als vergeudete Zeit angesehen habe. Kiki, die letzte auf meiner Liste, ist natürlich auch nicht zu Hause. Aber ihr ulkiger Geliebter Spunk fragt, ob er ihr etwas ausrichten soll.
»Sage ihr, daß ihre Schwester goddammit endlich ihr Kind kriegt! Sie kann gern zurückrufen!« entgegne ich obercool und wühle auf dem Tisch nach dem Mutterpaß,