ihn daran, daß ich morgens eine Maschine Wäsche angestellt habe und daß keine Kaffeefilter mehr im Haus sind. Er lächelt, froh, daß ich plötzlich so neutral und alltäglich bin, und sagt, daß er schon dran denken wird. Dann fällt mir die Arbeit ein, die trockene Luft im Schneideraum. Ich denke an den Zuckerbäckerstil der Wasilij-Kathedrale, an Gorbis Muttermal, und ich schreie laut auf, als das Gefühl des Hundebisses durch meinen Stiefel mich wieder ereilt.
»Mein kleiner Schatz!« sagt Paul mitleidig.
»Es zerreißt mich!« klage ich.
»Du bist so tüchtig! Und jetzt haben wir bald unser kleines Kind! Denk doch nur daran, Therese!«
Ich schaue ihn über die Maske hinweg verwundert an. Ja, es stimmt. Das Kind! Deshalb liege ich hier. Weil ich ein Kind zur Welt bringe. Ich schließe die Augen wieder. Drücke Pauls Hand, um zu spüren, daß er da ist. Denke an ihn ganz in Weiß bei unserer ersten Begegnung. Begreife nicht, daß das erst ein Jahr her ist. Blende dann über zu dem goldenen Weihnachtsabend, an dem unser Kind gezeugt wurde.
»Ich sollte die Rubine umhaben«, sage ich träge und bitte um Wasser.
»Hier!« sagt er und führt den Becher an meine Lippen, aber ich schaffe es kaum, wieder zurückzusinken, bevor mir ohne jede Vorwarnung schlecht wird. Ich mache verzweifelte Zeichen, daß er mir die Spuckschale reichen soll, und er schafft es gerade noch, bevor ich mich übergebe.
Die Hebamme, nach der er sofort geklingelt hat, tupft mich mit einem angefeuchteten Tuch sauber und sagt, daß das prima ist. »Dann kommt bald die Preßphase!«
Ich friere und klappere mit den Zähnen, mir ist plötzlich auf eine ganz neue Art und Weise elend.
»Ich kann bald nicht mehr!« piepse ich und sinke auf den Gebärstuhl zurück.
»Das brauchst du auch nicht! Aber weißt du was, mein Dienst endet leider um elf. Doch bevor ich gehe, schicke ich meine Ablösung zu dir herein. Keine Sorge!« sagt sie und streichelt mir die Wange. »Sie ist genau die Richtige für euch.«
Das glaube ich ja nun nicht, und so verlassen zu werden, raubt mir fast den letzten Mut. Aber Else Jakobsen hat recht, die neue Hebamme ist ganz anders. Es durchzuckt Paul, als sie durch die Tür tritt. Natürlich in weißem Kittel, wie die anderen, aber dennoch von ganz anderem Wesen. Groß und blond, mit scharfen Zügen, das lange Haar von einem bunten Kopftuch zurückgehalten. Schwere Goldringe in den Ohren, knallroter Lippenstift, ebensolcher Nagellack und irisblaue Augen.
»Hallo!« sagt sie und gibt mir einen festen Händedruck, den ich nur matt erwidere. »Ich heiße Randi, und mit mir sollst du dein Kind kriegen!«
Ich nicke, fast gehorsam, und sehe Pauls Verwirrung, als sie auch ihn begrüßt. Sie redet so energisch über die bevorstehende Geburt, daß ich das erste Mal in dem ganzen Verlauf anfange zu verstehen, daß es wirklich eine Tatsache ist, daß das Kind bald herauskommen wird. Aufmunternd. Aber gleichzeitig deutlich, daß diese Hebamme, die aussieht, als wäre sie auf dem Weg zu einer Zigeunerhochzeit, etwas von mir erwartet. Sie will, daß ich etwas leiste, aktiv an der Geburt teilnehme, als wenn es nicht ausreichen würde, daß ich mich hier langsam zerreißen lasse.
»Hör zu!« sagt sie, nachdem sie mich untersucht hat und alles normal gefunden hat. »Jetzt lassen wir das Fruchtwasser abgehen! Danach ist anzunehmen, daß es ziemlich hektisch wird. Bist du bereit?«
Ich schüttle den Kopf, ich verstehe die Frage nicht.
»Bist du?« fragt sie zu Paul gewandt, der bleich, aber gefaßt nickt. Ihre Verschworenheit bringt mich aus der Fassung, so daß mich die nächste Wehe wie eine falsch rollende Welle trifft, die mich aufschreien und zur Brücke anspannen läßt. Mit dieser Wehe wird meine äußerste Grenze akzeptabler Schmerzen überschritten.
»Ich will nicht! Ich kann nicht!« heule ich wie eine Wahnsinnige in der Zwangsjacke, und als Paul mich tröstend umarmen will, schlage ich rasend nach ihm. »Hau ab!« schreie ich in einer neuen Stichflamme des Hasses auf diesen Mann, der mich in diesem Inferno extremen Leidens allein gelassen hat.
»Geh mal einen Augenblick hinaus!« nickt die Hebamme ihm zu.
»Du kannst auf dem Flur rauchen, und da ist auch ein Kaffeeautomat.«
Ich entblöße höhnisch mein Zahnfleisch. Kaffee!
»Wäre es nicht besser, wenn ich bleibe?« fragt Paul kleinlaut.
»Nein«, antwortet die Hebamme und umfaßt meinen Knöchel mit ihrer Hand. »Im Moment ist es am besten, wenn du gehst! Aber geh nicht zu weit weg, bald brauchen wir dich wieder!«
Wie ein Kind, das Theater gemacht hat, warte ich, daß die Hebamme mich ausschimpft, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hat. Das tut sie nicht. Sie stellt sich zwischen meine Beine, beugt sich über meinen Bauch und streicht mit weichen, beschwörenden Handbewegungen darüber, während sie leise und beruhigend auf mich einredet.
»Therese, jetzt versuche mal, dich gaaanz zu entspannen!« predigt sie in einem hypnotischen Tonfall. »Versuche die Augen zu schließen und spüre, wie die guten Energien in deinem Körper arbeiten! Versuche dein Kind zu sehen, ganz entschlossen auf dem Weg hinaus durch dein Becken! Das Kind ist voller Mut und Lebenslust, und obwohl es unruhig und unsicher wie ein Astronaut daliegt, der in den Weltraum geschickt wurde, hat es einen Code in sich, der ihm sagt, daß es seine erste dramatische Reise unternehmen soll. Und so einen Code hast du auch in dir, Therese, der sagt, daß du deinem Kind dabei helfen sollst. Niemand sonst kann das! Deshalb kannst du es, auch wenn du denkst, du kannst es nicht!«
»Es tut so weh!« jammere ich, schon weniger sicher in meinem Glauben, daß ich vollkommen im Recht bin, mich so aufzuregen und dagegen anzukämpfen. Gagarin auf der Kreisbahn um die Welt. Ein kleiner Astronaut in dem großen Weltall! Das Bild wirkt, stark und unmittelbar, mir wird warm ums Herz bei dem Gedanken an das ungeschützte Wesen, das ebenso hart darum kämpft, zu mir zu gelangen, wie ich es tue, um zu ihm zu kommen.
»Schöpfung aus Schmerzen!« sagt sie wie eine Priesterin, läßt ihre gespreizten Hände über meinem Bauch kreisen und legt sie schließlich direkt auf die Bauchdecke, als eine neue Wehe im Anmarsch ist.
»Hol tief Luuuft, damit das Kleine guten Sauerstoff kriegt! Ja, das ist super! Bis in den Bauch hinein! Prima, Therese!« lotst sie mich hindurch, so daß ich zum ersten Mal das Gefühl habe, daß ich es bin, die die Wehe dirigiert, und nicht die Wehe, die sich meiner bemächtigt.
Ich greife zur Maske, habe noch Kraft über, um zu lächeln, als sie mit dem Stethoskop am Ohr berichtet, daß die Herztöne gut sind.
»Okay«, sagt sie. »Dann lassen wir das Wasser ab! Soll ich deinen Mann reinrufen?« Ich bitte sie, noch einen Augenblick zu warten, aus Angst, daß die Magie, die sie mit in das Zimmer gebracht hat, zerstört wird, wenn er eintritt.
Das Wasser fließt warm in eine Schale, als sie die angespannte Fruchtblase anritzt, und ich sehe vor mir, wie mein Kind mit dem Strom mitgerissen wird. Dabei fallen mir die sibirischen Wassergeburten ein, die ich einmal in der BBC gesehen habe. »Habt ihr ein Wasserbassin?« frage ich.
»Möchtest du gern ein Bad?« fragt sie mit der Hand in meiner Vagina. »Ich fürchte, für das ist es zu spät. Du bist tatsächlich knapp zehn Zentimeter offen!«
»O nein!« entfährt es mir und ich werde rot, denn aus irgendeinem Grund ist es mir peinlich. »Ich muß aber auf die Toilette!«
»Mein Gott, jetzt schon!« sagt sie und kommt zwischen meinen Beinen in Fahrt. »Das sind Preßwehen!« teilt sie mit und drückt auf den Klingelknopf. »Du mußt noch ein wenig verhalten, wir müssen erst soweit sein!«
Paul wird hereingeholt und begegnet mir mit einem erwartungsvollen Lächeln, eine Schwester kommt mit klappernden Schuhen herein und hilft der Hebamme, das Geburtsbett fertig zu machen, auf das ich jetzt verfrachtet werden soll. Paul und die Hebamme bringen mich auf die Beine, und ich lege schwer meine Arme auf Pauls Schultern und folge seinen Anweisungen während des leichten, schmetterlingsartigen Atmens, das mir hechelnd helfen soll, nicht zu pressen.
»Halte