Hanne-Vibeke Holst

Seine Frau


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      Hanne-Vibeke Holst

      Seine Frau

      Saga

      Seine Frau ÜbersetztHanne Hammer Original KongemordetCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 2005, 2020 Hanne-Vibeke Holst und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726569612

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

      – a part of Egmont www.egmont.com

      »Die Politik gibt Männern so viel Macht, dass sie dazu neigen, sich Frauen gegenüber gemein zu verhalten. Ich hoffe, dass es bei mir nie so weit kommen wird.«

      Bill Clinton

      Nur der innerste Kreis um den noch amtierenden und bald ehemaligen Berater befindet sich am Wahlabend des 20. November 2001 im Staatsministerium. Nicht mehr als ein paar Leute sind sie, die da ihren Wein trinken und von den Leckereien essen, die zu diesem Anlass bestellt worden sind. Der bald ehemalige Berater, der als Einziger das delikate Fischgericht mit gutem Appetit in sich hineinschlingt, wird diese Mahlzeit später mit Galgenhumor Das letzte Abendmahl nennen. Er wird die Stimmung im Büro des Staatsministers, in dem simultan zwei Fernseher laufen, der eine mit DR 1, der andere mit TV 2, schon von dem Moment an als »surreal« bezeichnen, als die ersten Wahlergebnisse jede Hoffnung zunichtemachen, dass die amtierende Regierung mit Per Vittrup an der Spitze entgegen aller Prognosen im Amt bleibt. Mit seinem Sinn für Details wird er Elizabeth Meyers vibrierende Nasenflügel und Gert Jacobsens flammende rote Haarpracht kommentieren, doch zuallererst wird er kopfschüttelnd über die fast autistische Weigerung des Vorsitzenden der Sozialdemokraten berichten, zu der Katastrophe Stellung zu nehmen, die sich vor ihren Augen entfaltet. Weniger als dreißig Prozent der abgegebenen Stimmen – das ist eine so lähmende Ohrfeige, dass nicht einmal die schlimmsten Pessimisten, zu denen auch der Berater gehört, sich eine so vernichtende Niederlage hätten vorstellen können. Was erwartet man von dem verantwortlichen Vorsitzenden in einer solchen Schicksalsstunde? Vielleicht dass er bittet, allein gelassen zu werden? Dass er einen Revolver aus der Schreibtischschublade oder ein Schwert aus der Scheide zieht, um kurzen Prozess zu machen? Oder dass er eine gut vorbereitete Rede hervorholt, um in den Landstingssaal hinunterzugehen und Verantwortung für die Niederlage zu übernehmen, für die, anders als im Fall eines Wahlsiegs, meist niemand Verantwortung tragen will? Alles andere jedenfalls als das, was der ehemalige Berater mit den Worten ausdrückt: »Wie eine kopflose Henne herumgackern und sich weigern anzuerkennen, dass der Kopf ab ist.«

      Als das Wahlergebnis feststeht, ist es Elizabeth Meyer, die sich wieder einmal als der mutigste Mann der Regierung erweist. Nur sie hat das Rückgrat, ihm laut die Frage zu stellen, um die die Gedanken aller kreisen:

      »Welche Konsequenzen gedenkst du aus diesem Ergebnis zu ziehen?«

      »Wie meinst du das?«, fragt der noch amtierende Staatsminister und ruft seinen westjütischen Kreisvorsitzenden an, um zu hören, wie weit sie mit der Auszählung der persönlichen Stimmen sind. Kommen sie unter die Top Five?

      Hier distanzieren sie sich, Meyer und Jacobsen, bemerkt der bald ehemalige Berater und lässt die Asche seiner Zigarette in das abgenagte Fischgerippe fallen. Total. Wie ein Paar, das, sich an den Händen haltend, von einem entgleisenden Zug springt.

      Liegt es daran, dass immer wieder das Wort historisch fällt, dass ich weiß, dass dieser Abend auf die eine oder andere Weise einschneidend wird? Auch für mich? Ich habe mir so viel Mühe gegeben, und doch bin ich so nervös, dass ich kaum das Feuerzeug ruhig halten kann, um meine Zigarette anzuzünden. Aber ich habe für alles gesorgt. Mich an alles erinnert. Den Gravlachs neben dem Kümmelbrot arrangiert und nicht auf die Scheiben gelegt. Ich habe mich auch daran erinnert, dass er das Dressing separat in einer kleinen Schale haben will, und ich habe keine Butter, sondern aus Rücksicht auf seinen Cholesterinspiegel Pflanzenmargarine verwandt. Ich habe seinen Lieblingschablis kalt gestellt, doch sicherheitshalber auch dafür gesorgt, dass zwei Flaschen Carls Spezialbier da sind, das er manchmal vorzieht, um besser schlafen zu können. Und ich habe einen Strauß rote Minirosen in eine Vase gestellt, mit einer neutralen weißen Glückwunschkarte, auf die ich Herzlichen Glückwunsch zur Wahl, Schatz! geschrieben habe.

      Das Haus habe ich noch einmal vom Keller bis zum Speicher geputzt. Wie eine Hausdame in einem Fünf-Sterne-Hotel habe ich sorgfältig jeden Raum inspiziert, jede Ecke. Alles ist einwandfrei. Die Schlüssellöcher sind mit Wattestäbchen gereinigt, die Zwischenräume zwischen den Lamellen der Heizung habe ich mit der neuen Bürste bearbeitet, die Spinnweben mit dem Staubsauger aufgesaugt. Ich habe seine Hemden gebügelt und sein Bettzeug gewechselt. Vor allem habe ich alle Spuren von mir beseitigt; nicht eine Wochenzeitschrift, nicht eine Kippe liegen mehr herum, und da ich all die niedlichen kleinen Flaschen weggeräumt habe, selbst aus den Verstecken, die er bisher noch nicht entdeckt hat, wie den Wäschekorb und den Schirmständer, kann er auch nicht ausrasten. Was mich selbst angeht, bin ich gepflegt und zurechtgemacht, meine Nägel sind frisch lackiert, das Haar frisch geschnitten und aufgehellt, und ich habe den schönen solariumbraunen Ton beibehalten, den er so mag. Ich habe den schwarzen Minirock angezogen und als Unterwäsche das cognacfarbene Set von Marie Jo mit der Spitze und dem Push-up-BH, das er seine Sekretärin letzte Weihnachten für mich hat kaufen lassen. Ich habe meine Beine gewachst, mich unter den Armen rasiert und meine Intimzonenbehaarung auf Vordermann gebracht. Nüchtern bin ich auch, halbwegs jedenfalls, jetzt zumindest noch.

      Demnach dürfte nichts zu beanstanden sein. Demnach müsste ich mich auf dem Sofa zurücklehnen und dem »Wahlthriller« im Fernsehen in der sicheren Gewissheit folgen können, alles im Griff zu haben. Nach dem ersten Drink, nur ein kleiner Rest, ein kleines Schlückchen Wodka aus der Mineralwasserflasche in meiner Tasche, um mich zu beruhigen, lulle ich mich auch langsam in eine falsche Sicherheit ein. Eine Sicherheit, aus der ich brutal herausgerissen werde, als er als einer der Ersten auf dem Bildschirm erscheint. Denn als ich die kalte Flamme in seinem Blick sehe, den er dem kessen Christiansborg-Reporter zuwirft, weiß ich, was passieren wird. Ungeachtet meiner Anstrengungen. Ungeachtet meiner Umsicht. Ungeachtet der Tatsache, dass sie im Wahlkreis Kongens Enghave sozialdemokratisch gewählt und im Wahlkreis Vestre Storkreds für ihn gestimmt haben. Ungeachtet dessen, was ich getan oder nicht getan habe, wird er einen Grund finden. Es ist nicht meine Schuld, dass sie verloren haben. Doch das spielt keine Rolle, so viel habe ich gelernt.

      Als zu den unangebracht ausgelassenen Moderatoren im Wahlstudio umgeschaltet wird, habe ich längst zu zittern begonnen. Obwohl er viele Kilometer entfernt ist, spüre ich seine Nähe wie einen sich hinter mir auftürmenden Schatten. Und als im gleichen Moment mein Handy klingelt, ein Geburtstagsgeschenk zu meinem Fünfzigsten im letzten Jahr, fahre ich zusammen in dem Glauben, dass er es ist. Einzig und allein, um mich zu erschrecken. Nur deshalb habe ich es bekommen. Damit er mich kontrollieren kann.

      »Ja?«, keuche ich. Es ist Janni, meine Exschwägerin. Gert hat ihr verboten, Kontakt zu mir aufzunehmen.

      »Du kommst besser zu uns raus!«, fordert sie mich ohne Umschweife auf. Sie ist der einzige Mensch auf der Welt, der weiß, was los ist. Deshalb darf sie mich auch nicht anrufen. Ich darf sie natürlich auch nicht anrufen. Ich darf nie mehr mit ihr reden. Weil ich zu ihr gegangen bin, als er im letzten Sommer meinen Kopf so oft gegen den Türrahmen geschlagen hat, dass der Rahmen gespalten war und ich eine Gehirnerschütterung hatte. »Das nächste Mal bringt er dich um«, hat sie gesagt, und die gegen meinen Willen gerufene Notärztin hat ihr nicht widersprochen. Glücklicherweise ist Jacobsen ein ganz gewöhnlicher Name, und die Ärztin schien nicht zu wissen, wen sie vor sich hatte. Oder sie war einfach diskret. Ich habe mich geweigert, in ein Krankenhaus zu gehen, und auch von einer Anzeige Abstand genommen. Janni hat geschworen, dass sie ihn das nächste Mal selbst anzeigen wird. Und als Gert nach drei Tagen kam, um mich bei ihr und den Kindern in Brønshøj abzuholen, hat sie sich wie ein kurz vor dem Platzen stehender Sperrballon in die Tür gestellt, die Hände