zu dem großen Mädchen mit dem markanten Gesicht und dem beharrlichen Blick um und befeuchte die Lippen, während ich wie eine Verrückte darüber nachdenke, was ich sagen soll.
»Ich meine«, beginne ich und merke, wie Pers Antennen auf mich gerichtet sind. Glaubt er auch, dass ich Gerts Bauchrednerpuppe bin? Dass das, was ich jetzt sage, klingen wird, als würde Gert selbst reden? Gert, der zurzeit klug genug ist, sich an seine Zahlen und Berechnungen zu halten und ansonsten so wenig wie möglich zu sagen?
»Ich meine«, fahre ich fort und überlasse mich dem freien Fall. »Ich meine, Männer-sind-Schweine und dass es von deiner Art mehr geben sollte!«
Niemand scheint zu begreifen, wie großartig, wie grenzüberschreitend das ist, was ich gerade getan habe. Denn alle lachen laut, am lautesten Charlotte, die darüber hinaus noch pfeift, vielleicht um ihre Verlegenheit über ein so vorbehaltloses Lob zu überspielen. Per lacht ächzend mit, was sollte er auch sonst tun, doch als das Lachen verebbt ist, legt er den Kopf schräg.
»Das meinst du nicht, oder? Du meinst nicht, dass alle Männer Schweine sind?«
»Kein Kommentar«, sage ich und drehe wieder den Wasserhahn auf, während es warm in meinem Bauch brodelt und erneut Gelächter hinter mir erklingt.
Man kann eine Silvesterparty nicht vor zwölf verlassen. Das ist gegen die Etikette. Man muss mit dem Rest der Gesellschaft vor dem Fernseher stehen und die Rathausuhr zwölf schlagen sehen. Man muss die Champagnerkorken knallen lassen und – das ist das Schlimmste – Neujahrsküsse austauschen. Vielleicht ist es auch nur das Zweitschlimmste, jedenfalls wenn man mit einer Frau verheiratet ist, die »ein gutes, neues Jahr« zum Vorwand nimmt, jeden anwesenden Mann, bekannt wie unbekannt, abzuküssen. Und Gert Jacobsen ist mit so einer Frau verheiratet und hasst es deshalb, auf solche Feste zu gehen. Weil er sich so Lindas »Kussrunde« mit ansehen und sich damit abfinden muss, selbst von den Frauen der anderen Männer auf die Wange oder den Mund geküsst zu werden, was ungefähr so erregend ist wie die Oblate beim Abendmahl. Deshalb schaut er bereits seit elf nervös auf die Uhr und denkt darüber nach, wie sie rechtzeitig verschwinden können. Seine Unruhe wird dadurch nicht gemindert, dass er Linda schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen hat, obwohl die Zimmer trotz ihrer herrschaftlichen Dimensionen überschaubar sind. Wenn er einen langen Hals macht, kann er sehen, dass nicht sie, sondern Christina Maribo und der junge Sune Garde mit Freundin auf dem Sofa vor dem Kamin sitzen. Dort sitzt Linda sonst gern, wenn sie hier sind. Sie sieht gern ins Feuer, sagt sie. Vielleicht ist sie auf der Toilette, vielleicht ist ihr übel geworden? Wie viel hat sie getrunken? Während des Essens hat er drei Gläser gezählt, plus den Begrüßungsdrink. Aber man weiß schließlich nicht, was sie vorher in sich hineingeschüttet hat, und auch nicht, was sie getrunken hat, seit sie vom Tisch aufgestanden ist. Er lächelt seinen Gesprächspartner, Charlotte Damgaards Mann Thomas, zuvorkommend an, einen naiven jungen Menschen, der ihn eine ermüdende halbe Stunde lang davon zu überzeugen versucht hat, dass Afrika für eine das Leben verlängernde ARV-Behandlung von HIV-Patienten reif ist. In großem Maßstab. Das ist so dumm, dass er nicht einmal Energie darauf verschwenden mag, ihm zu widersprechen. Obwohl er sich beinahe hätte provozieren lassen, als der Idiot mit so einem feministischen Scheiß kam, dass die patriarchalische Dominanz der Männer an der ganzen Epidemie schuld sei und sich alle Probleme des Kontinents lösen ließen, wenn man den Frauen »die Kontrolle über ihren eigenen Körper ließe«.
»Ich muss zugeben, dass man sich als Mann schon seines Geschlechts schämt, wenn man erlebt, wie die Männer sich aufführen. Sie sind absolut verantwortungslos, stecken alle an und geben darüber hinaus noch den Frauen die Schuld!«
»Hmm«, brummt Gert und denkt an das Bordell im Dorf. So, wie er sich an Afrika erinnert, sind nicht nur die Männer promisk. Afrikanische Frauen haben schon immer ihr sexuelles Potenzial bis zum Äußersten ausgereizt. Seiner Meinung nach stehen die Männer unter der Fuchtel der Frauen und nicht umgekehrt. Was weitgehend auch für ihre weniger primitiven, aber nicht weniger durchtriebenen europäischen Mitschwestern gilt, hätte er gern gesagt. Aber so etwas darf man nicht laut sagen, deshalb lässt er den jungen Mann weiter von empowerment of women und male involvement plappern, und was er noch alles aus dem bodenlosen Fass der Sozialbranche herauszieht. Gert tut sich zwar ziemlich schwer mit Feministinnen und ihrer weinetliehen Opfermentalität, doch sie sind ihm immer noch lieber als ihre männlichen Nachbeter. Pfui Teufel, und der hier gehört zu den ganz schlimmen!
Wenn er wollte, könnte er ihn wie einen Moskito auf einem Negerarm zerquetschen, aber das ist er, ehrlich gesagt, nicht wert. Außerdem beschäftigt ihn vor allem seine verschwundene Frau und der Countdown, der laut wie eine Uhr in seinem Schädel tickt. Er beugt sich mit den Händen auf den Oberschenkeln vor, um aufzustehen, doch in dem Moment lässt Charlotte Damgaard sich neben ihm nieder. Sie war unten auf der Straße und hat Raketen mit den Kindern abgeschossen, die jetzt »sicher« vor Pers DVD-Player installiert sind, dem Weihnachtsgeschenk, das er sich selbst gemacht hat.
»Was sehen sie sich an?«, fragt Gert.
»Das Motorsägenmassaker«, lacht sie und nimmt einen geräuschvollen Schluck aus dem Weinglas ihres Mannes. »Und, Gert, wie sieht es mit deinen Neujahrsvorsätzen aus?«
»Im Moment interessiert mich viel mehr, wo meine Frau ist«, sagt er und will aufstehen.
»Sie ist draußen in der Küche. Sie spült. Und sie will keine Hilfe. Du kannst ruhig hierbleiben! Nun, was ist? Irgendwelche Neujahrsvorsätze?«
Als sie wieder nach dem Glas ihres Mannes greift, steht der bereitwillig auf, um ein sauberes Glas für sie und weiteren Wein zu holen. Pantoffelheld.
»Ich habe keine«, sagt er ausweichend, während ein »Ist sie allein?« über seine Lippen will.
»Come on!«, lacht sie. »Weniger rauchen, weniger Alkohol, gut zu den Tieren sein!«
Er sieht sie forschend an, normalerweise äußert sie sich nicht so freimütig ihm gegenüber. Bezweckt sie etwas oder hat sie nur einen leichten Schwips? Sie hat etwas Walkürenhaftes, Kriegerisches an sich. Doch ihre großen, grünen Augen schwimmen leicht, und schielt sie nicht ein bisschen auf dem einen Auge? Eigentlich müssten sie miteinander reden. Die Fronten ein wenig aufweichen. Dass sie nicht gerade Busenfreunde sind, ist kein Geheimnis. Für keinen in der Fraktion. Sie standen von Anfang an auf Kriegsfuß, und im Herbst haben sie sich regelrecht überworfen. Über so wichtige Themen wie das Verhältnis zu ihren amerikanischen Alliierten und die Einwandererpolitik. Obwohl er die Kompetenz anerkennt, die sie bei der Handhabung der Krise unmittelbar nach dem 11. September bewiesen hat, und auch Respekt für ihren Einsatz im Wahlkampf hat, ist und bleibt sie die allzu rote Megafonhalterin, die nie auch nur ansatzweise die Essenz dänischer Politik begreifen wird: sich an die Mitte zu halten und die schwere Kunst der Zuteilungspolitik zu meistern. Gewürzt mit der besonderen Raffinesse, selbst das zu bekommen, was man haben will, ohne den Gegner merken zu lassen, dass man im Wesentlichen nicht nachgegeben hat. In aller Bescheidenheit ist das eine Kunst, in der er recht souverän ist, und vielleicht könnte er sie diese Kunst lehren, wenn sie sich von ihren beiden Marionettenspielern Meyer und Vittrup befreien würde. Denn zugegeben, sie hat etwas. Eine mächtige Naturkraft und eine ungewöhnliche Ausstrahlung, worin bestimmt ein gewisses Potenzial liegt. Dumm ist sie auch nicht, im Gegensatz zu gewissen anderen jungen Genossinnen, mit denen Per sich umgibt. Wenn sie sich nur eine Zeit lang bedeckt halten und nicht auf den Fraktionssitzungen auffahren und die »lammfromme proamerikanischen Linie« der Parteispitze kritisieren würde. Mehr als einmal hat sie darüber gewettert, dass sie nicht den nötigen Abstand zu der »primitiven Cowboy-Rhetorik« der Bush-Regierung wahren. Sie hat auch ihre »Skepsis« angesichts des »gnadenlosen Rachefeldzugs gegen die Talibanstellungen in Afghanistan« durch die Amerikaner geäußert, der leider allzu viele zivile Opfer gefordert und Tausende von Demonstranten in den europäischen Großstädten auf die Straße gerufen hat. Wie zu erwarten, haben große Teile des sozialdemokratischen Hinterlands auch ihren Widerwillen gegen die Unterstützung der harten Linie der Amerikaner zum Ausdruck gebracht, doch er persönlich ist überzeugt, dass viele der gemeinen Parteimitglieder nachts ruhiger schlafen würden, wenn der inzwischen weltberühmte »most wanted«-Anführer des al-Qaida-Netzwerks, Osama bin Laden, gefasst wäre, tot oder lebendig. Nicht weil