Franziska Dalinger

Narzissen und Chilipralinen


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und mein Beispiel ansteckend ist. Als hätten wir eine Lawine losgetreten, finden sich auf einmal überall Pärchen zusammen. Maren sitzt neben Lukas und tuschelt mit ihm. Auch über mich? Ich seh wohl schon Gespenster. Von Michaels Ausführungen über das Wunder der Weinverwandlung bekomme ich heute leider nichts mit.

      »Hat jemand Vorschläge?«, fragt er gerade.

      »Worum geht es?«, wispere ich in Daniels Ohr.

      »Ums Feiern«, flüstert er zurück. »Wie wir feiern wollen.«

      Alle schauen zu uns herüber. Bin ich jetzt die Expertin fürs Spaß haben? Was soll ich sagen – wir betrinken uns und küssen, wen wir wollen, egal, ob wir einen Freund haben oder nicht? Ich brauche dringend einen Vorschlag. Etwas, das nichts mit einer Party zu tun hat, mit Trinken, mit irgendetwas, was den bösen Gerüchten Nahrung geben kann.

      Ich schicke ein Stoßgebet gen Himmel und sage das Erste, was mir einfällt. »Schlittenfahren.«

      Die anderen prusten los.

      »Warum nicht?«, verteidige ich meine Idee. »Wann haben wir schon genug Schnee? Und nachher können wir ja Raclette machen oder so was.«

      »Feuerzangenbowle«, sagt Tine. »Glühwein.«

      Als wenn ich eine Trinkerin wäre! Frechheit.

      »Super Idee!«, ruft Basti. »Das machen wir!« Er strahlt Tine an und sie zuckt zurück, plötzlich verlegen.

      »Schlittenfahren ja«, sagt Michael. »Glühwein nein, sorry, Leute. Raclette und alkoholfreien Punsch zum Aufwärmen.«

      »Das ist wieder typisch christlich«, flüstere ich Daniel zu. »Gerade haben wir darüber gestaunt, dass Jesus so locker drauf ist und den Hochzeitsgästen erstklassigen Wein verschafft. Und dann machen wir es doch wieder ohne Wein, weil’s irgendwie unchristlich ist. Das ist schizo, findest du nicht?«

      Daniels Haare streifen meine Wangen, während er zurückflüstert. »Zwei Drittel der Leute hier sind minderjährig.«

      »Aber wenn Michael glaubt, die würden sonst auch nichts trinken, irrt er sich, der Gute.«

      »Umso wichtiger, wenn sie erleben, dass man auch anders feiern kann.«

      Ich will ihm widersprechen, aber mir fällt ausnahmsweise nichts ein. Zumal ich an die Party denke, auf der ich mich nicht wohlgefühlt habe. Mandy war so aufgedreht, Tom ... na ja. Wie wäre der Abend verlaufen, wenn alle dort einfach nur Musik gehört und sich nett unterhalten hätten? Dann wäre auch nichts beinahe Peinliches vorgefallen und ich müsste mich jetzt nicht schämen wegen etwas, das nur in Kims Fantasie passiert ist. Gar nicht vorstellbar, eine Party ohne Alkohol. Hm. Warum eigentlich nicht? Warum ist das eigentlich so ungewöhnlich, dass es nahezu revolutionär klingt?

      »Raclette ist öde«, murmelt jemand.

      »Dann müssen wir das aber gleich dieses Wochenende machen«, meinen ein paar andere. »Bevor der Schnee wieder weg ist.«

      »Und nachher eine Glüh-Party ohne glüh«, werfe ich in den Raum.

      »Hä?«, rufen einige.

      Ich fühle mich gerade angenehm revolutionär, als sich Daniels Finger mit meinen verschränken.

      »Wie geht es deiner Schwester?«, frage ich leise. Nicht, um das Thema zu wechseln, wie man glauben könnte, sondern damit er weiß, dass ich ihn und seine Probleme nicht vergessen habe.

      Daniel schüttelt den Kopf. »Keine Veränderung«, flüstert er.

      Natürlich. Wenn es anders wäre, hätte er es mir längst erzählt. Dabei haben wir doch so intensiv gebetet! Ich auch. Nur weiß er nichts davon. Er glaubt, dass ich ohne ihn sehr viel Spaß hatte. Es ist nicht fair, dass er sich jetzt auch noch mit dieser Sache beschäftigen muss, mit Kims Lüge, die Kreise zieht. Ganz und gar nicht fair.

      Schlimmer kann es nicht mehr kommen, doch es wird noch schlimmer. Denn nachher hält Tine auf mich zu und stellt eine einzige Frage, die eigentlich die schlimmste Frage von allen ist.

      »Hast du es ihm gesagt?«

      Sie schaut dabei nicht mich an, sondern Daniel, der neben mir steht. Ich steh im Moment auch irgendwie neben mir.

      »Daniel weiß alles, ich hab keine Geheimnisse vor ihm«, sage ich und packe seine Hand, um ihn schleunigst von hier wegzuziehen. Leider kann ich nicht verhindern, dass sie mir nachruft: »Das hat er echt nicht verdient, und du weißt das!«

      Der Himmel draußen ist sternenklar. Die Luft ist so kalt, dass unser Atem feine Wölkchen bildet. Bis zu unserem Haus sind es nur ein paar Schritte, deshalb gehen wir nicht auf unsere Haustür zu, sondern über den Parkplatz.

      »Ich war nicht betrunken«, sage ich, doch noch während ich es sage, kommen mir plötzlich Zweifel. Ich hab schon was getrunken, am letzten Samstag, nur dachte ich, es wäre ohne Alkohol. Was, wenn doch was drin war? Bin ich deshalb mit Tom zusammen umgefallen? Reichte ein kleiner Anstoßer von Kim, um mich in den Schnee zu werfen, weil ich wackelig auf den Beinen war? Bin ich am Ende doch beschwipst gewesen und deshalb kam es mir verlockend vor, Tom zu küssen?

      »Es hat überhaupt nichts zu bedeuten, dass ich Tom getroffen habe. Wir haben uns bloß unterhalten. Kim war da und meinte, sie hätte gesehen, dass da zwischen uns was läuft, aber du weißt, dass das Quatsch ist.«

      »Ja«, sagt Daniel leise. »Natürlich weiß ich das.«

      Ich spüre seinen Körper durch die dicken Jacken, als er mich an sich drückt. Sein Gesicht ist warm, sein Atem streift meine Haut. Plötzlich fühle ich mich so verliebt, dass mir schwindlig wird. Ich klammere mich an ihn und küsse ihn. Küsse ihn und küsse ihn und küsse ihn. Ich kann gar nicht mehr damit aufhören. Ich merke nicht, dass ich atme. Dass mein Herz schlägt. Dass die Stimmen der anderen laut werden, als sie auf den Parkplatz kommen. Dass sich Wolken über die glitzernden Sterne schieben. Ich weiß nur, dass ich Angst hatte und dass diese Angst sich langsam, während wir uns küssen, auflöst wie Schneeflocken auf brennender Haut.

      »Oh nein«, stöhnte Finn. »Hat der Typ Nerven, seine Gang mitzubringen.«

      Daniel stimmte ihm innerlich zu. Hatte Bastian doch tatsächlich seine Jungs zum Rodelhügel mitgeschleppt. Kein Wunder, dass ein paar Hopis irritiert reagierten und tuschelten. Eins der Mädchen sagte recht laut: »Oh nein, seht euch die an.«

      Bastian alleine, so wie am Donnerstag, das war etwas anderes, denn in der Jugendgruppe war er in der Unterzahl. Doch mit seinem bedrohlich dreinblickenden Gefolge ... Sie wirkten wie ein ganzes Rudel, dabei waren sie nur zu sechst.

      Es kostete Daniel einiges, freundlich zu lächeln. »Hey, Kumpel.«

      »Na, Alter!« Bastian klopfte ihm gut gelaunt auf die Schulter, und Daniel biss sich auf die Zunge, um nicht mit der Frage herauszuplatzen, warum sein Freund diese grimmig dreinblickenden Typen alle zum Rodeln verdonnert hatte. Natürlich waren Gäste bei einem Hopi-Treffen willkommen, auch solche von zweifelhaftem Charakter. Diese ja eigentlich besonders. Daniel war sich bewusst, dass Jesus auch Schläger liebte und er sie mit offenen Armen willkommen heißen sollte. Doch das Problem war nicht so sehr, dass Bastians Freunde brutal aussahen, sondern dass Daniel am eigenen Leib hatte erfahren müssen, wie es war, gnadenlos zusammengeschlagen zu werden. So lange war es noch gar nicht her. Es war schwer genug gewesen, Bastian zu verzeihen – und der war aufrichtig zerknirscht gewesen. Diese Jungs jedoch, die mit den Füßen im Schnee scharrten wie ungeduldige Rennpferde, wirkten alles andere als zerknirscht.

      Michael begrüßte jeden gleichermaßen freudestrahlend. »Wir haben gar nicht genügend Schlitten für alle, aber zur Not rutscht es sich auch auf Plastiktüten«, meinte er fröhlich. »Toll, dass ihr gekommen seid. Ich bin der Michael.«

      »Alf«, stellte Bastian vor. »Jackson. Das da sind unsere beiden Nicks. Philipp, gib Michael die Hand.«

      Es ist von Vorteil, dass unser Jugendleiter so groß ist, dachte Daniel. Das macht ihn in den Augen dieser Jungs hoffentlich zu einer