Franziska Dalinger

Narzissen und Chilipralinen


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zog ihn am Arm zur Seite. »Wollen wir nicht fahren? Die Bahn ist gerade frei.«

      Unter ihrer dicken Wollmütze lugten ihre Haare hervor und rahmten ihr Gesicht ein. Ihre Augen glänzten. Er küsste sie auf die rote Nasenspitze. Bei solchen Gästen war es bestimmt besser, wenn man gleich deutlich machte, zu wem dieses hübsche Mädchen gehörte.

      »Möchtest du lieber gehen, wenn die hier sind?« Natürlich merkte sie, wie er die Fremden beobachtete, wie angespannt er war.

      »Nein«, sagte er. »Bastian ist mein Freund. Das setze ich nicht aufs Spiel. Ich hab keine Angst vor diesen Typen.« Er blickte zu den Jungen hinüber. »Trotzdem hätte ich jetzt gerne Wunderkräfte, um sie alle zusammen zu verprügeln. Aber sag das bloß keinem. Ich versuche gerade, meine ganze Nächstenliebe zusammenzukratzen. Ich hoffe, sie reicht.«

      »Klar tut sie das«, meinte Miriam zuversichtlich. Sie lachte ihn an. Da war so ein wunderbares Strahlen in ihrem Gesicht, und die Schatten der vergangenen Tage schienen verflogen. Doch obwohl sie offenbar keine Zweifel daran hatte, dass er es fertigbringen würde, seine Feinde zu lieben, wollte er ihnen lieber davonfahren. Er schob den Schlitten in die richtige Position. Die Bahn sah gut aus. Der Schnee, auf der Wiese noch dick und weich, war hier bereits festgefahren und spiegelglatt.

      »Schnell, bevor sie uns sehen«, sagte er.

      Doch zu spät. Die Jungs hatten ihn trotz der winterlichen Vermummung erkannt. Einer der Nicks pirschte sich heran und schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter. Jackson grinste. Daniel grinste zähnefletschend zurück; das musste genügen.

      »Ey, Mann, leihst du uns mal den Schlitten?«

      »Klar«, sagte er, »aber zuerst fahre ich mit meiner Freundin.«

      Er stieß sich ab, und der Schlitten gewann rasch an Fahrt.

      Miriam schlang die Arme um ihn, während sie den Hügel hinabsausten. Aber es gab Erinnerungen, die auch der schönste Kuss am perfektesten Wintertag nicht auslöschen konnte, und die ganze Zeit über, während er den Schlitten wieder den Hang hinaufzog, kämpfte er mit seinem Groll. Jackson streckte verlangend die Hand nach dem Schlitten aus, als hätte er ein Recht darauf, der Mistkerl. »Fährst du mit mir, Messie?«, fragte er und setzte dabei ein Grinsen auf, das er wohl für unwiderstehlich hielt.

      »Nein danke.« Miriam blieb äußerst liebenswürdig.

      Daniel dachte darüber nach, den Typen einzuseifen, aber da sprang Michael zu Jackson auf den Schlitten, und gemeinsam rasten sie bergab.

      »Wartet auf uns!«, schrie Sonja und fuhr mit Angelika hinterher.

      »Ich brauch noch einen Mitfahrer!«, rief Bastian, packte schließlich Tine und zog sie zu seinem Gefährt.

      »Ich hätte nicht gedacht, dass sie jemanden wie ihn auch nur mit den Fingerspitzen anfassen würde«, staunte Miriam. Tine kreischte, während sie an den anderen Schlitten vorbeibrausten und in einer Schneewehe landeten, in der schon die beiden Nicks steckten. Mit rotem Gesicht stiefelte sie den Hang wieder hoch, hinter ihm her, und dann fuhren sie noch mal. Ihre Augen leuchteten, sie lachte.

      »Die ist ja wie ausgewechselt. Keine gehässigen Blicke heute?«

      »Was hast du eigentlich für ein Problem mit Tine?«, wollte Daniel wissen, während er den Schlitten aus dem Loch herauszog, in dem sie beide gelandet waren. »Ich finde sie nett.«

      »Nett? Die?« Miriam schüttelte fassungslos den Kopf. »Die tut ständig so von oben herab.«

      Gut, Tine gehörte nicht zu den Leuten mit einem Dauergrinsen, aber das fand Daniel nicht schlimm. Sie kritisierte gerne, aber darin stand Miriam ihr in nichts nach. Im Grunde fand er, dass die beiden recht viel gemeinsam hatten, aber er hütete sich natürlich, das laut auszusprechen. Manchmal nervte es ihn ziemlich, dass Miriam an allen Hopis etwas auszusetzen hatte, aber an diesem schönen Nachmittag wollte er nicht streiten.

      Die kalte Luft und die Anstrengung färbten die Gesichter rot. Sogar die Gangster, die am Anfang so cool gewesen waren, wurden merklich lockerer. Dominik, der größere der beiden Nicks, lachte sogar, während er vom Schlitten in den Schnee rollte.

      »Tine ist heute so ungewöhnlich glücklich«, überlegte Miriam, die das andere Mädchen immer noch beobachtete.

      »Vielleicht ist das ja die echte Tine«, meinte Daniel. Er hatte das Gefühl, dass hier im Schnee alle lockerer wurden. Man konnte sich buchstäblich fallen lassen, in die dicke, weiche Schneeschicht. Bastian und Michael rollten im Spaß raufend die Anhöhe hinunter. Ein paar der Mädchen wagten sich vorsichtig an Philipp heran, der von allen vermutlich am besten aussah – Daniel war sich nicht sicher, ob er das als Junge überhaupt beurteilen konnte. Doch leider war Philipp auch der Schweigsamste, und erst als Jackson erschien, erklang das Gekicher eines ganzen Trupps Mädchen bis oben auf die Hügelkuppe.

      Daniel küsste Miriam ein paar Schneespuren aus dem Gesicht, als ihn ein Schneeball traf.

      »Attacke!«, schrie Alf. »Auf sie!«

      Im Handumdrehen hatte sich die Strecke in ein Schlachtfeld verwandelt.

      »Wehrt euch!«, riefen Willi und Finn, die Anführer der Hopis.

      Michael schlug sich unverzüglich auf die Seite der Gäste, was Daniel klug fand. Fremde gegen Hopis – nein, das hätte der Gemeinschaft gar nicht gut getan. Er atmete tief durch, dann traf er seine Entscheidung.

      »Komm!«, rief er Miriam zu. »Dorthin, nach links!«

      Sie rannten geduckt durch den Schneehagel zu Bastian und den anderen, die sie johlend begrüßten. Immer mehr Bälle flogen durch die Luft. Während Daniel hastig eine Schneekugel nach der anderen formte, war er sich der Gegenwart der beiden Nicks, die rechts und links von ihm Stellung bezogen, nur zu sehr bewusst.

      »Treffer!«, schrie Niklas, während Dominik ein wortloses Geheul anstimmte.

      »Wir gewinnen!«, rief Michael.

      »Gar nicht!«, schrie Tine von der anderen Seite und erwischte Bastian voll ins Gesicht. Die Gruppe der Kichermädchen konzentrierte sich auf Philipp und Jackson, die plötzlich aufsprangen und hinüberrannten, um ein allgemeines Einseifen zu beginnen. Eine Weile herrschte das reine Chaos, und Daniel fand sich im Gerangel mit Alf wieder.

      »Du hast ne hübsche Freundin«, sagte Alf.

      »Von der du gefälligst die Finger lässt.«

      »Klar doch. Ich mein ja nur. Sie ist gerade dabei, die beiden Nicks fertig zu machen.«

      Daniel riskierte einen Blick zur Seite, um diese unwahrscheinliche Behauptung zu überprüfen, und bekam prompt eine neue Ladung Schnee ins Gesicht.

      »Eins zu Null!«, schrie Alf.

      »Na warte!«

      Während er ihm mit Vergnügen Schnee ins Gesicht schmierte und es mit gleicher Münze heimgezahlt bekam, merkte er zu seiner eigenen Überraschung, dass sein Lachen echt war.

      »Ich glaub, jetzt reicht es«, sagte Michael, während sie alle ermattet im Schnee lagen. »Wir fahren noch einmal runter, und dann ab in die Autos und ins Warme. Bald ist es so dunkel, dass man nichts mehr sieht.«

      Die ersten Schlitten brachen auf. Es gab keine Trennung mehr in Gäste und Hopis, alles war wie durchgemischt. Dann ein Schrei und lautes Schimpfen.

      »Mann, willst du, dass ich mir den Hals breche?«, fauchte Tine.

      Auf einmal war unten am Hügel ein Gewühl aus Schnee und Schlitten, Armen und Beinen. Prustend und immer noch lachend arbeitete sich Bastian aus einem Gebüsch heraus, in das mehrere ineinander verkeilte Schlitten gerast waren. Mit ausdruckslosem Gesicht trennte Alf eine einzelne Kufe von einem knorrigen Ast. Die beiden Nicks betrachteten betrübt die Überreste ihres Gefährts.

      »Ich hoffe, das war nicht unser Schlitten?«, fragte Miriam erschrocken. »Meine Geschwister machen Hackfleisch aus mir.«

      »Nein,