Bruno Kern

Die bedeutendsten Grabreden


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      Es ist paradox: Gerade da, wo menschliches Fassungsvermögen an seine deutlichste Grenze stößt, entfaltet die sprachliche Gestaltungskraft häufig in besonders eindrucksvoller Weise ihre Fähigkeiten. So sind gerade Grabreden oftmals Höhepunkte der Rhetorik. Dies gilt von den hier ausgewählten Reden in besonderem Maß etwa für Daniel Casper von Lohensteins Abdankung für Hofmann von Hofmannswaldau, für die „Oraisons funèbres“ des französischen Bischofs Jacques-Bénigne Bossuet, der seine Bedeutung ja weniger als Theologe denn vielmehr als Klassiker der französischen Literatur erlangt hat, für Ludwig Börnes Denkrede für Jean Paul oder auch für Karl Kraus’ Rede am Grabe Peter Altenbergs. Aber auch das genaue Gegenteil lässt sich beobachten! Nicht selten nehmen Totenreden, Nekrologe, Predigten und säkulare Gedenkreden Zuflucht ins Klischee, ins hohle Pathos, manchmal auch in gefährliche Demagogie. Auch hierfür finden sich in diesem Band einige Beispiele. Dazu zählen etwa die Beschwörung von fragwürdigen patriotischen Tugenden in der griechischen Antike (in der „Leichenrede der Aspasia“ nicht ohne ironisierende Absicht dargestellt), die „bestellte“ Rede für Ludwig van Beethoven und natürlich Versatzstücke einer bestimmten Form von christlicher Frömmigkeit. Letztere habe ich hier durch die Aufnahme einer „Modellpredigt“ aus einer Handreichung für professionelle Verkündiger des christlichen Glaubens exemplarisch deutlich zu machen versucht. Als „Antidot“ dazu seien die „Leichenreden“ des schweizerischen reformatorischen Dichterpfarrers Kurt Marti wärmstens empfohlen, der gerade aus einer tiefen Gläubigkeit heraus solche Klischees im wahrsten Sinn des Wortes durchkreuzt. Das hört sich dann etwa folgendermaßen an:

      dem herrn unserem gott

      hat es gar nicht gefallen

      dass gustav e. lips

      durch einen verkehrsunfall starb

      erstens war er zu jung

      zweitens seiner frau ein zärtlicher mann

      drittens zwei kindern ein lustiger vater

      viertens den freunden ein guter freund

      fünftens