Lars Hoffmann

Die bedeutenden Historiker


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am Ende eben dieser Entwicklung: Er ist nämlich der Gewährsmann für den Peloponnesischen Krieg (431-404 v. Chr.), an dem er selbst, wenn auch wenig erfolgreich, aktiv beteiligt war und der der Dominanz Athens innerhalb der griechischen Stadtstaaten ein Ende bereiten sollte.

      Geboren wurden Thukydides, über dessen Leben nur wenig sichere biographische Daten vorliegen, um das Jahr 460 v. Chr. in Athen, genauer gesagt in dem attischen Demos Halimos unweit der Stadt. Sein Vater trug den Namen Oloros, der für Könige des nordgriechischen Thrakien belegt ist, und aller Wahrscheinlichkeit nach war seine Familie im Zug der griechisch-persischen Auseinandersetzungen nach Attika gelangt. Über sich selbst spricht Thukydides an vier Stellen seines Geschichtswerks. Zunächst sagt er in Buch I 1.1, dass er Athener sei, um nun über jenen großen Krieg zwischen seiner Heimatstadt und den Spartanern zu schreiben, der der wichtigste und bedeutendste sei, der jemals stattgefunden habe. In seiner Einschätzung stehen diese Ereignisse also noch über Herodot und dem griechisch-persischen Krieg. In Buch V 26.1 heißt es, er wolle nunmehr zu den Vorgängen der Jahre nach 421 v. Chr. kommen, um die einzelnen Etappen der Auseinandersetzung der Reihe nach zu schildern, wie sie sich Sommer für Sommer und Winter für Winter bis zum Jahr 404 v. Chr. ereignet hätten, als es den Spartanern gelang Athen und den Piräus zu besetzen. Insgesamt habe sich dieser Krieg mit diversen Unterbrechungen über 27 Jahre hin erstreckt. Über seine kurze eigene Beteiligung gibt Buch V 26.5 Auskunft. Im Jahr 424 v. Chr. war Thukydides zum Strategen (Feldherrn/Oberkommandierenden) für die nördliche Ägäis ernannt worden, wo er in Thrakien, der vermeintlichen Heimat seiner Familie, Posten bezog. Im Jahr 422 v. Chr. kam es nun bei der Stadt Amphipolis an der Mündung des Strymon in das Mittelmeer zu einer von den Spartanern unter ihrem Feldherrn Brasidas überraschend begonnenen Schlacht mit den Athenern unter Kleon, die mit dem Tod beider Generäle, aber auch mit dem Verlust von Amphipolis für die Athener endete, und mit dem sog. Nikiasfrieden (Thukyd. V 17-19) zu einem längeren Waffenstillstand führte. In Athen machte man jedoch Thukydides für diese Niederlage verantwortlich, da seine Flotte einige Stunden zu spät vor Amphipolis eingetroffen war. Als Folge wurde er für 20 Jahre aus Athen verbannt, wobei nicht genau bekannt ist, ob Thukydides nicht doch früher zurückkehren durfte, wie einige behaupten. Jedenfalls akzeptierte er das Urteil der Volksversammlung und beurteilte die nun folgende Phase für sich selbst durchaus als positiv, da er nunmehr die Gelegenheit dazu habe, sich genauer mit den Ereignissen zu befassen. So nutzte er die Zeit nach seinem erzwungenen Ausscheiden aus dem politischen Dienst zu längeren Reisen, die ihn auf die Halbinsel Peloponnes und nach Sparta brachten, aber auch nach Sizilien und zu einer ganzen Reihe von Kampfplätzen des Peloponnesichen Krieges. Der vierte autobiographische Beleg in seinem Werk findet sich in Buch II 48.3. Dort berichtet er über eine Epidemie, die im Jahr 430 v. Chr. in Athen ausbrach, vermutlich eine Form der Pest, an der Thukydides auch selbst erkrankte.

      Über seine historische Methode äußert sich Thukydides in Buch I 22.1: Im Gegensatz zu anderen Autoren – womit in erster Linie Herodot gemeint sein könnte – will er nicht nur Zeugnisse aneinanderreihen, die ihm sozusagen jedermann berichtet habe. Vielmehr wolle er das Gehörte genau prüfen und abwägen, um auf diese Weise einen möglichst objektiven Bericht der Ereignisse zusammenzustellen, und zwar so, wie er sie für objektiv und damit auch für wahr hielt. Was er inhaltlich auslässt, verschweigt er indessen. Dies gilt in derselben Weise auch für seine Quellen, die er nicht namentlich anführt und die heute nicht mehr erkennen lassen, ob es sich dabei um einen vollständigen Text bzw. Bericht handelt oder nur um einen Auszug daraus, der das geflissentlich übergeht, was den Meinungen des Thukydides zuwider lief – aber eine solche Kritik ist nur aus einem modernen Bewusstsein heraus verständlich. Wie es Thukydides selbst zum Ausdruck bringt, geht es ihm in seinem Werk vor allem darum, den langwierigen Krieg zu verstehen, und immer wieder wägt er scheinbar ab, bevor er zu einem historiographischen Urteil gelangt.

      Das Werk, das im Original keinen Titel trägt und mit den Ereignissen des Jahres 411 v. Chr. sehr unvermittelt abbricht, besitzt jedoch eine klare Struktur. Buch I behandelt nach einführenden Bemerkungen die Entstehung und die Ursachen des Krieges, während die Bücher II bis V dem sog. Archidamischen Krieg der Jahre 431-421 v. Chr. gewidmet sind, benannt nach dem spartanischen General und König Archidamos II. Der bereits erwähnte Nikiasfriede der Jahre 421 bis 416 v. Chr. ist Inhalt der Bücher V bis VI, während sich die für Athen so verlustreiche sizilische Expedition (415-413 v. Chr.) in den Büchern VI und VII findet. Buch VIII bricht am Anfang des Dekeleisch-Ionischen Krieges (414/413-411 v. Chr.) ab, der sich nach dem von Thukydides dargestellten Zeitraum noch bis zum Jahr 404 v. Chr. hinziehen sollte.

      Über die Gründe dafür, warum sein Werk hier endet, das der Historiker Xenophon in seinen Hellenika fortsetzen sollte, kann man nur spekulieren. Am plausibelsten wäre es wohl, auch den Tod des Thukydides in diese Zeit zu setzen, doch sprechen inhaltlich Kriterien dafür, dass er noch im Jahr 397 v. Chr. mit der Redaktion seiner Monographie beschäftigt war. Infolgedessen setzt man seinen Tod etwa in die Jahre 399 bis 397 v. Chr. Wahrscheinlich ging er auch erst nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges 404 v. Chr. daran, sein Geschichtswerk aus seinen persönlichen Beobachtungen und Notizen heraus zusammenzustellen, um in dieser Arbeit durch seinen Tod jäh unterbrochen zu werden.

      Allerdings ist die Darstellung des Thukydides auch angreifbar, denn an zahlreichen Stellen seines Werkes lässt er teils längere, teils kürzere Reden einfließen, die in der berichteten Form sicherlich niemals gehalten worden sind und die in einer Art Selbstreflexion des Feldherrn oder des politischen Führers dazu dienen, die genauen Beweggründe dafür darzulegen, warum es nun zu dieser oder jener Folgehandlung kommen muss. In Wahrheit handelt es sich aber gerade dabei um ureigene Gedanken des Thukydides, die er auf diese Weise geschickt in sein Werk integriert, sich aber als deren Urheber verbirgt, da er sie einem anderen in den Mund legt. Dies wirft aber nun die Frage auf, wie glaubwürdig Thukydides überhaupt ist – und ob er nicht auch an anderen Stellen durch eine geschickte rhetorische Überblendung die Ereignisse so darstellt, wie nur er sie sah und wie er sie gerne hätte. Er sagt zwar selbst einschränkend, dass er Reden einfügt, wie sie gehalten worden sein könnten, doch ging dieser Aspekt in der Rezeption solcher Textpassagen verloren.

      Trotz dieser Kritik gebührt Thukydides ein sehr hoher Stellenwert innerhalb der Historiographie, den ihm bereits die antiken Autoren zugestanden. Im Vergleich etwa zu Herodot zeugt sein Werk von dem immensen Aufschwung, den die Literatur in jenen langen Friedensjahren nach 479 v. Chr. nehmen konnte, und davon, wie sich eine städtische Kultur mit einer ausgefeilten rhetorischen Praxis entwickelte, die einen massiven Einfluss auf neue literarische Gattungen wie etwa die Historiographie nahm. Im Sinne einer guten Darstellung übernahm Thukydides dabei auch Elemente aus dem antiken Drama, etwa im Melier-Dialog, was ihn alles in allem zu einem der wichtigsten Musterautoren der folgenden Jahrhunderte machte. Noch im höheren Rhetorikunterricht der Byzantiner lernte man Geschichte im Stil des Thukydides zu schreiben, und auch im westlichen Europa schätzte man den Text sehr, der 1452 von dem römischen Humanisten Lorenzo Valla aus dem Griechischen ins Lateinische als Ausgangspunkt für die Übertragungen in die anderen großen europäischen Sprachen übersetzt wurde.

      Ausgabe:

      Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges. Griechisch-deutsch. Übersetzt und mit einer Einführung und Erläuterung versehen von G. P. LANDMANN. I-II. München 1993 (Sammlung Tusculum).

      Weiterführende Literatur:

      W. WILL, Thukydides und Perikles. Der Historiker und sein Held. Bonn 2006.

      K. I. L. SOMMER, Techne und Geschichte. Eine diskursgeschichtliche Studie zu Thukydides. Bonn 2006.

      H. SONNABEND, Thukydides. Darmstadt 2004.

      W. SCHADEWALDT, Die Anfänge der Geschichtsschreibung bei den Griechen. Herodot, Thukydides. Frankfurt a. M. 1992, S. 221-396.

      Xenophon

      Der um das Jahr 426 v. Chr. in Athen geborene Xenophon erweist sich mehr als sein Vorgänger Thukydides durch die politisch-rhetorische Praxis der athenischen Sophistik geschult und verstand es daher, in seinen Werken nicht nur eine einzige literarische Gattung zu bedienen. Dabei lassen seine historiographischen Werke erkennen, dass er nicht so sehr ein um Objektivität oder um ein sicheres Urteil