Lars Hoffmann

Die bedeutenden Historiker


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der Ereignisse ging, die ihn persönlich betrafen.

      Xenophon, der im Rahmen des Peloponnesischen Krieges vermutlich der athenischen Reiterei angehörte, entstammte einer konservativen Familie seiner Heimatstadt, zog jedoch den strengen Geist Spartas der attischen Demokratie vor. Als Schüler des Sokrates (469-399 v. Chr.) folgte er im Jahr 402/401 v. Chr. dem Rat seines Lehrers, um im sog. Zug der Zehntausend, einem griechischen Söldnerheer, den persischen Thronprätendenten Kyros gegen dessen Bruder Artaxerxes II. im Kampf um die Königsherrschaft zu unterstützen. Zwar verlief die Unternehmung durchaus erfolgreich, doch nach dem Tod des Kyros in der Schlacht bei Kunaxa (401 v. Chr.) unweit des modernen Bagdad verlor der Söldnertrupp seinen eigentlichen Zweck. Xenophon selbst wirkte zunächst nur als Kriegsberichterstatter mit. Nach dem Tod des Kyros kam es jedoch zu Verhandlungen mit den Persern, bei denen die griechischen Offiziere hinterrücks umgebracht wurden. Für das verbliebene Heer ergab sich nun die Notwendigkeit, möglichst rasch in die Heimat zurückzukehren. Dabei gelang es Xenophon, das nach dem Mord an seinen militärischen Führern verzweifelte griechische Heer moralisch wieder aufzurichten, um es nun gemeinsam mit dem aus Sparta stammenden Cheirisophos zum Schwarzen Meer und von dort aus in die Heimat zurückzuführen. Das literarische Werk, in dem er die mühsame, letzten Endes aber erfolgreiche Rückführung der Griechen beschrieb, trägt den Titel Anabasis (dt. Aufstieg). Dabei handelt es sich in erster Linie um eine Autobiographie mit einer ganzen Reihe von erzählerischen Momenten – wenn auch eindeutig historiographische Züge nicht fehlen. Denn sehr wohl wird auch über die Vorgänge am persischen Hof berichtet, die eine solche Mitwirkung von griechischer Seite überhaupt erst möglich gemacht hatten.

      Zurück in seiner Heimat weigerte sich Xenophon, gemeinsam mit seinem Söldnerheer im neu entflammten griechisch-persischen Konflikt gegen die Perser zu ziehen. Aus diesem Grund wich er nach Sparta aus, wo er sich dessen König Agesilaos II. (444-360/359 v. Chr.) anschloss. Im Jahr 394 v. Chr. kämpfte Xenophon bei der Schlacht von Maroneia folgerichtig auf der Seite Spartas, was ihm spätestens zu diesem Zeitpunkt die Verbannung aus Athen einbrachte. Im Gegenzug räumte ihm Agesilaos jedoch die rechtliche Stellung eines Staatsgastes in Sparta ein, wo er mehr als 20 Jahre lang in der Nähe von Olympia ein Landgut bewirtschaftete. Die Niederlage Spartas gegen die Thebaner unter Epaminondas im Jahr 371 v. Chr., der das als unbezwingbar geltende Heer seiner Gegner mit einer taktischen Neuerung, der sog. schiefen Schlachtordnung überwinden konnte, wirkte sich jedoch sehr zu Xenophons Ungunsten aus, da er nun aufgrund seiner früheren Verbannung aus Athen erneut fliehen musste. Allerdings ermöglichte es ihm schon bald darauf der politische Ausgleich der führenden griechischen Stadtstaaten in dieser Zeit, sich in Korinth niederzulassen, wo er auch starb. Sein Todesjahr ist nicht genau bekannt, es muss aber aufgrund inhaltlicher Kriterien in seinem letzten staatspolitischen Werk nach dem Jahr 355 v. Chr. angesetzt werden.

      Seine literarische Tätigkeit dürfte Xenophon erst nach dem Jahr 371 v. Chr. entfaltet haben. Von seinen 15 bekannten Werken kann neben der Anabasis vor allem ein weiteres für die Geschichtsschreibung in Anspruch genommen werden. Dabei handelt es sich um seine Hellenika, eine aus sieben Büchern bestehende Geschichte Griechenlands, die sich mit den Jahren 411 bis 362 v. Chr. beschäftigt. Sie setzt damit den Peloponnesischen Krieg des Thukydides fort und stellt sich so als ein Teil der sog. Historia perpetua dar, einer durchgängig bis zur osmanischen Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 aufgezeichneten Geschichte der griechischen Welt. Sicherlich gehört dieses Werk nicht zu den bedeutendsten Schriften Xenophons, der seine große Popularität in der Nachwelt mehr seinen sokratischen Schriften, der Kyropädie sowie der Anabasis verdankte. Offenbar wurde es in mehreren Etappen verfasst, und eine Endredaktion, die dem ganzen Text ein einheitliches Gepräge hätte verleihen können, blieb aus. Die beiden ersten Bücher führen in Stil und Aufbau durchaus dem Thukydides vergleichbar die Ereignisse des Peloponnesischen Krieges bis zu seinem Ende aus, worauf der Bericht über die tyrannische Herrschaft der 30 Oligarchen in Athen (404-403 v. Chr.) und die daran anschließende Restitution der attischen Demokratie folgt. Die Bücher III bis VII setzen zunächst mit Xenophons Anabasis ein, um von dort ausgehend eher kursorisch die allgemeine politische Entwicklung vom Jahr 403 bis zum Jahr 362 v. Chr. und der zweiten Schlacht von Mantineia darzulegen. Seinerzeit standen sich die Böoter unter Epaminondas auf der einen sowie Sparta und Athen auf der anderen Seite gegenüber. Diese Auseinandersetzung, bei der Epaminondas sein Leben ließ, endete mit einem militärischen Patt und führte zum Abschluss eines allgemeinen Friedens, der sämtlichen Stadtstaaten in Griechenland den gleichen Rang einräumte. Keine Polis war also dazu in der Lage, eine Vormachtstellung zu erreichen oder die politischen Verhältnisse grundlegend neu zu ordnen, ein Zustand, der später dem Vordringen der Makedonen unter König Philipp II. und dem Scheitern der Demokratie einen wesentlichen Vorschub leistete.

      Was die Darstellung in den Hellenika angeht, ist es keinesfalls Absicht Xenophons gewesen, alle Ereignisse aufzuzeichnen, die ihm zugänglich waren. Dafür war seine Abneigung gegen Athen zu groß, das seiner Meinung nach seinen geschätzten Lehrer Sokrates mit einer erfundenen Klage umgebracht hatte, und dessen Demokratie er nur mit großem Misstrauen begegnete. Andererseits bringt er seine Sympathie für Sparta und dessen König Agesialos II., mit dem er sich freundschaftlich verbunden sah, offen zum Ausdruck. Weiterhin übergeht er einzelne Jahre, wenn dies dem Zweck seiner Darstellung entsprach. So hebt er die Freundschaft zwischen Athen und Sparta nach dem Jahr 371 v. Chr. sehr positiv hervor, während er eine ganze Reihe anderer Ereignisse, die ihn selbst nicht so sehr betrafen, einfach ausfallen lässt. Was für ihn in ganz besonderem Maße zählte, waren die Leistungen des militärischen Befehlshabers, d. h. Charakterstärke und persönliche Erfolge des Einzelnen standen für ihn über diplomatischen Erfolgen oder Vereinbarungen, die zwischen Stadtstaaten oder bestimmten Territorien getroffen wurden.

      Andere Werke Xenophons bieten ebenfalls historische Informationen, wie etwa sein Agesilaos. Allerdings steht in diesem Text in sophistischer Manier das Lob seines königlichen Freundes und Gönners im Vordergrund, während sich die historische Darstellung im Wesentlichen auf die zu Beginn geschilderte Biographie seines Helden beschränkt. Ähnliches gilt für seine Verfassung der Spartaner: Als Historiker gewinnt man aus dieser Quelle zwar wichtige Informationen über das lakedämonische (= spartanische) Staatswesen, auch wenn er dessen Entstehung auf einen legendären Gesetzgeber zurückführt, den es niemals gegeben hat. Doch Xenophons Anliegen ist es in erster Linie, auf diese Weise die besondere Stellung und die großen militärischen, auf persönlichem Einsatz beruhenden Leistungen Spartas zu begründen.

      Werke:

      Xenophon, Anabasis. Der Zug der Zehntausend. Griechisch-Deutsch. Hrg. u. übersetzt v. W. MÜRI u. B. ZIMMERMANN. München 1990.

      Xenophon, Hellenika. Griechisch-deutsch. Hrg. von G. STRASBURGER. München 1970.

      Weiterführende Literatur:

      Chr. MUELLER-GOLDINGEN, Xenophon. Philosophie und Geschichte. Darmstadt 2007.

      O. STOLL,1 bis 29

      Gemeinschaft in der Fremde. Xenophons Anabasis als Quelle zum Söldnertum im Klassischen Griechenland?, in: Göttinger Forum f. Altertumswissenschaft 5 (2002) 123–183.

      B. SCHIFFMANN, Untersuchungen zu Xenophon. Tugend, Eigenschaft, Verhalten, Folgen. Göttingen 1993.

      R. NICKEL, Xenophon. Darmstadt 1979.

      Polybios

      Polybios wurde um das Jahr 200 v. Chr. in der arkadischen Stadt Megalopolis auf der Peloponnes geboren. Sein Vater Lykortas, zeitweilig einer der Generäle des Achaiischen Bundes, einer aus zehn bzw. zwölf Städten der Landschaft Achaia zur gegenseitigen Unterstützung gebildeten Zweckgemeinschaft, die sich in einer früheren Phase gegen die Vormachtbestrebungen Philipps II. von Makedonien gebildet hatte, gehörte im Vorfeld des Dritten Makedonischen Krieges (173-168 v. Chr.) der romfeindlichen Partei an. In diesem Krieg setzten sich die verbündeten Griechen gemeinsam mit den Makedonen gegen die römische Invasion ihrer Heimat zur Wehr, doch scheiterte das alliierte Heer, das unter dem Oberbefehl des Makedonen Perseus stand, endgültig bei der Schlacht von Pydna im Jahr 168 v. Chr. Polybios selbst wirkte bei diesen Kämpfen als Hipparchos (Reiterkommandant) mit, er hatte