Lars Hoffmann

Die bedeutenden Historiker


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großer politischer Wirren mit dem Prinzipat des Augustus ein geeignetes Klima für die Entwicklung von Kunst und Literatur entstehen ließ. Livius war keineswegs der einzige Literat, der von dieser neuen Situation profitieren konnte, wenngleich wir nicht wissen, ob er auf diese Weise einen hinreichenden Lebensunterhalt für seine Familie und sich erwirtschaften konnte. Gleichwohl sind als Beweis für eine solche Tätigkeit auch philosophische Dialoge belegt, die Livius geschrieben haben soll, die sich jedoch nicht erhalten haben.

      Sein monumentales Geschichtswerk trägt den Titel Ab urbe condita, also [Geschichte des Römischen Reiches] von der Stadtgründung an, womit das legendäre Jahr 753 v. Chr. gemeint ist, in dem das Brüderpaar Romulus und Remus Rom gegründet haben soll. Während seiner Lebenszeit konnte er 142 Bücher Abschließen. Da der Text jedoch sehr unvermittelt mit dem Tod des Nero Claudius Drusus, des Feldherrn und Neffen des Augustus endet, ist wohl davon auszugehen, dass Livius noch weitere Bücher zu schreiben beabsichtigte. Die innere Gliederung des Stoffes legt dabei nahe, dass er womöglich an eine Gesamtzahl von 150 Büchern römischer Geschichte gedacht hatte. Erhalten sind jedoch nur 35 Bücher sowie eine Reihe von Auszügen und Zitaten in anderen Werken. Vollständig überliefert sind dabei die Bücher I-X mit der römischen Frühgeschichte sowie XXI-XLV (Buch XLI nur partiell) für die Jahre 218-167 v. Chr. Daneben liegen Fragmente der Bücher XCI und CXX vor. Über die verlorenen Textabschnitte gibt am besten die sog. Periochae Auskunft, eine im 4. Jh. n. Chr. entstandene Inhaltsgabe des gesamten Geschichtswerks, in der nur die Bücher CXXXVI und CXXXVII fehlen. Die Zuverlässigkeit der Periochae lässt sich dabei anhand von Inhaltsangaben zu insgesamt 14 Büchern überprüfen, die über andere Autoren erhalten blieben. Was die Überlieferungslage dieses schon in der römischen Kaiserzeit sehr beliebten Werkes angeht, das komplett von der Papyrusrolle in die Buchform übertragen wurde, dürften sich einzelne vollständige Texte bis zum Beginn des frühen Hochmittelalters hinein erhalten haben. Erst im 10. bzw. 11. Jahrhundert muss die Handschriftentradition für den gesamten Text abgebrochen sein: Die christlichen Kopisten waren offenbar nur noch an der römischen Frühgeschichte interessiert, für die allerdings Livius auf andere historiographische Quellen hatte zurückgreifen müssen.

      Allem Anschein nach hat Livius selbst sein Geschichtswerk in Einzelabschnitten konzipiert, die er nach Fertigstellung auch jeweils veröffentlichte. Die Bücher I-V entstanden wohl vor dem Jahr 25 v. Chr., während er die Bücher VI-X noch vor 20 v. Chr. publizierte. Über die Periochae wissen wir außerdem, dass die Bücher CXXI-CXLII erst nach dem Tod des Augustus im Jahr 14 n. Chr. vorgelegt wurden, obwohl sie bereits früher abgeschlossen gewesen sein sollen. Als inneres Gliederungsschema legte Livius seinem Werk Pentekaidekaden (das griechische Wort für 15), also aus jeweils 15 Büchern bestehende Abschnitte zugrunde, was auch eine entsprechende, durch 15 teilbare Gesamtzahl an Büchern erwarten ließe. Diese größeren Abschnitte unterteilte er wiederum in drei Partien mit jeweils fünf Büchern. Somit umfassen die Bücher I-V die Phase von der legendären Gründung bis zum sog. Galliersturm im Jahr 387 v. Chr. Die weitere römische Frühgeschichte bis zum Ausbruch des Ersten Punischen Krieges im Jahr 264 v. Chr. findet man mitsamt einer zweiten Vorrede in den Büchern VI-XV. Es folgen die Bücher XVI-XX mit dem Ersten (264-241 v. Chr.), die Bücher XXI-XXX mit dem Zweiten Punischen Krieg (218-201 v. Chr.) sowie die Bücher XXXI-XLV in jeweils drei Dekaden mit der Schilderung der römischen Kriege in den östlichen Nachfolgestaaten des Reiches Alexanders des Großen in den Jahren 201-167 v. Chr. Aufgrund des Textverlustes kann man für den folgenden Stoff nur partiell eine sachlich-inhaltliche Gliederung erkennen, etwa für die Bücher XCI-CV, die Gnaeus Pompeius Magnus gewidmet sind, oder die Bücher CXXI-CXXXV, die von dem Aufstieg Octavians zur kaiserlichen Macht berichten und mit der Schlacht von Aktion im Jahr 31 v. Chr. enden, nach der Octavian den Titel eines Augustus (griech. sebastós, dt.: der Erhabene) annahm. Was die eigenen politischen Vorlieben des Livius angeht, lassen sich aus seinem Werk jedoch nur noch Tendenzen ableiten, da für eine definitive Beurteilung dieser Frage wichtige Partien fehlen. Generell kann man jedoch sagen, dass er sich eher dem senatorischen Adel der römischen Republik verpflichtet sah als einer monarchischen Staatsverfassung, wie sie von Caius Iulius Caesar oder von Octavian durchgesetzt wurde. Und trotz seiner klar erkennbaren Zustimmung zu einzelnen politischen Entscheidungen Octavians, teilte er sehr wohl die gängige Ansicht, dass nach dem scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg und der enormen Ausdehnung der Römischen Reiches nunmehr auch mit einem Niedergang zu rechnen sei, was in der Institution des Prinzipats bereits angelegt sei. Diese Ausführungen lassen bereits erkennen, dass Livius ganz bewusst von der schlichten, an dem Jahresschema orientierten Darstellung seines Stoffs abweichen wollte. Vielmehr bildete er innerhalb seines Textes in sich abgeschlossene inhaltliche Blöcke. Dieses Konzept bot natürlich auch viel eher die Möglichkeit, solche Textstücke nach Fertigstellung zu veröffentlichen, ohne dass dafür das Gesamtwerk hätte vorgelegt werden müssen. Insgesamt passt er damit in seine Zeit, in der neue literarische Formen ausprobiert und entwickelt wurden, was nicht zuletzt mit dem steigenden Einfluss der griechisch-östlichen Kultur und Literatur zu tun hatte, eine Entwicklung, die besonders im 2. Jh. n. Chr. mit der sog. Zweiten Sophistik einen vorläufigen Höhepunkt erreichen sollte.

      Was die formale Ausgestaltung des livianischen Geschichtswerks angeht, lassen sich in seiner Darstellung bereits dramatische oder auch romanhafte Elemente festmachen. Seine jeweiligen Protagonisten versucht er möglichst plastisch zu beschreiben, indem er deren (angenommene) Gefühlswelt sehr genau wiedergibt, um aufzuzeigen, wie sie zu einzelnen Entscheidungen gekommen sind. Dasselbe gilt für seine fiktiven, psychologisch sehr geschickt aufgebauten Reden, die er seinen Helden in den Mund legt, und die, ganz im Stile des Thukydides, zumeist auch den beabsichtigten Erfolg nicht verfehlen. Gerade für solche Stilelemente wird er bereits in der römischen Literaturkritik der Folgezeit sehr gelobt und als nachahmenswertes Vorbild betrachtet. Deswegen versteht es sich auch von selbst, dass das Werk des Livius sprachlich weitschweifiger ausfällt als etwa die Schriften eines Caesar oder eines Sallust, die sich nicht so sehr der literarisch gelungenen Ausführung ihrer Werke verpflichtet sahen als vielmehr einer präzisen, nüchternen Darstellung des Geschehenen – ohne damit jedoch deren literarischen Wert anzweifeln zu wollen. Mit den neuen politischen Verhältnissen hatte sich also auch der literarische Geschmack nicht wenig gewandelt. Allerdings führt gerade die facettenreiche Ausgestaltung bei Livius auch zu Zweifeln an seiner Glaubwürdigkeit, da stilistische Elemente erfahrungsgemäß auch bei Historikern immer dann greifbar werden, wenn ein Autor seine Vorlieben und damit auch seine eigenen Wunschvorstellungen schildert, wie ein historischer Vorgang hätte sein sollen.

      An Quellen kann man für Ab urbe condita mit Sicherheit nur noch Polybios festmachen, besonders für die militärischen Auseinandersetzungen im östlichen Mittelmeergebiet, da dessen Geschichtswerk, wenn auch nur partiell, erhalten blieb. Allerdings übersetzte Livius den Polybios gelegentlich falsch ins Lateinische (etwa XIV 21, 6 gegenüber XXV 24,8; XXXI 15, 6; XXXIII 30, 11 u. a. m.). Andere Autoren, die er zitiert, sind etwa Quintus Claudius Quadrigarius oder Licinius Macer, doch kennen wir diese heute nur noch dem Namen nach. Umso wichtiger ist es jedoch, dass zumindest Teile des großen Geschichtswerks des Livius erhalten geblieben sind, das sich schon zu seiner Zeit, aber auch bereits zur Zeit seiner Wiederentdeckung und Rekonstruktion während der Renaissance einer sehr großen Beliebtheit erfreute.

      Werk:

      Titus Livius, Römische Geschichte. Lateinisch und Deutsch. Hrg. v. H. J. HILLEN und J. FEIX. 11 Bände. Düsseldorf und Zürich 1974-2000.

      Weiterführende Literatur:

      G. FORSYTHE, Livy in Early Rome. A Study in Historical Method and Judgement. Stuttgart 1999 (Historia. Einzelschriften, 132),

      Chr. S. KRAUS, Latin Historians. Oxford 1997.

      W. SCHULLER (Hrg.), Livius. Aspekte seines Werkes. Konstanz 1993 (Xenia, 31).

      E. BURCK, Das Geschichtswerk des Titus Livius. Heidelberg 1992 (Bibliothek d. Klass. Altertumswiss., 2. Reihe, Neue Folge, Bd. 87).

      Flavius Iosephus

      Flavius Iosephus, eigentlich Iosip ben Mathithjahu, stammte aus Jerusalem, wo er um das Jahr 37 n. Chr. geboren wurde. Dort gehörte er einer höher gestellten Familie an, die eng mit dem israelitischen