Ulrike Peters

Die Germanen


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(Commentarii de Bello Gallico). Gerade Caesar gilt als Paradebeispiel für die tendenziöse Geschichtsschreibung, denn er schrieb den »Gallischen Krieg«, um seinen Feldzug nach Gallien politisch zu rechtfertigen und um damit finanzielle und berufliche Erfolge zu erlangen. (Vgl. Kap. Ariovist)

      Eine andere Hauptquelle zu den Germanen ist neben Caesars »Der Gallische Krieg« die »Germania« von Tacitus. Publius Cornelius Tacitus (58–120) machte wie Caesar schon früh Karriere im römischen Staatsdienst. Er war Senator, unter anderem auch Militärtribun und Prokonsul in der Provinz Asia (heute Türkei). Aber unsterblichen Ruhm erwarb sich Tacitus als Historiker vor allem mit den Werken »Agricola«, »Historien«, »Germania« und den »Annalen«. »Agricola« ist eine Biografie seines Schwiegervaters, dem Konsul Gnaeus Julius Agricola, die wertvolle Informationen über Britannien zur Römerzeit enthält. In den nur zum Teil erhaltenen »Historien« stellte Tacitus die Geschichte des Römischen Reiches von Galba im Jahr 69 bis Domitian im Jahr 96 dar. In den nur zur Hälfte erhaltenen »Annalen« stellt er die Geschichte des Römischen Reiches von Augustus bis Nero im Jahr 68 dar. Die »Germania« (De origine et situ Germanorum liber) ist eine Beschreibung der Germanen, in der Tacitus auf die Geschichte, Kultur und Lebensweise und die einzelnen Stämme eingeht. Seine Quellen sind neben der eigenen Anschauung unter anderem Schriften aus staatlichen oder privaten Archiven, Augenzeugenberichte und historische Werke, vor allem die nicht mehr erhaltenen »Germanenkriege« von Plinius dem Älteren.

      »Ohne Zorn und Eifer« (= sine ira et studio) oder »über niemanden mit Zuneigung und von jedem ohne Hass« (= neque amore quisquam et sine odio) sprechen – diese Sätze stellte Tacitus seinen Annalen bzw. den Historien voran, gemeint ist damit eher die abschließende Beurteilung der Sache als die Darstellung selbst. Es sind die Sätze eines exzellenten Rhetorikers und eines Schreibers von hoher stilistischer Qualität, dem es gelingt, die Personen und Ereignisse scheinbar objektiv darzustellen, aber dem Leser durchaus subtil seine Sicht der Dinge zu vermitteln. Vor allem mit der »Germania« verfolgte Tacitus das Ziel, die Dekadenz, den Sittenverfall der römischen Gesellschaft in der Kaiserzeit zu kritisieren und diese Kritik mit einer Darstellung der Germanen sozusagen als positives Gegenbild zu veranschaulichen: Bei seinem Vergleich zwischen Germanen und Römern schneiden die Germanen besser ab. Tacitus schreibt den Germanen die Tugenden zu, die er bei den Römern vermisst, und fordert sie damit indirekt zu einer Rückkehr zu diesen Tugenden auf. Aber Tacitus versuchte mit der »Germania« auch zu erklären, warum die Römer die Germanen nicht vollständig unterworfen hatten so wie die Gallier oder Britannier. Zudem muss man generell bei den antiken Schriften, auch wenn sie sich als »Historie« ausgeben, immer berücksichtigen, dass es sich nicht um objektiv-wissenschaftliche Beschreibungen handelt. Neben Klischees betonen die antiken Autoren gerne das Ungewöhnliche, Fremde und Exotische.

      Hatten die Werke Tacitus’ in der Antike keine große Breitenwirkung und wurden sie im Mittelalter sogar vergessen, feierten die »Germania« und die »Annalen« seit der Wiederentdeckung im Humanismus bis zur Gegenwart eine Renaissance von nicht zu unterschätzendem Ausmaß. Bis heute, vor allem aber im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, übernahm man in selektiver, auswählender Weise die Verherrlichung der starken, reinrassigen, freiheitsliebenden und treuen Germanen von Tacitus, die von ihm erwähnten negativen Eigenschaften der Germanen ignorierte man. Die von Tacitus beschriebenen Germanen und ihre Geschichte wurden dabei als erste Phase der Geschichte der modernen Deutschen gesehen und mit ihnen fälschlicherweise gleichgesetzt. »Rein von fremder Vermischung (…) lebt in den Ländern jenseits des Rheins ein Volk mit trotzigen blauen Augen, hochgelben Haaren, von starkem Körperbau und riesenhaftem Wuchs, abgehärtet gegen Kälte und Hunger, nicht gegen Durst und Hitze, von kriegerischem Geist, bieder, treu, freundlich (…).« Dieses Zitat stammt nicht etwa von Tacitus, sondern aus dem Brockhaus von 1834 und belegt, wie verbreitet das Germanenbild des Tacitus in der deutschen Öffentlichkeit war. Überspitzt kann man sagen, das Germanenbild der Deutschen war das von Tacitus.

      Bei Tacitus heißt es: »Die Germanen selbst sind (…) in keiner Weise durch Zuzug oder Gastfreundschaft mit anderen Völkern vermischt worden (…)« (Tacitus, Germania 2) Weiter glaubt Tacitus, dass die Germanen »ein eigenes und reines und nur sich selbst ähnliches Volk darstellen. Daher ist auch die Körpergestalt trotz der großen Zahl von Menschen bei allen dieselbe: grimmige blaue Augen, rotblonde Haare, große Körper, die jedoch nur zum Angriff geeignet sind. Für Mühe und Anstrengung besitzen sie nicht dieselbe Geduld, am wenigsten ertragen sie Durst und Hitze, an Kälte und Hunger dagegen haben sie sich durch das Klima und die Bodenbeschaffenheit gewöhnt.« (Tacitus, Germania 4)

      Das Germanenbild des Tacitus diente den Deutschen zunächst politisch – vor allem in Abgrenzung zu den Franzosen – zur Entwicklung einer nationalen Identität. Diese »germanische« Identität wurde später durch rassenkundliche und sozialdarwinistische Theorien in pseudowissenschaftlicher Weise untermauert. Bei den Nationalsozialisten genoss Tacitus so große Verehrung, dass sie ihn zum Arier erklärten. Die »Germania« des Tacitus stand so hoch im Kurs, dass die Nationalsozialisten die älteste Abschrift von diesem Werk, den Codex Aesinas, von Italien nach Berlin holen wollten. Als Mussolini seine Zusage, den Codex an die Deutschen zu übergeben, nicht einhielt, befahl der SS-Führer Heinrich Himmler einer SS-Gruppe, in den Palazzo der Familie Balleani einzudringen und den Codex nach Berlin zu bringen. Allerdings erfolglos, denn die Balleanis konnten den Codex rechtzeitig woanders verstecken.

      Außer Caesar und Tacitus sind als weitere antike Autoren, in deren Werken sich Informationen über die Germanen finden, unter anderem Appian (Römische Geschichte), Strabon (Geographie), Plinius der Ältere (Germanische Kriege, verloren gegangen) oder Ammianus Marcellinus (Res Gestae) zu erwähnen.

      Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über Geschichte und Kultur der Germanen gegeben, der den Schwerpunkt auf die römische Zeit legt. Zu weiteren Informationen siehe auch die Exkurse, die einigen Kapiteln vorausgehen (Goten, Arianismus, Franken, Sachsen und Sachsenkriege, Wikinger).

       Geschichtlicher Überblick

      Die Sprache der Germanen ist der Westgruppe der indogermanischen bzw. indoeuropäischen Sprachen einzuordnen. Zu den indoeuropäischen Sprachgruppen zählen unter anderem auch die indoarischen, romanischen, italischen oder keltischen Sprachen sowie das Griechische.

      Die germanischen Stämme, die Tacitus auflistet, sind vor allem die Bataver, Mattiaker, Chatten, Usipeter, Tenkterer, Brukterer, Dulgubiner, Chasuarier und Friesen im Westen, Chauken, Cherusker, Kimbern im Norden sowie die Sueben, Semnonen, Langobarden, Nerthusvölker, Hermunduren, Narister, Markomannen, Quaden, Lugier, Goten, Swionen und Sithonen. Heute teilt man die vielen germanischen Stämme meist nach ihrem Siedlungsgebiet ein. So gehören zu den linksrheinischen Germanen die Vangionen, Triboker, Nemeter und Ubier, zu den rechtsrheinischen Germanen die Sugambrer, Marser, Brukterer und Chamaven. Die Cherusker siedelten an der Weser, die Chatten im heutigen Hessen (Rhein-Weser-Germanen). An der Nordseeküste lebten die Friesen, Amsivarier und im Gebiet der Elbe die Chauken. Die Sueben, Semnonen, Markomannen und Quaden siedelten in Böhmen und Mähren. Vandalen, Goten, Burgunder und Rugier hatten ihren Ursprung im Gebiet zwischen Oder und Weichsel und gelten als Ostgermanen. Als Nordgermanen bzw. Wikinger bezeichnet man die Völker Skandinaviens. In späterer Zeit gewannen die großen germanischen Stämme der Ost- und Westgoten, Vandalen, Franken, Burgunder, Langobarden, Alemannen, Thüringer, Sachsen, Friesen, Bajuwaren und die Wikinger an Bedeutung.

      Diverse Kulturen der Eisenzeit gelten als Vorläufer der germanischen Kultur. Vor allem die Jastorf-Kultur, die zeitlich der vorrömischen Eisenzeit (600 v. Chr. bis zur Zeitenwende) zuzuordnen ist, gilt als Beginn der germanischen Kultur. Das Zentrum dieser Kultur war zunächst in Schleswig-Holstein und Niedersachsen, sie breitete sich dann nach Thüringen, Niederrhein und Niederschlesien aus. Nahm man früher an, dass die Jastorf-Kultur durch Einwanderung aus Skandinavien entstanden sei, geht man heute von einem starken Einfluss der keltischen Hallstatt-Kultur aus.

      Träger der eisenzeitlichen Przeworsk-Kultur (300 v. Chr. – Mitte 5. Jh. n. Chr.) im Gebiet des heutigen Polens zwischen Warthe/Oder bis zu den Karpaten waren Vorläufer der Vandalen, Burgunder und Lugier. In neuester Zeit wurde die Verwandtschaft der Przeworsk-Kultur