Jana Scherer

Geister sind unser Geschäft


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Antwort. In meinem Kopf befanden sich nur Fragen: Waren wir der einzige Haushalt, bei dem grünes Wasser mit einem seltsamen Geruch aus der Leitung kam? Wie entstanden die Färbung und das Aroma? Handelte es sich um einen Unfall oder um eine bewusste Manipulation? Wer war dafür verantwortlich?

      »Kann ich dich einen Moment alleine lassen?«, fragte ich meine Großmutter. Meine Detektiv-Regel Nummer 22 lautet nämlich: Vergewissere dich vor Aufnahme der Ermittlungen, ob die Opfer des Verbrechens zuerst Hilfe benötigen.

      Meine Großmutter wischte sich einige Schweißperlen von der Stirn. »Mit mir ist alles in Ordnung, glaub ich.«

      »Super, bis gleich!« Ich rannte hinunter in meine Detektei, platzierte meinen Hut auf dem Kopf, zog den Mantel an, steckte meinen Notizblock und mein Mobiltelefon in die Tasche und sprang die Treppe hoch. Auf dem Weg zurück in die Küche schaute ich im Badezimmer vorbei und kontrollierte das Wasser am Waschbecken und in der Dusche. Es war genau wie in der Küche – Farbe: Grün, Aroma: Hähnchen. Mit meinem Telefon machte ich ein kurzes Video davon, wie das grüne Nass aus Hahn und Brause lief. Zur Beweissicherung.

      Zurück in der Küche, drehte ich den Wasserhahn an der Spüle wieder auf. Das Wasser hatte die gleiche grüne Färbung wie vorhin und roch jetzt noch stärker nach Hähnchen. Auch hier machte ich eine kurze Filmaufnahme.

      Die Standuhr schlug.

      »Nee, nee, nee, nee«, jammerte meine Großmutter, »schon halb drei. In eineinhalb Stunden ist Onkel Freddie da, um mich abzuholen, aber mit dem grünen Wasser kann ich euch doch gar nicht hier alleine lassen.«

      »Doch, Oma, kannst du«, versicherte ich ihr mit beruhigend tiefer Stimme. »Verbring mal schön die Osterfeiertage mit Onkel Freddie. Außerdem sind Trix und ich ja nicht allein. Heute Abend kommt schließlich Magnus.« Sie hatte extra meinen großen Bruder aus Humbug herbestellt, damit er auf Trix und mich aufpassen konnte. Das war natürlich vollkommen unnötig.

      Meine Großmutter seufzte. »Na gut. Und am Ostermontag bin ich ja schon wieder da.«

      »So ist es«, stimmte ich ihr zu. »Es besteht also überhaupt kein Grund zur Sorge.« Schnell drückte ich ihr einen Kuss auf die Wange. »Gute Reise und viel Spaß, Oma.«

      »Danke, Harald, aber …«

      »Ich muss jetzt dringend los zum Bahnhof. Perfekt, dass Trix gerade heute kommt.«

      Meine Oma seufzte noch mal. »Harald, das ist bestimmt kein …«

      Mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit ging dieser Satz mit »… Fall für euch« weiter, aber ganz genau weiß ich es nicht.

      Denn ich war längst draußen, unterwegs im Ruckelnser Regen, mit einer Mission: das Rätsel des grünen Wassers aufzuklären.

      Kapitel 2 In dem ich eine Zeugenbefragung per Fahrrad mache, keine Katze geschenkt bekomme und zwei unterschiedliche Zwillinge kennenlerne.

      Meine Detektiv-Regel Nummer 23 lautet: Ein Detektiv kommt niemals zu spät. Also schwang ich mich auf mein Fahrrad und trat ordentlich in die Pedale. Wie so oft hatte ich Gegenwind. Aber immerhin wurde der Regen schwächer und hörte irgendwann ganz auf.

      Unterwegs sah ich mich nach Passanten um, die ich nach der Farbe ihres Leitungswassers befragen konnte. Als Erste entdeckte ich Frau Hinnerksen, die beste Freundin meiner Großmutter. Sie schloss gerade das Tor ihres Vorgartens hinter sich und stieg auf ihr Rad.

      »Moin, Frau Hinnerksen«, rief ich ihr zu, »kommt bei Ihnen zufällig grünes Wasser aus dem Hahn?«

      »Genau, Harald, giftgrünes!« Frau Hinnerksen winkte mir fröhlich zu. Sie liebte Sensationen jeder Art. »Und es riecht nach Hähnchen! Nebenan in Frau Sörensens Apotheke ist aber alles normal.«

      »Nebenan ist das Wasser nicht grün?« Ich bremste, blieb stehen und notierte mir das.

      »Ja, Harald, ist das nicht seltsam? Ich fahre jetzt gleich mal ins Rathaus zu Frau Schuhpisser, um mich über das grüne Wasser zu beschweren. Als Bürgermeisterin ist sie dafür ja wohl zuständig, nä? Und anschließend sage ich Frau Jansen wegen ihrer Schafe Bescheid. Das ist ja auch richtig schlimm, nä? Tschüs, Harald!«

      »Was ist denn mit Jansens Schafen?«, hakte ich nach, doch Frau Hinnerksen war schon davongefahren und hörte mich nicht mehr.

      Während ich weiterradelte, dachte ich über die neuesten Entwicklungen nach. Wenn auch bei Frau Hinnerksen grünes Hähnchenwasser aus der Leitung kam, waren vermutlich noch mehr Haushalte betroffen. Aber warum war nebenan bei Frau Sörensen das Wasser nicht grün? Zu den beiden Gebäuden führte sicherlich eine gemeinsame Wasserleitung. Wenn Frau Hinnerksen grünes Wasser hatte, Frau Sörensen aber nicht, musste der Grund direkt in der Zuleitung zu Frau Hinnerksens Haus liegen.

      Und zu unserem eigenen auch.

      Um ein Bild von der Verbreitung des grünen Wassers zu bekommen, rief ich beim Fahren allen Passanten zu: »Moin, ist bei Ihnen das Wasser grün?«

      Circa die Hälfte der Leute antwortete mit »Ja«, die andere Hälfte schaute mich entweder verständnislos an oder sagte »Zum Glück nicht!« Bei denen, die ich kannte, notierte ich mir im Kopf den Namen.

      Als ich schließlich den Bahnhof erreichte, war ich heiser und vollkommen außer Atem. Ich hatte mich so beeilt, dass ich fünf Minuten zu früh war. Also nutzte ich die Zeit, um meine Umfrage auszuwerten. Ich holte mein Mobiltelefon aus der Manteltasche. »Trix«, sprach ich hinein, »markiere folgende Adressen.«

      »In-Ordnung-Harald«, antwortete aus meinem Telefon eine Stimme, die sehr nach Trix klang.

      Ich lachte zufrieden. Trix hatte bei unserem letzten Fall ihren Sprachassistenten in »Harald« umgetauft und mit meiner Stimme versehen. Dafür musste ich mich natürlich revanchieren. Wiebke hatte mir dabei geholfen. Sie kannte sich zwar auch nicht so gut mit Technik aus wie Trix, aber zusammen hatten wir es einigermaßen hinbekommen.

      »Also, Trix, hör zu.« In mein Telefon sprach ich die Anschriften der Leute, die mir auf der Straße mitgeteilt hatten, dass ihr Wasser grün war.

      »Die-Adressen-sind-markiert-Harald.«

      »Danke, Trix.«

      Die Karte auf meinem Handy zeigte, dass die betroffenen Haushalte kreuz und quer über Ruckelnsen verteilt waren. Als Gegenprobe gab ich auch die Adressen derjenigen Leute ein, bei denen das Wasser nicht grün war. Und tatsächlich: Genau wie im Fall von Frau Hinnerksen und Frau Sörensen lagen die Häuser und Wohnungen mit und ohne grünes Wasser oftmals direkt nebeneinander.

      Ich steckte mein Mobiltelefon ein. Was hatte das alles zu bedeuten? Und was war mit Jansens Schafen los? Hatten sie vielleicht von dem grünen Wasser getrunken und es nicht vertragen? Ich nahm mir vor, gleich mit Trix am Deichabschnitt 23 vorbeizugehen. Dort, etwas abseits gelegen, weideten Jansens Schafe zurzeit.

      »Es fährt ein: Regionalbahn aus Humbug«, verkündete der Lautsprecher, »dieser Zug endet hier.«

      Der rote Zug zuckelte heran und kam mit einem angeberischen Quietschen zum Stehen. Leise piepend öffneten sich die Türen. Ein paar ältere Damen, ein Ehepaar mit Fahrrädern und eine Familie mit ihrem ungefähr fünfjährigen Sohn stiegen aus. Ich kombinierte: Es handelte sich um Touristen, die ihren Urlaub im Juwel am Schlick verbringen wollten. Diese Bezeichnung hat sich unsere Bürgermeisterin Frau Schuhpisser ausgedacht, um Touristen in den Ort zu locken. Frau Schuhpisser übertreibt gerne. Ruckelnsen ist alles andere als ein Juwel. Das mit dem Schlick stimmt allerdings. Wenn das Meer sich bei Ebbe zurückzieht, liegt vor Ruckelnsens Küste eine riesige Fläche aus diesem braunen, matschigen, stinkenden Zeug.

      »Harald! Hallo!« Trix stieg aus der hintersten Tür des letzten Waggons. Wie immer war sie in einen schwarzen Anzug mit passender Fliege und einem roten Einstecktuch gekleidet. Sie hatte einen schwarzen Leinenbeutel mit der Aufschrift Humbug!