Benjamin Markovits

Spieltage


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unsre Hightops schnürten, was das Profidasein aus uns gemacht hatte: Nach einem Monat Training lungerten wir herum und warteten auf den Trainer, bevor wir einen Basketball anfassten.

      Nur Darmstadt, der Schuljunge, war auf dem Feld, im Gesicht das breite, unkontrollierte Grinsen eines Halbwüchsigen, der weiß, dass man ihm zusieht. Er versuchte uns zu beweisen, dass er dunken konnte. Für ihn war das Training nur ein Teil seines Alltags, vielleicht sogar eine Flucht davor. Er war sechzehn Jahre alt und im Begriff, sein Abschlussjahr an der Fachoberschule zu beginnen. Sein Vater war Apotheker, seine Mutter auf einem kleinen Gut außerhalb von Landshut aufgewachsen, wo sie nach wie vor die meiste Zeit verbrachte, um mit Hand anzulegen. Darmstadt war ein Einheimischer, wie er im Buche steht; er dachte nicht einmal im Traum daran, irgendwann von hier wegzugehen. Henkel hatte ihn im Zuge seines Sparprogramms rekrutiert, nachdem er jemandem vom Club in der Jugendliga aufgefallen war und man befand, er könne die Trainingsmannschaft vervollständigen. Für seine Anwesenheit zahlte ihm der Verein monatlich ein paar hundert Mark: für Darmstadt ein Superdeal. Nach dem Vormittagstraining traf er sich immer mit zwei Schulfreunden beim Fahrradständer vor der Halle und ging dann mit ihnen zu McDonald’s Mittagessen. Vermutlich würde ihm das einmal wie der beste Sommer seines Lebens vorkommen.

      Nicht dass er nicht spielen konnte. Er war dünn und voller Pickel, mit langen Armen, deren Ellbogen ihm fast an die Hüftknochen stießen. Schuhgröße achtundvierzig steht sicherlich nicht jedem; besonders schlimm wirkt sie aber bei einem Teenager, der seine volle Größe erst noch erreichen wird. Aber er hatte einen schnellen Antritt und zeigte eine erfreuliche Gleichgültigkeit gegenüber allem, was im Spiel nicht unmittelbar den eigenen Wurf betraf. Mit ausreichend Anlauf und ein bisschen Glück gelang es ihm tatsächlich, den Ball gerade so über den Korbrand zu quetschen. Dann johlten wir mit deutlich hörbarer Ironie, die ihn rot werden ließ – vor Freude und Scham zugleich. Jedenfalls motivierte ihn das, es wieder und immer wieder zu probieren.

      «Ich werd schon vom Zusehen müde», sagte Olaf.

      Währenddessen hatte jemand am anderen Ende des Feldes begonnen sich aufzuwärmen. Er trug ein T-Shirt, eine Jogginghose und weiße Socken, darüber ein Schuhwerk, das (seinem Geschlurfe nach zu urteilen) wohl Loafer waren. Loafer sind etwas, zu dem alte Basketballspieler gern greifen, wenn Rücken und Knie nicht mehr mitmachen, aber das wusste ich damals noch nicht. Ich dachte, jemand hätte von außen gesehen, dass die Tür offen ist, und würde ein bisschen üben. Er tippte den Ball ein paar Mal auf den Boden und blieb außerhalb der Dreierlinie stehen. Dann warf er, nicht scharf genug, wie ich fand, aber der Ball ging rein. Er wartete, bis der Ball zu ihm zurück hüpfte, dann schlurfte er ein paar Schritte an der Dreierlinie entlang.

      Sein nächster Wurf sah irgendwie falsch aus, ging aber ebenfalls rein, und erst als er an der Freiwurflinie war, merkte ich, dass er auf die linke Hand gewechselt hatte. Wenn der Ball danebenging, lief er ihm mit schweren Schritten nach, um an die Stelle zurückzukehren, von wo aus er gerade geworfen hatte, so seelenruhig wie fest entschlossen, den Wurf zu versenken und erst dann weiterzugehen. Ich sah ihm ein paar Minuten lang zu, so gefesselt von dem Anblick, wie wir es eben sind, wenn eine private Aktion in der Öffentlichkeit stattfindet: ein Mann, der sich die Schuhe bindet oder weint; ein Junge und ein Mädchen, die Händchen halten. Dann rief uns Henkel in die Mitte des Spielfeldes, und der fremde Mann nahm widerwillig seinen Ball auf und latschte ebenfalls hin.

      Erst jetzt erkannte ich ihn – er war der, der mich vom Flughafen abgeholt hatte. Nur Olaf ging zu ihm, um ihn zu begrüßen, und gab ihm einen neckischen Klaps auf sein Spielpausen-Bäuchlein. Hadnot machte eine Faust. Dann stellte ihn Henkel den neuen Spielern vor, und der fette junge Mann aus der Verwaltung holte ihn ab, damit seine Knöchel bandagiert werden konnten.

      Als Bo zurückkam, trug er zwar keine Loafer und auch keine Freizeitklamotten mehr, aber viel besser sah er dadurch nicht aus. Unabhängig davon, ob ihm seine Knie noch immer Probleme machten oder nicht, hatte der Sommer auf der Couch seinem Körper nicht gutgetan. Er hatte sein Trikot nicht in die Hose gestopft, damit sein Bauch Platz hatte, und bewegte sich mit der langsamen Beharrlichkeit eines Mannes, der nach etwas sucht, das er verloren hat. Dann machten wir Technikdrills; zum ersten Mal in der Woche war Henkel gnädig mit uns. Jede Menge Jumpshots, Half-Court-Blocks, Freiwürfe. Es wurde nicht viel geredet, und alles wirkte so, als hätte es einen schlagartigen Wetterwechsel gegeben.

      Olaf erzählte mir in einer Trinkpause, dass Charlie und Hadnot sich nicht riechen konnten. In der Halle gab es keine Wasserspender, daher brachten die meisten Spieler ihre eigene Flasche mit, aber wenn die leer war, musste man durch die Eingeweide der Halle wandern und sie in der Umkleide auffüllen. Olaf tat immer eine Magnesiumtablette hinein, die weiß sprudelte und nach Kalk schmeckte, und nutzte diese Pausen bis zum Anschlag aus, wobei er mich manchmal in sein langes Fernbleiben miteinbezog. Basketballer sind Arschkriecher, sagte er. Sie kriechen den Stars hinten rein (so seine Formulierung), und Charlie hätte die Bühne einen Monat lang ganz für sich allein gehabt. Jetzt, mit Hadnot auf dem Platz, stellte sich für jeden die Frage, wer denn nun eigentlich der Chef war. Wundere dich nicht, sagte er, wenn Charlie bei dir angeschleimt kommt. Olaf machte sich lustig darüber; er hatte keinerlei Respekt vor so etwas wie Teamgeist. Und er gefiel sich in seiner nörglerischen Unabhängigkeit, aber das mochte ich an ihm, auch wenn sein Vortrag unsere Freundschaft in ein merkwürdiges Licht rückte.

      Fast die ganze zweite Stunde ging Henkel mit uns die Offensivstrategien durch. Infolgedessen war das Training insgesamt so entspannt, dass ich später das Duschen auslassen und gleich an die frische Luft konnte. Es war ein klarer Spätsommertag, so klar wie im Herbst, nur ein paar Grad wärmer, und mit der Sporthalle ging es mir manchmal so wie früher mit der Schule: Sie war ein Fenster, aus dem ich mich hinausbeugte. Deshalb sank meine Stimmung, als Charlie mich bei den Fahrradständern einholte. «Young man», sagte er, «young man, ich würde dich gern zum Essen einladen; mir scheint, du könntest das gebrauchen.» Ich sah Darmstadt mit seinen beiden Freunden weggehen – sechs Hände in sechs Hosentaschen, drei gesenkte Köpfe – und war für einen kurzen Moment neidisch.

      7

      Charlie führte mich zu seiner Wohnung. Die Sporthalle stand im neueren Teil der Stadt: viel wuchtige Sechzigerjahre-Architektur, Gebäude also, wie sie ein Kind entwerfen würde, nachdem es sein erstes Lineal geschenkt bekommen hat. Rechteckig und quietschbunt. Die neuen Straßen mit Kopfsteinpflaster gingen in alte Straßen mit Kopfsteinpflaster über, je näher wir dem Fluss kamen. Das Gericht und das Theater, direkt am Wasser, waren vom Stil her auch eher einfach gehalten, aber bei Weitem eleganter; hier kam der deutsche Sinn für Ordnung voll zur Geltung.

      Landshut erlebte seine Blüte im sechzehnten Jahrhundert, als irgendein bayrischer Prinz die Stadt zu seiner Residenz machte. Es wurde zur Marktgemeinde, in die alle umliegenden Hügel ihre Erträge schütteten. Durch die Isar war die Stadt mit München und dem restlichen Deutschland verbunden, und auch jetzt noch war sie von kaufmännischem Stolz und Wohlstand geprägt, der nur zum Teil vom Tourismus abhing. Stündlich kamen Züge aus München an, und Oktoberfestbesucher überschwemmten die Stadt. Aber auch abseits der Wiesn-Zeit war sie für Amerikaner und Briten so attraktiv, dass entlang der Hauptstraße ein paar kitschige Biergärten betrieben wurden. Neben einem davon wohnte Charlie, im obersten Stockwerk eines zusammengesackten, mittelalterlichen Bürgerhauses, dessen Treppen so schmal waren, dass ich sie nur gebückt und mit den Händen auf den Stufen vor mir erklimmen konnte.

      «Seit wann wohnst du hier?», fragte ich, als wir oben ankamen. Die Wohnung war schöner und größer als von mir vermutet, aber praktisch unmöbliert. In einer Ecke des Wohnzimmers stand ein Sessel, direkt gegenüber eines dieser billigen Rollteile aus Holz, auf die man einen Fernseher und einen Videorekorder stellen kann. Ansonsten gab es keine Sitzgelegenheit, nur die zwei Barhocker bei der Anrichte, die Küche und Wohnzimmer voneinander trennte. Dort an der Wand lehnten ein paar Kochbücher aus der Learn to cook-Reihe (italienisch, thailändisch, französisch etc.). Am anderen Ende des Wohnzimmers zeigten französische Fenster auf einen langen, schmalen Balkon voller Blumentöpfe.

      «Ich wohne hier nicht, ich arbeite hier», sagte er. Sein Ton war der gleiche, den er auch auf dem Basketballfeld verwendete, wo sein Motto lautete: immer korrekt. Dann fügte er leicht verlegen hinzu: «Seit vier Jahren oder so.»

      Wir