einheizte, denn irgendeinen Trumpf mußte er ja doch im Ärmel haben, sonst hätte er schließlich nicht eine so absurde Behauptung aufstellen können. Johannes trat die wenigen Kilometer bis nach Hause in die Pedale, wie er es eigentlich nur damals, kurz vor dem Krieg, getan hatte, als er, nach wochenlangen heimlichen Übungsstunden auf einem Feldweg, im Dorf stolz seine Fahrkünste auf einem der seinerzeit noch seltenen Gefährte gezeigt hatte, die heute nicht mehr wegzudenken und fast schon wieder überholt waren.
Nach Lorbach würde es ihm mit dem Fahrrad heute aber zu lange dauern, für diese Strecke mußte er Wilhelm fragen, damit der ihn mit seinem Motorrad chauffierte. Hoffentlich war der gute Nachbar nur zu Hause, denn bei einem so schönen Wetter wäre es nicht verwunderlich gewesen, wenn er auf dem Feld war. Zum Glück war diese Befürchtungen jedoch umsonst – Wilhelm war gerade heimgekommen, und als Johannes ihm von seinem Gespräch mit dem Kreisleiter erzählte, ließ er, wie es sich für einen guten Freund gehörte, sofort alles stehen und liegen und warf seine Maschine an. War er wirklich zu gutgläubig? grübelte Johannes auf der Fahrt. Wilhelm hatte das jedenfalls schon immer behauptet, nicht nur eben wieder. Aber wie konnte er dem Weber auch etwas Böses unterstellen? Außer daß er sich in der Partei hervortat, was ja heute bei vielen, die seit einigen Jahren nicht mehr Herr ihrer Sinne zu sein schienen, der Fall war, hatte Johannes ihn immer für einen rechtschaffenen Mann gehalten!
Und er würde auch weiter so denken, so lange jedenfalls, bis er felsenfest davon überzeugt war, daß Weber ihm tatsächlich am Zeug flicken wollte. Der Kreisleiter konnte ihm viel erzählen, ganz davon abgesehen, daß etwas Zwietracht in dem Dorf, das als einziges in der ganzen Gegend einen parteilosen Bürgermeister hatte, seiner Sache gewiß nicht schaden konnte.
Während ihm der Fahrtwind angenehm erfrischend ins Gesicht blies, mußte Johannes unwillkürlich an einige der Sätze seiner Mutter denken, die sie ihm in ihren letzten Stunden hastig, eben wie jemand, der weiß, daß er keine Zeit mehr hat, mit auf den Weg gegeben hatte: »Du mußt immer an das Gute im Menschen glauben, Johannes, versprich´ mir das! Der liebe Gott hat jeden Menschen gut erschaffen. Wenn er es dann nicht bleibt, dann kann er einem nur leid tun, denn er hat eine große Gabe verschenkt.«
Nein, Johannes nahm sich fest vor, auch weiter nur an das Gute im Menschen zu glauben: bisher war es ihm nicht schwer gefallen, den Rat der Mutter zu beherzigen, warum sollte sich das nun plötzlich ändern? Er war Optimist, und das galt auch für das, was er von den Leuten dachte. Lieber wollte er selbst enttäuscht werden, als auch nur Gefahr laufen, einem anderen von vornherein Unrecht zu tun. Den Schmerz in sich selbst konnte man wieder gutmachen, über den, den man anderen zufügte, hatte man dagegen keinerlei Gewalt mehr. Weisheiten seiner Mutter, die auch heute, nach all den Jahren, nichts von ihrer Gültigkeit verloren hatten.
Der Lorbacher Bürgermeister, ein Herr Jung, wußte von nichts. Weber war also noch nicht bei ihm gewesen. Sicher, er kannte den Mann von früher, ließ zwar, wie das in dieser Zeit nun einmal war, nicht durchblicken, was er über ihn dachte, doch erklärte er sich gleich bereit, seine Unterschrift unter ein rasch aufgesetztes Papier zu setzen, in dem festgehalten war, daß er bis jetzt noch niemals ein Wort mit Johannes gewechselt hatte. Zum Abschied beeilte er sich noch, ihnen zu versichern, daß er in nichts hineingezogen werden wolle, und fügte dabei so auffällig ein »von niemandem« hinzu, daß Johannes sich genötigt sah, ihn zu beruhigen, er brauche sich nicht die geringsten Sorgen zu machen. Schließlich habe er nur einen wahren Sachverhalt bestätigt, mit Gesprächen an »übergeordneter Stelle« müsse er deswegen ganz bestimmt nicht rechnen.
Als er wenig später mit Wilhelm alleine war, atmete Johannes erst einmal tief durch. »Was soll das jetzt gewesen sein? Wollten die mich vielleicht nur auf die Probe stellen?« meinte er unschlüssig, worauf Wilhelm um so fester entgegnete: »Wart´ ab, der Weber kommt schon noch. Er kann ja durch irgendwas aufgehalten worden sein, was weißt denn du?«
»Ach was, jetzt kommt der nicht mehr. Wenn der schon vor mir bei Schulz war, und das kann ja schon gestern oder vorgestern gewesen sein, dann hätte er es auch schaffen müssen, vor mir in Lorbach zu sein!«
»Wart´ ab, Johannes, wart´ ab!« sagte Wilhelm nur wieder sicher. Auf dem Heimweg machten die beiden dann die für Johannes so enttäuschende Feststellung, daß der Nachbar, obwohl ihm dem alten Freund gegenüber zwanzig Jahre an Lebenserfahrung fehlten, mit seiner Einschätzung recht behalten sollte: Kurz nach dem Ortsausgang von Lorbach kam ihnen auf seinem Fahrrad der SA-Mann Weber entgegen: sichtlich angestrengt und schwitzend, sie beide keines Blickes würdigend, stur nur auf den Boden stierend, so daß jetzt auch Johannes begriff, daß er endlich die bittere Pille schlucken mußte, die ihm sein unerschütterlicher Glaube an das Gute im Menschen gerade wieder einmal eingebracht hatte.
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