Christoph Kloft

Basaltbrocken


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war als er, zum Traualtar führen. Damals konnte er sein ganzes Glück nur ahnen, heute wußte er, daß er eine Frau gefunden hatte, die mit ihm durch alle Lebenslagen ging, die nicht nur seine treue Gattin, sondern stets auch sein bester Freund war.

      Und in diesen Momenten am Abend vor dem Schlachttag, als er in der Stube so verlegen vor ihr stand, da schämte er sich ein wenig, und das nicht nur deshalb, weil er Agnes im Grunde ja schon etwas angelogen hatte, denn so dringend war der Gang in die Stadt nun wirklich nicht, sondern weil er wieder einmal nicht verstand, wie er nur eine solch wunderbare Frau verdient hatte.

      Einige Wochen später, die Sau war längst geschlachtet – selbst Johannes hatte sich einige Mahlzeiten der fetten, kaum mehr an Berta erinnernden Wurstsuppe schmecken lassen – da klopfte es eines Abends mehrmals heftig an die Haustüre der Zimmermanns. »Nur immer rein«, rief der große Mann, der dabei war, seine lange Wasserpfeife zu reinigen und in dieser Beschäftigung getrost fortfahren konnte, da die Tür, wie im Dorf üblich, nicht verschlossen war. »Du mußt helfen, Johannes, du mußt helfen«, stürzte ein zugeschneites Wesen herein, das erst bei genauem Hinsehen als die bucklige Anna zu erkennen war, eine häßliche Kreatur um die Vierzig, die alt und jung im Dorf schon deshalb gerne zum Spott diente, weil sie bis jetzt noch keinen Mann gefunden hatte: einerseits wegen ihres körperlichen Gebrechens, andererseits gewiß auch ihrer Schrulligkeit wegen, die wiederum nur Folge der ersten Ursache war. »Bitte Johannes, du mußt helfen«, kam es jetzt einmal mehr aus ihrem vom Frost verzerrten Mund gequollen. »Ruhig jetzt, ganz ruhig, wenn ich helfen soll, muß ich erst wissen, wo und wem.«

      »Na dem Herrn Pfarrer sollst du helfen, dem Pfarrer natürlich, du mußt gehen, du bist doch der Bürgermeister!«

      »Was ist mit dem Pfarrer? Sag jetzt sofort, was mit ihm ist!« – allmählich riß Johannes der Geduldsfaden, denn das Wohlergehen des Pfarrers lag ihm, wie den meisten, die es nicht mit der Partei hielten, sehr am Herzen. »Die Jungen, die wollen ihm eine Lektion erteilen, haben sie gesagt, und da bin ich sofort zu dir gerannt. Schließlich bist du der Bürgermeister und mußt ihm helfen!« Johannes wurde immer nervöser. Es waren zwar schlimme Zeiten, aber sich an einem Pfarrer vergreifen, das konnten doch selbst diese üblen Schreier nicht wagen. »Wo hast du das her?« wollte er jetzt wissen, und seine Gesichtszüge waren mit einemmal hart wie Stein. »Unten beim Brunnen, da haben sie sich getroffen, und weil sie denken, ich bin nicht ganz richtig im Kopf, haben sie laut weitergesprochen, als ich in ihre Nähe kam. Einer hat sogar gesagt: »Buckel-Anna, heut´ kannst du was erleben, du und noch der Pfarrer.« – »Was wollt ihr?« hab´ ich gefragt. »Ich hab´ keinem was getan und der Herr Pfarrer schon gar nicht. Laßt mich bloß in Ruhe.« Da ist ein anderer plötzlich auf mich zugegangen, ein großer fremder Junge, fast schon ein Mann, ganz langsam ist er auf mich zugegangen, und erst, als er direkt vor mir stand, hat einer gesagt, und zwar dem August sein Junge war es, der hat auf einmal gerufen: »Laß sie doch in Ruhe, an alten Weibern brauchen wir uns nicht zu vergreifen und an so häßlichen schon grade gar nicht.« Da haben sie alle laut gelacht, und der andere, der Fremde, hat mich nur in den Schnee gestoßen und ist weggegangen. »Dem Pfarrer, dem geht´s dafür aber an den Kragen. Der lernt heute seine Lektion«, hat er noch gesagt, und ich hab´ getan, als hätte ich mir wehgetan, damit ich noch ein wenig liegenbleiben konnte und hören, was sie genau vorhaben. Denn um mich hat sich zum Glück keiner mehr gekümmert.«

      »Und«, stieß Johannes ungeduldig hervor, »was ist es, was wollen sie machen?«

      »Der Pfarrer kommt heute zurück von seiner Reise. Da wollen sie ihm am Bahnhof auflauern und ihn verdreschen. Drum geh schnell hin, sie sind schon auf dem Weg, und der Pfarrer kommt bestimmt gleich an. Wenn du nicht hilfst, wird´s ihm übel ergehen.«

      Johannes begriff, daß er nicht zögern durfte, wenngleich es ihm schwerfiel, der Buckel-Anna Glauben zu schenken. Einen Pfarrer verdreschen, das war wirklich noch nie dagewesen und konnte es heute, 1935 Jahre nach Jesu Geburt, einfach nicht geben. Doch wollte er sich nachher, wenn vielleicht wirklich etwas passiert war, nicht sagen müssen, er hätte nichts unternommen, und so stand sein Entschluß rasch fest. Auch aus dem Blick seiner Frau konnte er Ermutigung ablesen: sie wußte ohnehin, daß der Versuch, ihn zurückzuhalten, sinnlos gewesen wäre.

      Johannes war klar, daß er alleine gehen mußte, denn er durfte nicht die aufrechten Nachbarn, die ganz bestimmt bereit gewesen wären, ihm in dieser Sache zur Seite zu stehen – und davon gab es in einem katholischen Dorf wie Kleeberg eine ganze Menge – er durfte sie nicht unnötig in Gefahr und in Konflikt mit der Obrigkeit bringen. Also zog er seine Ledergamaschen an, warf den Lodenmantel über, setzte den großen Hut auf, der für seinen imposanten Schädel eigens gemacht schien, ging in den Stall, um den halbfertigen Axtstiel zu holen, den er noch am Nachmittag dabeigewesen war, für seine mächtigen Hände maßzuschneidern, und machte sich unverzüglich auf den Weg.

      Schon hatte er die letzten Häuser des Dorfes hinter sich gelassen und war umgeben von der winterlichen Schönheit der Landschaft, auf die der volle Mond sein helles Licht warf, da gingen ihm immer wieder die langen Unterhaltungen mit dem Pfarrer durch den Kopf, bei denen dieser ihn stets von der Gefährlichkeit der neuen Machthaber hatte überzeugen wollen. »So übel können die gar nicht sein«, hatte Johannes anfangs nur immer dazu gemeint, »die Leute sind schon nicht so dumm, sich so etwas gefallen zu lassen«, – er hatte wirklich keine Lust gehabt, sich auf seine alten Tage plötzlich für die große Politik zu interessieren. Vielleicht, hatte er aber gleich nach diesen Gesprächen gedacht, war der Pfarrer ja doch im Recht. Möglich, sogar wahrscheinlich, daß er, Johannes, sich geirrt hatte: Schließlich war er ein einfacher Mann, hatte keine große Bildung genossen, wegen einer schlimmen Krankheit nicht einmal die Schule beenden können. Die einzige Lektüre, die er in seinem Leben regelrecht verschlungen hatte, war sein Realienbuch – »Was brauche ich Geschichten zu lesen, die sich andere ausgedacht haben«, sagte Johannes immer, auch zum Pfarrer, und er war überzeugt, daß er mit seinem Gefühl und dem scharfen Verstand gerade deshalb meist ins Schwarze traf, weil er Dritten eben nicht erlaubte, sich in seinem Hirn breitzumachen. Nein, sympathisch waren ihm die Nazis noch nie gewesen, doch hatte er sich in seinem schweren Leben zu wenig mit dem beschäftigen können, was außerhalb des Westerwaldes vor sich ging, um seinerzeit, als der österreichische Handwerksbursche erst wenige Monate an der Macht gewesen war, bereits die Gefahr zu erkennen, die der studierte Mann heraufbeschwor. »Wer Menschen mit Viehzeug gleichstellt, der kann selbst kein guter Mensch sein«, sagte er aber schon wenig später, als er begriffen hatte, daß man neuerdings ohne die Politik gar nichts mehr verstehen konnte und wetterte zusammen mit dem Seelsorger: »Die Gottlosen machen sich zum Glück nur auf der Erde breit, im Himmel will sie ihre Vorsehung nicht haben«.

      Johannes war etwa eine halbe Stunde gegangen, als er in der Ferne das Pfeifen einer Lokomotive vernahm. Nun mußte er sich ein wenig sputen, da noch ein Weg von fast einem Kilometer vor ihm lag. Angst hatte der Bürgermeister keine, jedenfalls machte er sich darüber keine Gedanken, und so ignorierte er auch das beklemmende Gefühl in der Magengegend einfach. Trotz seiner sechzig Jahre wußte er nämlich genau, daß der Herrgott ihn noch nicht haben wollte. Wußte es seit damals, als er im Krieg wie durch ein Wunder dem Tode entgangen war: Bei der Artillerie war er gewesen, und alle waren sich einig, daß der stattliche Mann in seiner schmucken Uniform schon etwas hermachte. Aber das hatte ihm dann am Ende doch nicht viel genutzt. Der Krieg war kein schönes Geschäft, dies hatte Johannes schnell begriffen, und alle, die anders dachten, sollten erst einmal dabeigewesen sein. Niemals würde er den Tag vergessen, an dem er mit seinem Pferd wieder einmal einen Munitionswagen begleitet hatte. Er erinnerte sich noch genau, es war ein herrlicher Sommertag gewesen, und er hatte nur daran gedacht, daß sich solche Tage wunderbar dazu eigneten, Heu zu holen. Um wieviel lieber hätten er und seine Kameraden sich darum auch heute der Beschäftigung gewidmet, der sie in den Kampfpausen so gerne nachgingen, nämlich den französischen Bauern mit ihren Pferden beim Einfahren der Ernte zu helfen! Aber nein, man mußte sich ja durch diesen Morast quälen, und das neuerdings sogar bei Tageslicht, was bedeutete, daß die ausgebauten Wege noch weiter zu umgehen waren als nachts, damit einen die feindliche Artillerie nicht bemerkte. Dabei war es fast unmöglich, mit den großen Wagen, die immerhin von sechs Pferden gezogen werden mußten, unentdeckt zu den vordersten Gräben der Front zu gelangen.

      Johannes hatte es deutlich vor Augen: er selbst hatte wie immer auf