auf Gedeih und Verderb miteinander auskommen mußten, und langsam, ganz langsam entwickelte sich sogar so etwas wie Sympathie zwischen ihnen; doch wer gesagt hätte, daß dieses Verhältnis auch ohne diejenigen zustandegekommen wäre, für die sie gleichermaßen wenig übrighatten, die neuen Machthaber nämlich, der, da durfte man sicher sein, hätte mit seiner Vermutung unter Umständen falsch gelegen.
Mit den Nazis hatten beide nichts am Hut, und dies war ein gemeinsamer Nenner, der allein schon ausreichte für ein gutes Verhältnis: Wie oft nur wurde der Pfarrer vom treuen Parteigenossen Herbst, der gleich neben der Kirche wohnte, angezeigt, wenn er an einem nationalsozialistischen Feiertag das Gotteshaus entweder gar nicht oder viel zu spät flaggte, und wie oft ergriff Johannes dann Partei für den einst ungeliebten Geistlichen und verteidigte ihn nach allen Regeln der Kunst! Dann das Zusammenspiel der beiden Männer, als es um die Friedhofserweiterung ging: Johannes brauchte seinerzeit ein kleines Stück von einer Wiese, die zwar der Kirche gehörte, aber vom Pg (Parteigenossen) Herbst so, als ob sie sein Eigentum wäre, genutzt wurde. Um dem Bürgermeister, der notgedrungen schon dadurch auffallen mußte, daß er immer noch nicht der Partei beigetreten war, einen der vielen Knüppel zwischen die Beine zu werfen, die ihm als überzeugtem Nationalsozialisten zur Verfügung standen, machte Herbst Eingaben an alle möglichen Behörden, blieb zu guter Letzt aber dadurch erfolglos, daß sich der Pfarrer wie selbstverständlich an die Seite von Johannes gesellte. Seither hatten beide Männer einen unerbittlichen Feind, der, was erschwerend hinzukam, bei weitem nicht der einzige war, allerdings hatte jeder von ihnen auch einen treuen Freund gewonnen, und ein solcher war in dieser Zeit um so wertvoller, als es viel zu wenige von ihnen gab.
Johannes verstand immer weniger, was in dieser merkwürdigen Zeit vor sich ging, und dies bestimmt auch darum, weil er selbst sich bei dem, was er tat, stets vom Kopf und der von ihm hochgepriesenen Logik leiten ließ. Agnes dagegen, deren Gedanken wie bei allen Frauen, die er kannte, mehr von Herz und Gefühl bestimmt waren, konnte sich ihrerseits gerade deshalb die Schrecken, die der Führer verbreitete und die mittlerweile selbst bis in ihr Dorf vorgedrungen waren, wesentlich besser ausmalen als ihr Mann. Als Johannes ihr zum Beispiel erzählte, daß die Buckel-Anna wirklich recht gehabt hatte, schüttelte sie zwar auch den Kopf, doch wollte sie ihn damit nur glauben machen, daß er nicht der einzige war, der das Unfaßbare nicht fassen konnte. Zu gut hatte Johannes noch ihre skeptischen Worte im Ohr, die sie von Anfang an für die neuen Herrscher gefunden hatte: »Jetzt kommt Schlimmeres auf uns zu, als wir jemals gekannt haben« und »Wer so schreien muß, der kann nicht viel zu sagen haben.« Er hatte ihr zuerst immer vorgeworfen, daß sie dem Pfarrer nur nach dem Mund rede, aber wenn das vielleicht auch so gewesen war, so hatte er doch rasch begriffen, daß man sich heutzutage auf eine Seite, und zwar auf die richtige, schlagen mußte, und er hatte sich mehr als einmal darüber geärgert, daß Agnes diese Einsicht früher gekommen war als ihm. Dabei hatte er doch eigentlich nur Eintracht und Frieden im Dorf gewollt. Die Politik, so hatte er immer gedacht, werde vor den Toren von Kleeberg schon zum Stehen kommen, wen konnte es hier auch interessieren, was in Berlin oder Nürnberg vor sich ging. Seit gestern war das aber alles anders, denn die Figuren, die sich im Gebüsch versteckt hatten, um dem Pfarrer eine Lektion zu erteilen, waren keine Einbildung gewesen.
Johannes nahm sich vor, dem Geschehen der letzten Nacht nachzugehen. Nur, was sollte er tun? Wenn er es sich genau über-legte, hatte er die Gestalten im Dickicht nicht einmal richtig gesehen. Allein die Buckel-Anna hatte etwas von Augusts Sohn gefaselt, doch hatte ihr der angeblich noch geholfen, damit sie nicht verdroschen wurde. Noch einmal mit der Buckligen reden, kam nicht in Frage. Sie würde den Vorfall schon jetzt im ganzen Dorf herumtragen. Nein, Johannes beschloß, taktisch vorzugehen und das Ganze nicht an die große Glocke zu hängen. Wer würde ihm auch glauben, daß ein paar verrückte Jungen geplant hatten, den Pfarrer zu überfallen? Der Ortsgruppenleiter etwa, dieser hinterhältige Hund, oder der Kreisleiter? Je mehr er nachdachte, um so mehr war er plötzlich davon überzeugt, daß er überall auf Granit beißen würde! Vielleicht warteten sie nur darauf, daß er zu ihnen kam und sie in den Genuß versetzte, ihn zurückzuweisen. Nein, diese Genugtuung würde er ihnen nicht verschaffen – er hatte es bisher noch immer verstanden, der Partei nicht die kleinste Freude zu bereiten, und das sollte auch gefälligst so bleiben.
2.
Da war er also tatsächlich gefahren. Johannnes hätte dies damals – es sollte noch lange hin sein bis zu der Nacht, in der er den Pfarrer abholte – niemals für möglich gehalten. Agnes dagegen war gleich anderer Meinung gewesen. »Paß auf, der Franz, der ist zu allem fähig, der fährt bis nach Berlin, um dir eins auszuwischen«, hatte sie schon früher einmal gesagt. Und jetzt hatte er es tatsächlich getan. Johannes mußte, wenn er ehrlich war, zugeben, daß er sich in seiner Haut alles andere als wohl fühlte. Er wußte doch nicht, was so ein gestandener Pg in seiner grenzenlosen Verbohrtheit alles gegen ihn vorbringen würde, und, was ihn fast krank machte, war, daß er nicht die geringste Möglichkeit hatte, sich zu wehren. Wie oft würde er noch morgens in den Stall gehen und nach dem Vieh sehen können? Sollte dies nun bald für immer vorbei sein? Immer wieder las man schließlich in der Zeitung von Verhaftungen und Absetzungen: Kommunisten, Sozialdemokraten und manchmal sogar Leute des Zentrums und frühere Bürgermeister von Westerwälder Städten wurden verhaftet, Leute, die wichtige Posten bei Behörden und Sparkassen hatten, mußten gehen, und es war noch gar nicht so lange her, da hatte sogar der Landrat seinen Hut nehmen müssen. Johannes hatte nur immer gedacht – und eigentlich tat er das auch jetzt noch – daß jemand wie er viel zu unbedeutend war, als daß er der Führung ein Dorn im Auge sein konnte: er war weder ein hohes Tier noch hatte er jemals irgendeiner Partei angehört.
Wenn Franz ihn nur offen herausgefordert hätte, dann, ja dann würde er es ihm schon gezeigt haben! So wie damals im Steinbruch, als sie gewettet hatten, wer von ihnen es schneller zum Kipper bringen würde! Natürlich hatte der viel kräftigere Johannes gewonnen, und Franz war dies wohl von Anfang an klar gewesen, denn statt sich mit dem Hammer anzustrengen, hatte er den Kampf mit Worten vorgezogen und den Konkurrenten angeschwärzt, wo er nur konnte. Vergeblich allerdings, es hatte ihm am Ende wenig eingebracht, denn die Vorarbeiter waren sich einig gewesen, daß im Steinbruch der körperliche Einsatz mehr galt als alles geschliffene Reden. Auf große Worte hatte sich Franz jedoch schon immer verstanden, und mittlerweile war wohl leider seine Zeit gekommen: Johannes hatte ein wenig gebraucht, um zu verstehen, daß heute nicht mehr das zählte, was ein Mann in sich hatte, sondern das, was er von sich gab. Nein, sie beide, Franz und er, waren nun wirklich nicht die alten Freunde, zwischen die die Partei einen Keil getrieben hatte: sie hatten sich noch nie gemocht. Dabei hatte sein Widersacher anfangs, als die Nazis gerade das Zepter übernommen hatten, noch versucht, ihn auf die Probe zu stellen, war mehrfach mit Beschwerden bei ihm aufgetaucht, um zu sehen, wie er reagierte. Das letzte Mal war noch gar nicht so lange her. »Johannes, jetzt mußt du aber endlich etwas gegen den Herz unternehmen.« Wichtig und ohne Aufforderung hatte Franz sich gesetzt und sich beschwert, daß der Revierförster Herz die Parteigenossen ganz klar benachteilige: Bei kirchlichen Anlässen, zum Beispiel an Fronleichnam, gebe er frisches Grün und Tannen heraus, die Veranstaltungen der Partei müßten dagegen mit dem Abfall von den Bäumen, fast vermoderten abgebrochenen Zweigen geschmückt werden! Johannes hatte nur in sich hinein gelacht, sich vorgenommen, daß er zum Förster von nun an besonders freundlich sein wollte, und knapp geantwortet, daß sich ein Ortsbürgermeister um wichtigere Dinge zu kümmern hätte als um Tannenzweige. Franz war wieder wütend gegangen, vielleicht, so war es Johannes noch durch den Kopf gegangen, als er die Tür einmal mehr laut ins Schloß fallen hörte, vielleicht tat der andere aber auch nur so aufgeregt, denn allmählich mußte er doch wissen, daß er mit seinen Anschuldigungen hier nicht landen konnte.
»Der Unterdörfer ist nach Berlin zum Führer gefahren, der Franz, du weißt doch«, – wieder war die Buckel-Anna aufgeregt zur Tür hereingekommen, aufgeregt nach Luft schnappend, »du weißt es doch, der will dich ins KZ bringen.« Johannnes hatte dagestanden, als ob ihn der Schlag getroffen hätte. Nur Agnes, seine wunderbare Agnes, behielt die Ruhe: »Da muß er uns erst mal was können«, meinte sie nur, und Johannes fiel gleich auf, daß sie »uns« gesagt hatte. Wieder einmal erinnerte ihn die kleine Frau, die ihm seit so vielen Jahren zur Seite stand, an seine Mutter, die damals, in der schlimmen Zeit, auch nicht die Flinte ins Korn geworfen hatte, und heute, wo er oft genug in der Versuchung war, den Bürgermeisterposten