Nackenhaare auf und unter dem Hemd brach mir der Schweiß aus. Dann war der Moment vorbei, der Bann gebrochen. Ich redete mir ein, ich wäre nur mit einem Teil meiner Ausrüstung irgendwo hängen geblieben.
Eine zweiflügelige Tür führte vom Oberdeck in einen mit dunklem Holz getäfelten Salon. An den Wänden glänzten Messingbeschläge. Ein Kronleuchter hing von der Decke. Die Tische und Stühle wirkten in ihrer nüchternen Strenge fehl am Platz. Am Ende einer Treppe lag ein schmaler Gang, von dem rechts und links Türen abgingen.
»Wir haben sechs Gästekabinen«, hörte ich die Schifferin im Halbdunkel sagen. »In der Eignerkabine hab ich die Inspektorin einquartiert. Sie ist vor einer Stunde angekommen. Wir fahren los, sobald es hell ist.«
»Warum nicht gleich?«, fragte Milton. »Ist hell genug.«
»Die Schleuse öffnet um sechs«, erwiderte sie. »Krise hin oder her, Sie können die Leute nicht vierundzwanzig Stunden am Tag an ihren Arbeitsplatz anketten. Haben Sie sonst noch Vorschläge, wie ich meinen Job zu machen habe?«
Ich sah ihr nach, wie sie durch die Tür zum Crew-Bereich verschwand. Die Art, wie sie gerade auf die Dinge zusteuerte, erinnerte mich an Penny. Die beiden Frauen waren sich ähnlich; sie hätten Schwestern sein können.
Mein Quartier war königlich mit Toilette und Waschbecken ausgestattet. Ich knipste das Licht in der Badezelle an und probierte den Wasserhahn aus. Irgendwo brummte eine elektrische Pumpe. Das Wasser, das aus dem Hahn perlte, sah sauber aus, musste aber vermutlich vor dem Trinken entkeimt oder abgekocht werden. Dennoch ein unerwarteter Luxus. In der Julius-Leber-Kaserne waren wir aus großen Spezialtanks versorgt worden.
Ich knipste das Licht aus, kehrte in meine Kabine zurück und legte mich aufs Bett.
Ich erwachte, als die Maschine unter meinen Füßen zu brummen begann. Vor dem Bullauge war das violette Zwielicht der Morgendämmerung gewichen. Die Calypso legte ab, beschrieb einen engen Wendekreis und nahm langsam Fahrt auf.
Nachdem ich mich frisch gemacht hatte, ging ich an Deck. Das Licht hatte einen unwirklichen Glanz wie auf uralten Fotografien in verblassten Sepia-Tönen. In der kupferfarbenen Dämmerung wirkten die dunklen Steinwaben weit weniger bedrohlich, als noch in der Nacht zuvor im brennenden Himmel. Wir fuhren unter Brücken durch, auf denen uns Menschen zuwinkten. Auf Bänken an der Uferpromenade saßen alte Männer und Frauen, die Knäufe ihrer Gehstöcke zwischen den Fingern drehend. Sie schwatzten und warteten – ich weiß nicht worauf.
Es war ein friedliches Bild. Ein ganz normaler Morgen im Hochsommer. Von der Katastrophe, die uns heimgesucht hatte – dem Blackout, dem Ausfall der Handy-Netze, dem Benzinmangel, den Hygiene-Problemen, der Furcht – war nichts zu bemerken. Eine warme Brise wehte. Es würde ein heißer Tag werden.
Eben waren wir noch an Speichern, Bürogebäuden und Wohnhäusern vorbeigefahren, nun lag Wald zu beiden Seiten des Flusses. Wir hatten die Stadt hinter uns gelassen. Über den Bäumen stieg die Sonne auf. Man konnte vergessen, dass es derselbe Stern war, der uns gerade so viel Ärger machte. Für einen Augenblick dachte ich nicht mehr an den Tod meiner Tochter, nicht an das Scheitern meiner Ehe, nicht an die Katastrophe und auch nicht an Herold und meinen Auftrag.
Ich hatte nur Augen für den langsam aufsteigenden dunkelroten Ball.
Ein Gedanke begann in mir zu keimen, eine absurde Hoffnung. Wenn so was Riesiges wie die menschliche Zivilisation sich wieder aus dem Niedergang erheben konnte, warum nicht auch ich? Bestand nicht das chinesische Schriftzeichen für Krise aus zwei Teilen, dem Zeichen für Gefahr und dem für Chance?
Ich starrte in den Sonnenaufgang, bis das Licht greller wurde und ich mich blinzelnd abwandte.
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