Johannes Czwalina

Wer mutig ist, der kennt die Angst


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dafür Anerkennung zu bekommen.

       »Zivilcourage ist die eigentliche Anfangs- und Entstehungstugend unserer Zivilgesellschaft«

      Willy Brandt

      Willy Brandt beschrieb es treffend: »Zivilcourage ist die eigentliche Anfangs- und Entstehungstugend unserer Zivilgesellschaft. Demokratie ist aus der Zivilcou rage entstanden (oder erstritten, denn sie wurde ja nicht obrigkeitlich angeordnet) und aus ihr lebt die Demokratie. Zivilcourage ist die demokratische Tugend par excellence. Was für eine Diktatur als Bedrohung empfunden wird, ist für die Demokratie das Lebenselixier: Courage, Wachsamkeit, Kritik, Widerspruch, Abweichung, Unbequemlichkeit.«

      Helden im traditionellen Sinne braucht es in einer Demokratie kaum. Das Prinzip der Gewaltenteilung und die Medien machen das Parlament darum leider nur allzu oft zum Tummelplatz derer, die nur auf der Bühne die Mutigen spielen können. Für diese Menschen geht es nicht um Leben und Tod, sehr wohl jedoch um ihr politisches und berufliches Überleben.

      Dennoch erstarrt eine Demokratie mit einer passiven, desinteressierten und staatsgläubigen Bevölkerung ohne wirklich mutige Menschen. Es geht nicht nur in der Diktatur, sondern auch in der Demokratie darum, wem im Zweifelsfall mehr zu gehorchen ist, dem Staat oder dem Gewissen. Dieses Spannungsfeld hebt auch eine Demokratie nicht auf.

      Wenige realisieren, dass unsere Demokratie gefährdet und bedroht ist und durchaus durch Mutige geschützt werden muss. Die Bedrohung der demokratischen Freiheit kommt nicht in erster Linie von den nicht-demokratischen Regierungsformen, weil uns diese Bedrohung präsent ist. Die Bedrohung liegt vielmehr in den marktwirtschaftlichen Zwängen, die unerkannt ihre Expansion vorantreiben können, indem sie demokratische Grundwerte in kleinen Schritten an die Wand drücken. Sie tragen den Gesichtsausdruck der Freiheit, während sie in Wirklichkeit unsere Freiheit und unser Recht auf persönliche Integrität untergraben.

      Erhard Eppler erinnert sich an die Nachkriegszeit: Die Amerikaner sagten uns: »Im Nationalsozialismus seien die Menschen um des Staates willen da gewesen, in der Demokratie gebe es den Staat nur um der Menschen willen.« Wir müssen uns fragen, ob diese Aussage heute auch für die von der globalisierten Marktwirtschaft beherrschten Demokratien noch gilt.

      Es besteht ein Spannungsfeld zwischen der Freiheit der Demokratie und der Freiheit des Marktes. Ich bin überzeugt, dass die Marktwirtschaft entartet, wenn die Demokratie nicht durch ständige Zivilcourage lebendig gehalten wird.

      Früher zeigte sich die Marktwirtschaft – im Bild gesprochen – wie ein Bock, der den Gärtner bei der Gartenarbeit unterstützt hat. Heute haben wir es mit völlig abgehetzten Gärtnern zu tun, die vom Bock durch den Garten gejagt werden! Wenn sich das marktwirtschaftliche System aufgrund vernachlässigter Zivilcourage in der Politik so weiterentwickelt, dann sehe ich langfristig eine Gefahr für den Bestand der Demokratie, weil sich die Freiheit, des Marktes für einige effizienter und effektiver durch eine autoritäre Regierungsform umsetzen lässt. Dann könnte die Zeit zum Handeln bereits abgelaufen sein.

      So meint der Basler Unternehmensberater Kasper Müller: »Wichtige Kernelemente einer dauerhaft funktionierenden Demokratie sind das Maß (Metrum, Ausgewogenheit) und der friedliche Ausgleich der Macht. Gerade heute aber verlieren wir das Maß und fördern damit ein gefährliches Machtungleichgewicht.« Gilt der frühere Anspruch der katholischen Kirche »Extra ecclesiam nulla salus« nun in einem anderen Sinn: »Außerhalb der Marktwirtschaft kein Heil«?

      Wenn wir uns die amerikanische Unabhängigkeitserklärung vor Augen halten, sollten wir uns überlegen, wie viel uns die Freiheit noch bedeutet, die uns in unseren demokratischen Verfassungen rein theoretisch garantiert ist. »We hold this truth to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their creator with certain unalienable rights, that among these are life, freedom and the pursuit of happiness.«–»Wir halten diese Wahrheiten für offenbar und keines weiteren Beweises bedürftig: dass alle Menschen gleich sind, von Geburt an, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen, unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind, zu denen Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören – dass, um diese Rechte zu sichern, Regierungen unter den Menschen eingerichtet sind, welche ihre rechtmäßige Gewalt von der Zustimmung der Regierten herleiten« (Amerikanische Unabhängigkeitserklärung, 1776).

      Wir stehen vor der ethisch-politischen Gretchenfrage, ob wir am Anfang dieses Jahrhunderts noch den politischen Willen aufbringen, das unüberbotene, freiheitlich-demokratische Ideal einer Bürgergesellschaft und seine Voraussetzung der Chancengleichheit unter veränderten Umständen neu zu überdenken und Reformen zu seiner Erneuerung anzupacken. Oder ob wir das Ganze unreflektiert der Dominanz des Marktes überlassen?

      Der Zeitgeist macht ja bekanntlich blind. Das ungehemmte Treiben der Kapitalgesellschaften, der verschärfte Wettbewerb auf einem globalen Verdrängungsmarkt, der Abbau der sozialen Sicherungssysteme, Überregulierung etc. steigern langsam unmerklich den Druck auf den Einzelnen. Wir haben uns an eine neue Bedrohung unserer demokratischen Freiheit nur deshalb gewöhnt, weil wir ihr täglich begegnen und weil alle involviert sind.

      Der scheinbar wachsende Anspruch des »Marktes« auf die Seele der Menschen, ihr Familienleben, ihre Freizeit, ihre Pläne, auf die Frage, wo und wie sie leben sollen, das ist das neue Gesicht des Marktes, das anders ist als früher. Es ist das Werk unserer Zeit, das Werk unserer Gesellschaft, das Werk Ihrer und meiner Hände. Es trägt unsere Handschrift, die Handschrift des vernachlässigten Mutes.

      Im Nationalsozialismus hat es Zivilcourage gebraucht: Denn der Nationalsozialismus hat durch seine Dominanz die Werte der Dienstbereitschaft und Treue missbraucht und pervertiert.

      Im Sozialismus war Zivilcourage notwendig: Denn der Sozialismus hat ebenso vereinnahmend die Werte soziale Gerechtigkeit, Frieden und Gleichheit durch seinen Freiheit raubenden Machtanspruch missbraucht.

      Im Kapitalismus ist Zivilcourage notwendig: Denn der wirtschaftliche Geist missbraucht mit seinem dominanten Anspruch auf die Freiheit des Marktes und das Recht auf Selbstverwirklichung des Einzelnen im Grunde gerade die Werte der persönlichen Freiheit. Der Grund für seine Dominanz liegt in der vernachlässigten Zivilcourage und in dem abhandengekommenen Mut des Einzelnen.

      Alle drei Ideologien fordern Anpassung, und deswegen benötigen sie als regulierendes Prinzip Menschen mit Zivilcourage. In der heutigen Epoche ist die Dominanz des Zeitgeistes auf den Einzelnen am besten kaschiert und somit am schwersten erkennbar.

      Zivilcourage ist ein Attribut der Freiheit und die wichtigste Voraussetzung zu ihrer Erhaltung. Wo Menschen ihre Eigenverantwortung nicht wahrnehmen oder diese sich abnehmen lassen, leben sie nicht frei, sondern bevormundet.

      Heinrich Böll sagt: »Je mehr Bürger mit Zivilcourage unser Land hat, desto weniger Helden brauchen wir einmal.«

      Es gibt leider die irrige Auffassung, dass unser heutiges ziviles Leben kein Feld für Bewährung und persönlichen Mut ist. Viele meinen irrtümlich, dass in der Demokratie und der Marktwirtschaft die Tugend des persönlichen Mutes überflüssig sei. Die Gefahren, die mit einer solchen Haltung verbunden sind, haben wir deswegen in diesem Abschnitt benannt.

      Unsere Demokratie ist eine repräsentativ verfasste Demokratie.

      Dies ermöglicht theoretisch, dass die zu fällenden Entscheidungen qualitativ sehr gut ausfallen können. Dann nämlich, wenn es wirklich die Besten, die Sachkundigsten sind, die sich in den parlamentarischen Gremien versammeln.

       Ohne gelebte Zivilcourage verfällt unsere Demokratie in charakterlose Mittelmäßigkeit.

      Die Praxis sieht jedoch anders aus. Statt der Herrschaft der Überdurchschnittlichen ist das phantasiemüde, risikoscheue Politmanagement der überdurchschnittlich Durchschnittlichen angeder charakterlosen Mittelmäßigkeit, wo echte Zivilcourage ein Fremdwort ist. Wo aber gelebte Zivilcourage nicht mehr erforderlich ist, wächst die Bedrohung, dass notwendige Innovationen zu lange auf sich warten lassen und dass sich die bestehenden Systeme »dominant« entfalten können. Schon Theodor Fontane (1819 – 1898) prägte den Satz: Am Mute hängt der Erfolg. Der politische