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Antoon van Dyck: „Charles I. at the Hunt“, ARTOTHEK
Für Miriam
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-86506-924-5
Copyright © 2016 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers
Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers
Titelfoto: „Charles I. at the Hunt“, ARTOTHEK
Satz: Brendow Web & Print, Moers
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016
Inhalt
Anmerkung
Obwohl viele Personen, denen mein Held Maximilian während seiner Reise begegnet, in die Biografien historischer Charaktere geschlüpft sind, handelt es sich um fiktive Figuren. Ihre Lebensdaten sind zwar im Wesentlichen korrekt, die meisten Eigenschaften und Erlebnisse wurden aber dazugedichtet.
Das gilt auch für die geschichtlichen Zusammenhänge: Bei allem Bemühen um Genauigkeit gibt mein Roman eher einen Einblick in grundlegende Prozesse der europäischen Vergangenheit als in historische Datierungen. So ist es zum Beispiel unwahrscheinlich, dass Lukian im Jahr 175 noch durch Kleinasien gezogen ist – auch wenn die Möglichkeit besteht.
Andererseits, wer weiß: Vielleicht stimmt ja doch alles.
Prolog
1640 Der Wind hatte gedreht und trieb jetzt aus dem offenen Meer größere Wellen vor sich her, sodass die Fleute, ein kleiner holländischer Dreimaster, zu schlingern anfing. Fluchend kamen einige Seeleute aus dem Inneren des Schiffs, um die Stellung der Segel zu korrigieren. Die schrille Stimme des Mannes an der Ruderpinne huschte wie das Kreischen eines Vogels über Deck, bevor das schnelle Gefährt nach wenigen Augenblicken wieder gleichmäßig gegen die Bewegungen des Wassers anstampfte.
Am Bug des Schiffes stand ein junger Mann, der von all dem nichts bemerkte. Er starrte konzentriert vor sich in die milchige Luft und wartete darauf, dass sich die Konturen der englischen Küste zeigten. Doch jedes Mal, wenn er zwischen den tief liegenden Wolken und den leichten Regenfäden etwas zu erspähen meinte, verschwamm das Trugbild wieder. Ungehalten schüttelte er sein dichtes blondes Haar und zog den Schultermantel, der herabgeglitten war, enger um sich. Die Feuchtigkeit der Luft ließ ihn zittern.
Der Reisende war nach der neuesten Mode gekleidet – mit Schoßwams, knielanger Hose, Stulpenstiefeln und einem weißen Kragen, der sich wie zwei Hände um seinen Hals legte. Trotzdem sahen die vornehmen Kleidungsstücke abgetragen aus. Um sich zu vergewissern, dass ihn niemand beobachtete, drehte er sich kurz um und blickte prüfend über das vollgestellte Deck, bevor er eine Taschenuhr aus seinem Wams zog und verstohlen darauf schaute.
‚Ich werde London niemals vor zwölf erreichen‘, durchfuhr es ihn, als er sah, dass es bereits kurz nach sechs war, ‚heute Nacht sterbe ich!‘ Der Gedanke gefiel ihm. Er zuckte mit den Achseln, steckte die Uhr zurück und entspannte sich. ‚Vielleicht ist es besser so. Ich ertrage dieses verfehlte Dasein ohnehin nicht mehr. Ich gehöre hier nicht her! Jeder Mensch braucht einen Ort, an dem er zu Hause ist.‘
Seine Finger krallten sich um die raue Reling, und sein Blick glitt in die schäumenden Strudel, die sich hinter dem eintauchenden Bug der Fleute bildeten; kleine auseinander driftende Bewegungen, in denen winzige Algenstücke hin- und hergerissen wurden. Unzählige Luftblasen sprudelten unter dem Boot hervor, als sprängen sie zur Seite.
Der junge Mann wankte leicht. ‚Ein Leben, das man nicht selbst bestimmen kann, ist keines. Oder doch? Nein! Wenn man nur noch vom Sog der Zeit mitgerissen wird, verliert man sich. Ich kann nicht leben, ohne zu wissen, warum!‘
Er zog den Mantel am Hals zusammen und blickte auf die vibrierenden Schiffsplanken hinunter. Seine Finger zuckten fast unmerklich zurück, als sie sich berührten. ‚Irgendjemand spielt ein Spiel mit mir und ich kann nichts dagegen tun. Obwohl: Eines bleibt mir immer noch.‘ Er schauderte, weil ihn der Gedanke so selbstverständlich in Besitz nahm: ‚Wenn ich jetzt hier ins Wasser springen würde, dann hätte ich wenigstens ein kleines Stück Freiheit, einen kurzen Augenblick einen eigenen Willen. Ich wäre ein einziges Mal Herr der Lage.‘
Der Reisende spürte vor Erregung nicht, dass er die Fäuste geballt hatte und sie an den Körper presste: ‚Ich bin nur ich, wenn mein Dasein einen Einfluss auf diese Welt hat. Alles andere ist unerträglich, ja, wahrscheinlich ist meine Hilflosigkeit das Allergrausamste. Ich bin hier und kann nichts dagegen tun. Ich will hier weg und bin völlig machtlos. Aber nicht bis zum Letzten: Ich kann meinem Leben selbst ein Ende setzen. Vielleicht bewahre ich mir damit das bisschen Stolz, das mir geblieben ist.‘
Der Reisende grübelte noch einige Minuten, in denen er immer mehr zusammenzufallen schien, dann zuckte er noch einmal leicht mit den Schultern, richtete sich mit einem Ruck wieder auf und öffnete bestimmt und mit kleinen, ruhigen Bewegungen die Knöpfe seines Wamses.
Als er den Mantel und das Gewand abgelegt hatte, zog er die Stiefel aus und stellte sie ordentlich neben das Ankertross. Er versuchte ein letztes Mal, am dunkler werdenden Horizont eine feste Linie oder ein Licht zu finden, doch der Wind durchzog die Luft nach wie vor mit Schlieren aus Wasser und Dunst und versperrte die Sicht.