Katherine V. Forrest

Die Tote hinter der Nightwood Bar


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Am Ende der beiden Häuserreihen waren zwei weitere Geschäfte dem Automobil gewidmet, das eine hatte sich auf Volkswagen und Audi spezialisiert, das andere verkaufte Bremsen und Stoßdämpfer. Ein für diese Gegend absolut typischer Häuserkomplex im Wilshire-Polizeidistrikt von Los Angeles – mit einer Ausnahme.

      Kate betrachtete das Casbah Motel und fragte sich, wieso ihr trotz der vielen Male, die sie durch diese Straßen gefahren war, niemals aufgefallen war, wie anormal dieses Motel inmitten dieser Anzahl kleiner Geschäfte und Schnellimbiss-Restaurants entlang der Avenue wirkte. Es war quer zum Hang gebaut, und sein exotischer Name widersprach seinem anspruchslosen Äußeren: ein einfaches Holzgebäude, dunkelbraun gestrichen mit einem breiten Querstreifen in hellerer Farbe, der sich unterhalb der Fensterreihe des zweiten Stockwerks entlangzog. Tropengewächse und Palmen schmückten mit ihrer mächtigen, verstaubten, abgeklärten Erscheinung ewigen Daseins die Straßenfront des Motels. Vis-à-vis befand sich ein kleines Café, auf dessen Fes-förmigem Schild »Türkische Spezialitäten« stand. Höchstens vierundzwanzig Zimmer, schätzte Kate, und nichts von der sonst fast greifbaren Schmuddeligkeit eines Stundenmotels. Soweit ihr bekannt war, zählte das Casbah Motel nicht gerade zu den wildesten Etablissements ihres Polizeibezirks.

      Der Parkplatz oben auf dem Hügel schien gleichermaßen dem Motel, dem Café und der Nightwood Bar zu dienen. Kate kroch unter dem Absperrband durch und kletterte den steilen Hang hinauf. Sie presste ihre rutschigen Schuhsohlen fest gegen den rauen Asphalt, um besseren Halt zu haben, und grinste über Taylors erschöpftes Schnaufen.

      Eine breite Fläche blendend weißer Kieselsteine grenzte ein kaffeebraunes Holzhaus mit einem Dach aus schwarz-braunen Schindeln vom Parkplatz ab. Niedrige Nadelbäumchen wuchsen gruppenweise aus den Steinen hervor, der braune Hintergrund ließ ihr Grün umso leuchtender erscheinen. Das einsame Vorderfenster wurde von lilafarbenen Neonbuchstaben erleuchtet: Nightwood Bar.

      »Irre«, kommentierte Taylor, »aber nett und adrett.«

      Der Parkplatz, auf dem vielleicht ein Dutzend Wagen geparkt waren, zog sich noch weiter um die Nightwood Bar herum, allerdings hatte Kate von ihrem Standort aus keinen Einblick in diesen Teil des Platzes. Einige Dutzend Schaulustige, vermutlich Kunden aus den Geschäften am Hang, standen zusammengedrängt hinter einem weiteren Absperrband auf der Motelseite dieses Teils. Kate bog um die Ecke des dunklen Holzhauses und blieb dann stehen.

      Der Tatort war wie üblich eingezäunt. Weniger üblich war, dass es keinen gekennzeichneten Weg zur Leiche gab, einer weißen Gestalt, der Kate nur einen kurzen Blick zuwarf. Ein asphaltierter Parkplatz bot zwar nicht die gleichen Probleme der Spurensicherung wie ein unbebautes Grundstück oder eine öffentliche Straße, aber, dachte Kate missbilligend, derartige Vorsichtsmaßnahmen sind nun einmal unerlässlich. Sie trat bis zum Rand des hüfthohen Absperrbandes vor, das sich von der einen Ecke der Nightwood Bar bis zum Casbah Motel spannte, und sah sich das Gelände sorgfältig an.

      Der Ort des Verbrechens bestand aus einer rechteckigen Fläche mit nur zwei Zugangsmöglichkeiten – dem vorderen Parkplatz und der Hintertür der Nightwood Bar. Vom dicht belaubten Abhang grenzte ihn seitlich und am hinteren Ende ein hoher Holzzaun ab. Innerhalb des Rechtecks befanden sich drei Dinge: ein Müllcontainer, ein beigefarbener VW-Bus Jahrgang sechzig mit zurückgeschobener Tür und eine weiß bekleidete Leiche.

      »Sergeant Hansen«, rief Kate zu der Gruppe Polizisten hinüber, die sich vor der Hintertür der Nightwood Bar versammelt hatte. Hansen nickte Kate und Taylor zu und kam zu ihnen.

      »Hier muss eine Wegkennzeichnung hin.« Sie zeigte, wo. »Quer hinüber, von dieser Seite hier.«

      Er nickte erneut. »Wir haben auf Ihre und Eds Anweisungen gewartet, Kate. Die Barinhaberin hat das Opfer gefunden, Deems und Foster waren zuerst hier, ich hab sie mir angesehen. Dann haben wir alles abgesperrt.«

      »Gute Arbeit, Fred. Hervorragend.« Als Vorgesetzte war sie froh darüber, einen offenbar unversehrten Tatort vorzufinden und die Ermittlungen nicht mit einem Rüffel eröffnen zu müssen, selbst wenn die Liste der von Hansen falsch ausgeführten Untersuchungen einen solchen gerechtfertigt hätte.

      Hansen sah auf sein Klemmbrett hinunter. »Viel haben wir noch nicht. Das Opfer heißt Dory Quillin.« Er buchstabierte den Namen. »Einundzwanzig, sagt die Besitzerin von der Bar. Sieht aber nicht so aus. Sie sieht aus …«

      Hansens Stimme schien höher zu sein als sonst, und Kate sah von ihrem Notizbuch auf. Sein Blick war auf einen Punkt irgendwo hinter ihren Schultern gerichtet. »Ich weiß nicht«, sagte er, »mein Gott, ich weiß nicht, sie sieht aus wie … sie ist noch ein Kind.«

      Der sauertöpfische Hansen, der bereits an unzähligen Ermittlungen zum Tod junger Opfer teilgenommen hatte, ließ sich gewöhnlich durch nichts so leicht aus dem Gleichgewicht bringen. Offensichtlich hatte irgendetwas an diesem Mord die stählerne Schutzmauer seines vierzehnjährigen Polizeidienstes durchbrochen. Sie wusste, ihm war diese Betroffenheit nicht lieb, ihr wäre es genauso gegangen. »Was haben wir denn sonst noch?« fragte sie aufmunternd.

      Hansen blickte wieder auf sein Klemmbrett. »Linke Schläfe zertrümmert.« Seine Stimme gewann wieder an Kraft. »Baseballschläger, liegt am Tatort. Aluminium.«

      »Wann?«, fragte Taylor, ohne den Blick von seinem Notizbuch zu heben.

      »Dem Aussehen nach zu schätzen höchstens vor einer Stunde. Sie war gerade vom Baseballspiel zurückgekommen. Sie …« Hansens Stimme brach ab.

      »Also was?«, fragte Taylor ungeduldig. »Irgendwelche Verdächtigen? Zeugen?«

      Hansens Augen richteten sich erneut auf einen Punkt hinter Kates Schulter. »Jede Menge möglicher Zeugen. Alles Frauen, alle aus dieser Bar da, Ed.« Er wartete, bis Taylor aufsah. Dann wies er zur Nightwood Bar hin. »Das ist ’ne … nur für Frauen.«

      Kate drehte sich unwillkürlich um und starrte zur Nightwood Bar hinüber. Eine Lesbenbar. In so einer Bar war sie seit Ewigkeiten nicht mehr gewesen, nicht mehr seit …

      Sie zwang sich in die Gegenwart zurück und konzentrierte sich wieder auf Hansens Worte. »Wir haben alle befragt, Namen und Führerscheinnummern notiert – hat nicht viel gebracht. Außer der Besitzerin verweigern alle die Zusammenarbeit.«

      Taylor kratzte sich am Kopf und strich sich ein paar Strähnen seines schütteren blonden Haars über seine kahle Stelle. »Was ist mit Deems? Waren die bereit, mit Deems zu reden?«

      »Bei ihr wurden sie erst recht feindselig.« Taylor stöhnte auf und verdrehte die Augen. »Ist mir doch egal, ob das Lesben sind. Von mir aus können sie vom Mars kommen. Warum müssen die alle immer so bescheuert sein, herrgottverdammtnochmal!«

      »Jede verfolgte Minderheit«, dozierte Hansen, als zitiere er aus einer Abhandlung, »neigt dazu, sich gegenüber den Symbolen ihrer Verfolgung feindlich zu verhalten.«

      »Ach Scheiße«, knurrte Taylor.

      Kate grinste ihn an. Es war, wenn auch auf unverschämte Weise, rasch und klar ausgesprochen worden, was das für Frauen waren, und sie war froh darüber. An Hansen gewandt sagte sie: »Aber die Besitzerin der Bar hat mit Ihnen gesprochen?«

      Hansen sah auf seine Aufzeichnungen. »Magda Schaeffer.« Er buchstabierte den Namen. »Das habe ich von ihrem Gewerbeschein, nicht von ihr. Sie wurde etwas kooperativer, als ich ihr zu verstehen gab, dass es durchaus Anlass gäbe, ihr was anzuhängen.« Hansens Gesicht nahm wieder grimmigere Züge an. »Von wegen Alkoholausschank an Minderjährige. Kate, das Opfer, also wenn die einundzwanzig ist, dann bin ich …«

      »Gefälschter Ausweis«, sagte Taylor gelangweilt. »Wetten, dass wir so was bei ihr finden? Gibt es sonst noch was? Wo hat sie gewohnt?«

      »Exakt hier.« Hansen zeigte auf den Bus. »Die Schaeffer sagt, dass sie ihn meistens hier abgestellt hat oder am Strand.«

      Kate sah sich das ramponierte Gefährt genauer an. »Wir werden ihn beschlagnahmen. Eltern? Verwandte?«

      »Eltern – in West Hollywood, meint die Schaeffer. Die anderen Frauen hier behaupten, sie hätten das Opfer nur flüchtig gekannt. Das ist bislang alles.«

      Kate