Volker Schult

Manila oder Revolution und Liebe


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      Alle Augen drehten sich fast zur selben Zeit in die gleiche Richtung. Schon bald konnten auch die anderen Offiziere sie mit eigenen Augen sehen: Vor dem nunmehr hellen, blauen Himmel hob sich die ehrfurchtgebietende Silhouette der spanischen Schiffe ab.

      Hier war sie also, die stolze spanische Flotte.

      Sie ankerte vor dem befestigten Marinearsenal von Cavite, direkt gegenüber der Stadt von Manila. Geschützt durch die Kanonen von Cavite wollte sie sich zum Kampf stellen.

      Mit etwas Enttäuschung mussten die Amerikaner feststellen, dass die spanische Flotte mit ihren sieben Kriegsschiffen zwar zahlenmäßig einigermaßen ebenbürtig war, aber sie bei näherem Betrachten eher altertümlich wirkten und ungepanzert waren. Anscheinend hatte der spanische Admiral Patricio Montojo seine Flotte bewusst hierher in seichte Gewässer beordert, damit die Seeleute im Ernstfall wenigstens eine Chance hätten, an die Küste zu gelangen, wenn ihre Schiffe in Grund und Boden gebohrt werden würden.

      Ungerührt befahl Dewey seinen Schiffen Gefechtsformation einzunehmen. An der Spitze befand sich Deweys Flaggschiff Olympia gefolgt von den anderen Kreuzern. Das Geschwader verfügte insgesamt über dreiundfünfzig Geschütze schweren Kalibers.

      Auch die Spanier waren bereit. Ihre Flotte war halbkreisförmig vor Cavite positioniert. Stolz wehten die rot-gelben Flaggen Spaniens über den Schiffen. Hochrufe auf König und Gott schallten herüber und die Flaggen zeigten Gefechtsbereitschaft an.

      Anspannung pur. Alle Geschützrohre waren auf die Spanier gerichtet. Alle Mann auf Gefechtsstation. Sie warteten mit ernsten Mienen auf den entscheidenden Befehl. Nur die Maschinen stampften monoton und unbeeindruckt von der heiklen Lage vor sich hin.

      Schon flogen den Amerikanern die ersten Granaten entgegen - und schlugen weit entfernt ins Meer ein. Je näher die Amerikaner kamen, desto heftiger wurde das Feuer. Aber immer noch ungenau. Dann explodierte ein Geschoß direkt über Olympia.

      Alle Mann schauten erschrocken nach oben. Das aber war das Signal für Dewey.

      Mit festentschlossener Stimme rief er dem Kapitän von Olympia zu: „Sie dürfen feuern, sobald Sie bereit sind, Franklin!“

      Es brach ein unglaublich heißer Tag an. Windstille.

      Plötzlich aus einer Entfernung von fünfeinhalb Kilometern spie das 20,3 Zentimeter Geschütz im vorderen Turm auf der Steuerbordseite seine Granate mit einer orangefarbigen Flamme aus. Unmittelbar danach schleuderten die beiden nachfolgenden Kreuzer ihre über einhundert Kilogramm schweren Granaten gegen den Feind.

      Die Spanier antworteten. Nun schon genauer. Schrapnellsplitter ließen Wasserfontänen hochspritzen oder schlugen an die Außenwand von Deweys Flaggschiff. Dann flog eine Granate direkt auf die Brücke von Olympia zu.

      Schrecksekunde! Alle erstarrten. Das war’s, dachten die Offiziere.

      Nur einhundert Meter entfernt fiel die Granate vorher aber ins Meer.

      Aufatmen! Das war knapp. Erleichterung machte sich breit.

      Auf beiden Seiten wurde ohne Unterlass Granate auf Granate auf den Gegner abgefeuert. Wasserfontäne auf Wasserfontäne spritzte empor, als die Geschoße ins Meer einschlugen. Nur wenn der Qualm zu dick wurde, unterbrach man für kurze Zeit das Feuern.

      Neben der tropischen Sonne setzte den Matrosen die fast unerträgliche Hitze an den Geschützen zu, die Salve auf Salve abfeuerten. Lediglich mit Unterhose und Schuhen bekleidet schoben die Artilleristen Granate auf Granate in den Schlund ihrer Kanonen. Der Pulverdampf ließ sie fast ersticken und ihre Augen tränten unaufhörlich, machte sie fast blind. Nur der festentschlossene Wille als Sieger das Schlachtfeld zu verlassen, ließ sie unermüdlich weitermachen.

      Jede abgefeuerte Salve erschütterte das Schiff. Die Vibrationen waren so groß, dass die Männer sich kaum auf den Beinen halten konnten. Einige fielen um. Hitzeschlag. Die Sonne brannte unerbittlich vom Himmel. Die Matrosen mussten in die Sanitätsabteilung zur ärztlichen Behandlung transportiert werden.

      Im vorderen Kojendeck stieg die Temperatur auf fast siebenundvierzig Grad Celsius. Verglichen mit dem Maschinendeck war das aber fast kühl. Hier zeigte das Thermometer noch höhere Temperaturen an. Unvorstellbar, wie das ein Mensch aushalten konnte. Es herrschte eine geradezu unmenschliche Hitze, die nur mit dem Höllenfeuer verglichen werden konnte.

      Die US-Kriegsschiffe fuhren in disziplinierter Reihe mit sechs Knoten Geschwindigkeit in einem vier Kilometer großen Kreis an den spanischen Kriegsschiffen vorbei, wobei sie zunächst ihre gesamten Backbordkanonen abfeuerten und anschließend ihre Steuerbordwaffen einsetzten. Von ursprünglich fünf Kilometer Entfernung kamen sie sich bei jedem neuen Anlauf näher. Dies geschah unablässig, ohne dass die US-Schiffe auch nur ernsthaft in Gefahr gerieten.

      Allerdings nahm die Treffgenauigkeit mit der Dauer des Gefechts ab, weil sich immer dichtere Rauchwolken zwischen die Schiffe schoben. Doch während der ersten zwanzig Minuten wurden die Spanier bereits schwer und wiederholt getroffen.

      Außerdem fuhren die spanischen Schiffe ziellos in der Gegend herum und standen sich teilweise selbst im Weg, sodass sie das Feuer auf die Amerikaner nicht eröffnen konnten. Wenn der Weg dann mal frei war, schossen sie zahlreiche Salven ab, ohne jedoch präzise zu sein.

      Die amerikanischen Kanoniere konnten bald mit bloßen Augen den Verlauf ihrer Geschosse verfolgen, da sich die Schiffe immer dichter an den Gegner heranschoben. Nackt bis zur Taille, schmutzig vom Pulverruß, ihre Köpfe mit nassen Handtüchern versehen, in Schweiß gebadet, der in immer größeren Rinnsalen über ihre schweißglänzenden Körper lief, wuchteten sie unaufhörlich Granate auf Granate, die zwischen fünfundvierzig und über einhundert Kilogramm wogen, in die riesigen Geschütze. Das alles unter einer tropischen Hitze, die das Pech in den Decks zum Schmelzen gebracht hatte.

      Über zwei Stunden dauerte die Seeschlacht nun schon. Die Nerven der Männer auf allen Schiffen waren mittlerweile zum Zerreißen gespannt. Leutnant Drake vom Kreuzer Raleigh stieg in das Munitionsdepot hinab, um seinen Männern zu berichten, wie sich draußen die Gefechtslage entwickelt hatte, bevor die Männer unruhig werden würden. Während er noch die Leiter in das Schiffsinnere hinunterstieg, meinte er, Laute zu vernehmen. Als Leutnant Drake der Pulverkammer näher kam, hörte er die Klänge einer Fiedel begleitet von einer Gitarre.

      Dann glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. In der vorderen Magazinkammer standen Männer aufgereiht auf dem Deck, bekleidet mit kurzen Hularöckchen angefertigt aus Jutesäcken und vollführten eine burleske Tanzaufführung. Zu den Klängen von „There´ll Be a Hot Time in the Old Town Tonight“ sangen sie im Chor. Dieses Lied sollte schon bald einer der populärsten Songs des ganzen Krieges werden. Als die Männer den Leutnant erblickten, beeilten sie sich wie wild auf ihre Stationen zu kommen. Aber Leutnant Drake war nur hochgradig amüsiert und rief ihnen zu: „Männer, wir haben sie. Die Dons sind auf der Flucht. Ich kenne das Lied, das ihr da spielt nicht, aber es ist echt ein Mordslied. Ich will, dass die Klänge auch das Oberdeck erreichen! Also, haut in die Tasten Jungs!“

      Und während der restlichen Zeit des Gefechts drang die Musik bis zu den Männern an den Artilleriegeschützen und munterte sie auf.

      Das Feuer der Amerikaner konzentrierte sich zunehmend auf den ungepanzerten Kreuzer Reina Cristina, das Flaggschiff des spanischen Admirals. Mit dreitausendfünfhundert Tonnen Wasserverdrängung und sechs 18,8 Zentimeter Geschützen war es das größte Schiff der spanischen Flotte. Der Kreuzer versuchte wie ein von einem Sturm aufgeschrecktes Ross sich dem Feuer zu entziehen. Vergebens. Schon bald stand Reina Cristina bugwärts in Flammen.

      Eine weitere Granate sauste auf das Schiff und traf es. Ein 15,2 Zentimeter Geschoss riss ein gezacktes Loch unter das Heck, aus dem der Rauch eines anderen Feuers drang. Direkt in diese offene Wunde schlug eine weitere Granate ein, die einen heftigen Schwall von Flammen und Rauch durch Luken und weiteren Öffnungen freisetzte. Dann schoss ein Strahl von weißem Dampf aus dem hinteren Schornstein hoch in die Luft hinaus und der Kreuzer Reina Cristina schlingerte mit Kurs auf Cavite hin und her, bis das Flaggschiff schließlich vor den Festungswällen auf Grund lief.

      Die Flagge des spanischen Admirals