Volker Schult

Manila oder Revolution und Liebe


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Mahagoni gefertigten dunklen Schreibtisch. Hinter ihm thront eine Statue von Königin Victoria. Genauso dunkel wie der Schreibtisch ist auch die Miene des Gouverneurs. Sogar die vier Brandy, die er schon zu sich genommen hat, können seine Stimmung nicht aufheitern. Dabei dauert es eigentlich noch zwei Stunden, bis die Zeit für den traditionellen Sundowner in den Tropen angebrochen ist. Die Wangen des zweiundsechzigjährigen Sir Charles haben eine glühend rötliche Farbe angenommen, die nicht nur der Tropensonne geschuldet ist.

      Auch der Blick aus dem jalousieartigen Fenster, der an den standbildhaften Säulen vorbei auf die an die berühmten englischen Gärten erinnernden imposanten Außenanlagen geht, muntert Sir Charles nicht auf. Seine Stimmung ist düster, sehr düster. Seine ohnehin enganliegenden Augen mit den dunklen, dichten Augenbrauen scheinen nur noch schmale Schlitze zu sein. Immer wieder fährt er sich mit den Fingern seiner linken Hand nervös über seinen Vollbart, der mit dem Schnauzer zusammengewachsen seinen länglichen Kopf umrahmt.

      Ihm gegenüber sitzt sein Stellvertreter Francis Burton, dem die Sorgenfalten auch deutlich auf die Stirn gezeichnet sind.

      Mit zusammengezogenen Augenbrauen und tiefer, ernster Stimme wendet sich Sir Charles an seinen Stellvertreter: „Diese verdammten Deutschen. Davongeschlichen haben sie sich. Aus meinem Singapur“, dabei haut Sir Charles wutentbrannt mit seiner rechten Faust auf den Schreibtisch. Francis Burton schrickt hoch.

      „Alle haben versagt! Jawohl, versagt!“, setzt der Gouverneur aufgewühlt seine Tirade fort.

      „Fort ist er, der Geheimbericht. An Bord von Iltis. Eine verfluchte Sauerei ist das. Alle haben versagt!“, wiederholt Sir Charles, weiterhin wutentbrannt.

      „Unsere Agenten, die Chinesen, die wir für teures Geld angeworben haben. Verdammte Schlitzaugen. Was soll ich jetzt nur nach London berichten? Peinliche Angelegenheit“, bei diesen Gedanken etwas kleinlauter werdend.

      „Erzählt der verfluchte Kurz unserem Hafenkommandanten von Penang etwas von Schießübungen, die die Deutschen vor der benachbarten Insel Langkawi abhalten wollen. Der glaubt das auch noch und ist froh, dass das Abfeuern der Schiffsgeschütze außerhalb von Penang stattfindet und er seine Ruhe hat. Und was hat der teuflische Deutsche im Sinn?“

      Die kurze Pause nach dieser Frage, die Burton zu Recht als eine rhetorische interpretiert, nutzt der Gouverneur, um an seinem Glas Brandy zu nippen.

      „Natürlich, er will auskundschaften, ob Langkawi für das Deutsche Reich als Marinestützpunkt geeignet ist. In unserem Einflussgebiet. Konkurrenz zu unserem Penang. Damit die Deutschen auch den Eingang zur Straße von Malakka kontrollieren können. Und das alles für seinen angeberischen, bei jeder Gelegenheit tönenden Kaiser Wilhelm. Man darf das von einer kaiserlichen Hoheit eigentlich nicht sagen, aber ein Großmaul ist Seine Majestät schon. Jawohl!“

      Und haut, wie um diese Worte zu unterstreichen, mit der Faust wieder auf den Tisch.

      „Von der Empfehlung von dem Kurz hängt es ab, ob die Teutonen Langkawi in ihren Besitz bringen wollen. Wir müssen erfahren, ob er diese Insel als geeignet ansieht oder nicht, damit wir handeln können. So nahe waren wir an dem Geheimbericht schon dran. Hier in Singapur. In unserer Kronkolonie. Und dann macht der verdammte Deutsche Tabularasa und entkommt aus der Falle, die wir ihm in Chinatown gestellt haben. Serviert der Kurz doch tatsächlich die Kerle, die ihm aufgelauert haben, ab. Na gut, Respekt. Muss man ihm schon lassen. Gegen eine Übermacht. Dabei sind diese dummen Schlitzaugen dort zu Hause. Außer am Hafen stehen und der davondampfenden Iltis irgendwelche Flüche hinterher zu rufen, fällt denen dann auch nichts mehr ein. Dummköpfe!“, ruft Sir Charles unwirsch aus und schüttelt den Kopf.

      Von seinem Redeschwall erschöpft, lässt er sich nach hinten an die Lehne seines Sessels sinken. Seine Arme rudern hilflos hin und her.

      „Alles, was meine Agenten mir dann berichten können, ist, dass ihnen aufgefallen ist, dass in der Entourage von Prinzessin Irene, der Ehefrau von Prinz Heinrich, dem Bruder dieses Angebers Wilhelm Zwo, anscheinend jemand fehlt und nicht mit abgereist ist. Angeblich die erste Hofdame. Das fanden die sehr merkwürdig. Und hatten nichts Besseres zu tun, als mir davon zu berichten. Ja, und wenn schon. Interessiert mich nicht. Diese Luschen. Mich interessiert nur dieser verdammte Ge - heim - be - richt“. Dabei jede einzelne Silbe betonend.

      Mit seinem Taschentuch wischt sich Sir Charles den Speichel aus den Mundecken und fährt anschließend mit demselben Tuch über seine schweißnasse Stirn. Mit einem weiteren kräftigen Schluck Brandy versucht er seine Nerven zu beruhigen.

      Stille im Raum. Nur das hastige Atmen von Sir Charles ist zu hören. Selbst draußen stellen die Zikaden ihr ansonsten ohrenbetäubendes, scharfes schnarrendes Rasseln vorübergehend ein.

      Mit betont ruhiger Stimme bemerkt Francis Burton nur: „Sir Charles, Sie haben vollkommen recht.“

      Diese wohlgesetzten Worte - schließlich kennt Francis Burton seinen Chef schon lange - scheinen eine beruhigende Wirkung zu haben.

      Mit leiser, ja überraschend sanfter Stimme, fragt der Gouverneur seinen Stellvertreter seufzend: „Was schlagen Sie vor, Francis?“

      „Was meinen Sie?“, fragt der Erste Offizier seinen Steuermann. „Wie lange können wir diesen Kurs fortsetzen, bis wir uns entscheiden müssen, ob wir Hongkong anlaufen oder direkt nach Tsingtau fahren?“

      „Nicht mehr lange, Käpt´n. Vielleicht noch drei oder vier Stunden. Dann müssen Sie eine Entscheidung treffen.“

      Ruhig dampft das Kanonenboot Iltis durch die noch sanft rollenden Wellen des dunkelblauen Südchinesischen Meeres. Nur in Hans Thomsens Kopf ist es nicht ruhig. So manche Gedanken schwappen durch sein Gehirn.

      Thomsen steht mit seinen Gedanken alleine auf der Kommandobrücke. Entscheidung treffen, geht es durch seinen Kopf. Die Krankheitslage seines Vorgesetzten Kapitänleutnant Wilhelm Kurz ist alleine ausschlaggebend. Wo kann er am besten behandelt werden? Die richtige Antwort steht eigentlich außer Frage. Natürlich in Tsingtau von unseren tüchtigen deutschen Ärzten.

      Selbstredend.

      Aber es schleichen sich Zweifel in diesen Gedankengang ein. Was ist, wenn sich der Gesundheitszustand vom Kapitän verschlechtert? Zurück nach Singapur? Noch ist Iltis nicht allzu weit entfernt. Eine Umkehr wäre jederzeit möglich. Oder doch Zwischenstation in Hongkong machen? Dort soll es auch recht gute Hospitäler und Ärzte geben. Wenn auch nur Engländer.

      Quälend nisten sich diese Gedanken in Hans Thomsens Kopf ein.

      Zurück nach Singapur wäre die schnellste Möglichkeit.

      Kurzes Nachdenken.

      Ja, das sollte, nein, das müsste Thomsen im Hinblick auf den besorgniserregenden Gesundheitszustand von Kapitänleutnant Wilhelm Kurz befehlen. Also gut. Umkehr nach Singapur.

      Schon will er den Befehl geben, als ihn ein anderer Gedanke zögern lässt.

      Hans Thomsen denkt noch einmal an die Abreise aus Singapur. Irgendetwas war anders, ja geradezu ungewöhnlich, wenn er jetzt genauer darüber nachdenkt.

      Seit der Abreise aus Kiel im Februar des Jahres hat Hans Thomsen seinen Kapitän Wilhelm Kurz als einen ruhigen und umsichtigen Kapitän kennen und schätzen gelernt. Geradezu unaufgeregt hat er alle Beschwernisse, wie das mühselige und demütigende Kohlen im englischen Colombo auf der Insel Ceylon, hingenommen. Auch seinen Geheimauftrag zur Erkundung der Insel Langkawi als möglichen deutschen Stützpunkt am Eingang zur strategisch wichtigen Straße von Malakka hat er bravourös gemeistert. Doch dann muss irgendetwas in Singapur vorgefallen sein.

      Kapitän Kurz hat sich in den Tagen in Singapur verändert. Er war kaum an Bord. Klar, als Kapitän der kaiserlich-deutschen Marine hatte er zahlreichen Verpflichtungen nachzukommen. Außerdem wollte er einen alten Schulkameraden, der bei dem dortigen Handelshaus Behn, Meyer & Co. angestellt war, treffen. Hinzu kam noch der Besuch Ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Irene von Hessen-Darmstadt, Gemahlin des Kaiserbruders und Kommandeurs des Ostasiatischen Kreuzergeschwaders, Prinz Heinrich von Preußen.

      Soweit ist alles nachzuvollziehen, sinniert Hans Thomsen vor sich