dieser Chinesenclans für sich gewinnen können, weil sich der Deutsche wohl mit der Tochter des Clanchefs eingelassen hat. Jeder, der die Chinesen auch nur einigermaßen kennt, weiß, dass das mehr als nur verrückt ist. Das gleicht einem Todesurteil.
Aber wie auch immer, wir müssen unbedingt in Erfahrung bringen, ob diese verdammten Deutschen Langkawi tatsächlich als einen möglichen Stützpunkt betrachten, um rechtzeitig im Vorfeld tätig werden zu können.
Ihnen kommt eine Aufgabe von äußerst hoher Bedeutung zu, Kapitän Rochester. Hier nun der Plan: Wir gehen folgendermaßen vor …“
Während Sir Henderson das Vorhaben ausbreitet, wird Kapitän Rochester immer bleicher, will Widerspruch einlegen, wird aber energisch von Sir Henderson zurechtgewiesen, versinkt immer tiefer in seinen Sessel und stürzt das dritte Glas Scotch hinunter.
Als Kapitän Rochester etwas später den Gouverneurspalast verlässt, verschmäht er die bereitgestellte Kutsche und begibt sich stattdessen zu Fuß durch die noch immer anhaltende nächtliche tropische Hitze Hongkongs. Schon bald ist seine Uniform schweißdurchtränkt. Doch das bemerkt er nicht. Er ist zu aufgewühlt.
„Das darf doch nicht wahr sein“, entfährt es ihm kopfschüttelnd.
„Das darf doch nicht wahr sein“, murmelt er wiederholt gedankenverloren mit gedämpfter Stimme und zusammengepressten Lippen vor sich hin. Eine Kutsche mit hohem Tempo rast an ihm vorbei. Er schrickt hoch. Fast wäre er überfahren worden. Vielleicht sogar besser so, denkt er sich.
Eigentlich geht der Auftrag des Gouverneurs gegen seine Ehre. Als Kapitän der stolzen Royal Navy soll er nun gemeinsame Sache mit einem Piratenunhold machen.
„Pfui Teufel“, entfährt es Kapitän Rochester und spuckt in bester chinesischer Manier auf die Straße.
Aber auf der anderen Seite hat der Plan schon etwas, muss er nach einigem Überlegen zugeben. Wie sonst soll man von unserer Seite an den Geheimbericht kommen? Schließlich kann er, Rochester, ja schlecht mit seinem Schiff, dem Leichten Kreuzer Iphigenia, das deutsche Kriegsschiff auf hoher See angreifen. Das würde unweigerlich Krieg zwischen den beiden Nationen bedeuten. Das will natürlich niemand.
Nachdem er in der Tropennacht einige Zeit gelaufen ist, scheint ihm der Plan von Sir Henderson doch nicht so verkehrt. Aber gewöhnungsbedürftig ist das alles schon. Er soll bei dem Unterfangen nur den Boten spielen, während er dem blutrünstigen Piraten die Beute überlassen soll.
Hmm, wenn die liefern, heiligt der Zweck die Mittel, wie es so schön heißt, versucht sich Kapitän Rochester zu beruhigen.
Er soll also mit seinem Schiff Iphigenia dem deutschen Schiff Irene entgegendampfen und ihm signalisieren, dass Typhus in Hongkong ausgebrochen sei und zudem ein sehr heftiger Taifun heraufziehe. Deshalb sollen die Deutschen Hongkong großräumig umfahren, Kurs auf die chinesische Küste nehmen und dort den Taifun abwarten. Welch noble Geste von britischer Seite. Dadurch werden die Deutschen direkt in die Arme der Piratenflotte, die sich in der unübersichtlichen Küstengegend bestens auskennt, gelotst. Und dann, Peng, das war´s mit der deutschen Herrlichkeit. Und wir haben den Geheimbericht.
Na ja, ein teuflischer Plan. Wenn das klappt, ist zumindest das Ergebnis in Ordnung.
Mit seinen Füssen kickt Kapitän Rochester noch etwas Müll zur Seite. Was soll´s. Alles für das Empire. Mit diesen Gedanken legt er die letzte Strecke bis zum Hafen, wo das Beiboot schon auf ihn wartet, zurück.
Aus seinen zwei Schornsteinen steigt dunkler Rauch gen strahlend blauen Himmel. Der Leichte Kreuzer Iphigenia verdrängt dreitausendsechshundert Tonnen Wasser und arbeitet sich unaufhörlich durch die leicht rollenden Wellen des Südchinesischen Meeres. Die knapp dreihundert Mann Besatzung hält das Schiff routiniert auf Kurs. Die zwei 15,2 Zentimeter Geschütze sind nur mit der Wachmannschaft besetzt. Schließlich ist man nicht auf Feindfahrt. Der Auftrag lautet simpel: Dem deutschen Kanonenboot Iltis entgegenfahren, es vor der ausgebrochenen Typhusepidemie in Hongkong warnen und anraten, zunächst Kurs auf das chinesische Festland zu nehmen, denn es nähert sich obendrein ein verheerender Taifun.
Als Kapitän Rochester diesen Befehl seinen Offizieren mitteilt, macht sich ein gewisser Unmut breit. Der Tenor lautet, seit wann laufen wir extra für ein deutsches Kriegsschiff aus dem Hafen von Hongkong aus, um es weit draußen auf See vor diesen Gefahren zu warnen? Zumal die Offiziere von einem Typhusausbruch in Hongkong noch gar nichts mitbekommen haben. Aber dann siegt doch der militärische Gehorsam und der Befehl wird nicht hinterfragt, zumal auch ihr Kapitän unmissverständlich klar gemacht hat, dass er keine weiteren Erläuterungen zu dem Befehl zu geben gedenkt.
Also volle Kraft voraus und Ausschau nach den Deutschen halten.
Mittlerweile hat sich der Erste Offizier Hans Thomsen auf Iltis entschlossen, doch den Hafen von Hongkong anzusteuern. Da sich der Gesundheitszustand von Kapitän Wilhelm Kurz zwar nicht verschlechtert, aber auch nicht wesentlich gebessert hat, will er kein Risiko eingehen. Lieber will er den Käpt´n in Hongkong britischen Ärzten anvertrauen als die längere Fahrt nach Tsingtau zu wagen, wo die bestens ausgebildeten deutschen Ärzte bereit stehen. Abwägungssache. Schon will er den Befehl zur Kursänderung geben, als ihm gemeldet wird, dass sich am Horizont die Silhouette eines deutschen Dampfers abzeichnet.
Kurs halten, lautet sein Befehl. Die Begegnung will er erst noch abwarten. Vielleicht hat der Dampfer, der wahrscheinlich aus Tsingtau kommt, irgendwelche Neuigkeiten. Die Minuten verrinnen und die Entfernung zwischen den beiden Schiffen schrumpft ständig. Durch sein Prismenfernglas kann er das Schiff schließlich identifizieren.
Mit seinem einen Schornstein und zwei Masten gehört es zur Städte-Klasse der Reederei Norddeutscher Lloyd. Langsam nähern sich die beiden Schiffe, wobei klar wird, dass der Postdampfer seinen Kurs auf Iltis verändert. Dann endlich erkennt Hans Thomsen, dass es sich um den Reichspostdampfer Darmstadt handelt.
In der Tat kommt der einhunderteinunddreißig Meter lange Dampfer Darmstadt aus Tsingtau. Neben einigen Passagieren in der ersten und zweiten Klasse und ihrer Besatzung von einhundert Mann hat der Dampfer über eintausendzweihundert Seesoldaten an Bord. Sie gehören zur Austauschbesatzung des III. Seebataillons, das in Tsingtau stationiert ist. Der Dampfer Darmstadt verdrängt über fünftausend Bruttoregistertonnen und erreicht durch seine Maschinen mit dreitausendzweihundert Pferdestärken immerhin bis zu dreizehn Knoten. Vor neun Jahren lief er als kombiniertes Passagier- und Frachtschiff noch von einer Werft in Glasgow von Stapel. Heute undenkbar, dass ein deutsches Schiff auf einer englischen beziehungsweise schottischen Werft gebaut wird. Diese Zeiten sind endgültig vorbei, denkt sich Thomsen zufrieden und unterstreicht seine Gedanken mit einem kurzen Nicken.
Als Darmstadt sich auf Sichtweite genähert hat, werden Signalflaggen gesetzt. Plötzlich herrscht Aufregung auf der Brücke von Iltis. Es sind nicht die üblichen Signale, die ausgetauscht werden. Thomsen kneift die Augen enger zusammen, um noch klarer sehen zu können. Die Anspannung ist bei allen spürbar. Was mag Darmstadt nur zu signalisieren haben? Gibt es ein Problem an Bord? geht es durch die Köpfe der Matrosen auf dem Kanonenboot Iltis.
Jeder will das Signal, den Heiß, identifizieren. Farbig unterschiedlich gestaltete Flaggen werden in schnellem Tempo gesetzt. Verwirrend für den Laien, nicht jedoch für die Marinesoldaten von Iltis. Nachdem sie die Signale identifiziert haben, herrscht eine gewisse Verwirrung vor: „Achtung. Dringender Befehl. Kurs Manila. Treffen mit Kreuzergeschwader. Ende.“
„Potzblitz. Was soll denn das?“, ruft Hans Thomsen völlig verdutzt aus. Dabei blickt er in genauso verwirrte Gesichter um ihn herum.
„Manila? Das ist doch auf den Philippinen. Dort herrschen die Spanier. Was will unser Kreuzergeschwader denn dort?“
Die Frage bleibt unbeantwortet. Eine Antwort hat Thomsen auch nicht wirklich erwartet. Aber Befehl ist Befehl. Da gibt es keine Diskussion. Nur an Bord herrscht eine Ausnahmesituation. Noch immer liegt Kapitän Wilhelm Kurz schwerkrank auf der Krankenstation.
Was soll er, Thomsen, bloß machen? Aber einen Befehl kann er nicht ignorieren. Trotzdem. Wenn es eventuell um das Leben des Kapitäns geht?
Alles hängt vom Schiffsarzt Dr. Brandt ab.